Analyse
Erscheinungsdatum: 13. November 2024

Neuer Ton im Bundestag: Die Mitte denkt schon an den Tag danach   

Die Stimmung ist aufgeladen; Streit wäre eigentlich üblich gewesen. Aber am Mittwoch waren alle Vertreter der politischen Mitte vor allem nachdenklich.

Es hätte ein harter Schlagabtausch werden können. Aber es kam anders. Am Mittwoch im Bundestag haben die Rednerinnen und Redner der politischen Mitte ein Novum präsentiert, das in Abgrenzung zu den Extremisten Vorbild für mehr werden kann. Ob Olaf Scholz oder Friedrich Merz, Christian Lindner, Annalena Baerbock und Rolf Mützenich – sie alle zeigten, was so lange in der Politik gefehlt hat: Trotz aller Unterschiede in der Sache Anstand im Umgang. Der Einzige, der das nicht wirklich beherzigte, war Markus Söder.

Schon der Kanzler wies auf Tag eins nach der nächsten Wahl hin. Auf den Moment, da es für Wahlkampfgegner wieder um Kompromisse gehen müsse; auf den Moment, da die Parteien der Mitte wieder um gangbare Wege für einen Koalitionsvertrag ringen werden. „Der Weg des Kompromisses ist der einzig richtige Weg“, sagte Scholz. Seine Lernkurve aus drei Jahren Ampel: „Öffentlicher Streit darf nie wieder die Regierungsarbeit überlagern.“ Er habe seine Konsequenzen gezogen und bereue „sicher nicht, dass ich bis zum Schluss Kompromisse angeboten habe“.

Scholz unterließ es nicht, erste Pflöcke für den Wahlkampf einzuschlagen. Taurus-Raketen für die Ukraine? Auf keinen Fall. Er habe mit seiner Zurückhaltung eine Eskalation verhindert. Rentenkürzung? Kommt nicht in Frage. „Wer das Rentenniveau nicht stabilisieren will, der kürzt die Renten“, befand der Kanzler. „Nicht mit mir!“ Verteilungskonflikte? Auch die nicht mit der SPD. „Dieses Entweder-Oder ist falsch und führt in die Irre.“

Rolf Mützenich bemühte sich besonders um einen Brückenschlag – in alle demokratischen Himmelsrichtungen. Er sprach von einem „Mindestmaß an Kompromiss und Anstand“ und entschuldigte sich wie als Beleg dafür bei Friedrich Merz für das Weiterleiten eines mittels KI generierten Fake-Videos über den CU-Chef durch einen SPD-Abgeordneten. Und er mahnte: „Selbst wenn die kommenden Wochen anstrengend werden, müssen wir sachlich bleiben.“ So moderat die Klangfarbe, so deutlich wies er auf die zentrale Herausforderung – die fehlenden Finanzmittel – hin. „Jede neue Regierung wird vor dem gleichen Problem stehen, an dem die alte zerbrochen ist.“

Oppositionsführer Merz attackierte zwar den Kanzler: „Ihre Regierungserklärung war die Folgerichtigkeit des Scheiterns Ihrer Regierung.“ Insbesondere kritisierte er Scholz für die Art, wie dieser den Koalitionsbruch vollzogen hatte. Sein Statement am Mittwochabend sei eines Bundeskanzlers „schlicht unwürdig“ gewesen. Zugleich aber gab es kein Wort der Häme oder Kritik gegen die ehemaligen Ampel-Parteien. Ausdrücklich dankte er Rolf Mützenich, Britta Haßelmann und Katharina Dröge: „Wir haben wenigstens hier im Parlament unsere Verantwortung gemeinsam wahrgenommen.“ Merz kritisierte die Rentenpläne und das Bürgergeld der SPD; er warb zudem für eine andere Energiepolitik. Aber er verzichtete auf harte Angriffe, vor allem gegen die Grünen. Persönliche Attacken: Nur gegen Scholz, nicht gegen Robert Habeck, schon gar nicht gegen Lindner.

Auch der FDP-Chef konnte es nicht lassen, dem Kanzler nochmal eine mitzugeben. „Ein Bundeskanzler, der nur im Kreis läuft, kann keine Fortschrittskoalition führen.“ Mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine bot er sich anderen sogar als Partner an. Seine Partei habe „niemals gezaudert“. Wenn man es ernst meine, dann müsse Deutschland die Kraft finden, wofür es im Bundestag längst eine Mehrheit gebe: die Ukraine auch mit dem Taurus zu unterstützen. Daneben warb Lindner für seine „Wirtschaftswende“ und vermied zugleich die offene Konfrontation mit anderen Fraktionen. Die Grünen verschonte er, mit Merz gab es gar einen harmonischen Austausch.

Annalena Baerbock, zuletzt öfters ob ihrer vermeintlich zu moralischen Außenpolitik kritisiert, kannte fast nur ein Thema: mehr Zusammenhalt. Auf „konservative Tugenden“ müsse man sich jetzt besinnen: „Anstand, Rückgrat, Verantwortung, die über den Tag hinausgeht.“ Die Grünen-Politikerin erinnerte an die Corona-Pandemie. „In schwierigen Zeiten steht Deutschland zusammen – und genau das müssen wir jetzt wieder tun.“ Auch beim Sondervermögen für die Bundeswehr habe man fraktionsübergreifend geschaut, „was wirklich wichtig ist“. In dieser Gemeinsamkeit könne und solle es auch in Zukunft weitergehen.

Als der streitlustige Markus Söder an der Reihe war, schien es kurz so, als habe selbst er sich anstecken lassen. Zu Beginn zog er eine scharfe Linie zwischen allen Demokraten – und der AfD: „Sie wollen die Demokratie zersetzen. Sie stehen für Hass und Hetze und Geschrei.“ Nach dem Motto: Wir sind die Mitte, ihr habt damit nichts zu tun. Dann aber fiel Söder in den bei ihm üblichen Duktus, der auch bei der CDU nicht mehr beliebt ist. Offene Attacken gegen die Grünen und Robert Habeck; alles gescheitert, alles schlecht, alles schlimm, Habecks Rücktritt sei „fällig“. So wurde einer, der sich der Mitte zurechnet, doch noch sehr persönlich. An diesem Tag brauchte es dafür aber einen Gast aus Bayern.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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