Analyse
Erscheinungsdatum: 15. Juni 2023

Neue Gentechnik: EU-Vorschlag sieht keine Kennzeichnungspflicht vor

CRISPR-CAS9 gene editing complex from Streptococcus pyogenes. 3D render. The Cas9 nuclease protein uses a guide RNA sequence to cut DNA. *** CRISPR CAS9 Gens Bearbeitung Komplex von Streptokokke pyogenes 3D Rendern der Cas9 nuclease Eiweiß nutzt einer Ratgeber RNA Sequenz an angeschnitten DNA 2783891

Der von den Grünen mit Furcht und von der FPD mit Hoffnung erwartete Vorschlag der EU-Kommission für die neue Gentechnik liegt vor. Die Kommission will die Zulassungshürden senken, sodass bestimmte NGT-Pflanzen nicht die Zulassungsprozeduren durchlaufen müssen wie für herkömmliche genveränderte Pflanzen. Allerdings sollen Bio-Produkte weiterhin frei sein von aller Gentechnik – auch der neuen.

Die Liberalen erwarten ihn geradezu sehnsüchtig, die SPD mit verhaltener Skepsis und für die meisten Grünen dürfte er ein No-Go sein: Der Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung von Pflanzen, die mit bestimmten „Neuen Genomischen Methoden“ (NGT) geschaffen wurden. Am 5. Juli steht der Vorschlag, der Table.Media in einer ersten Fassung vorliegt, in Brüssel erstmals auf der Tagesordnung.

Um was es geht es? Am 25. Juli 2018 hatte der Europäische Gerichtshof ein Grundsatzurteil gefällt, das als schwarzer Tag in die Geschichte der Pflanzenforschung einging: Organismen, deren Erbgut mit modernen Verfahren des sogenannten Genome Editing gezielt verändert wurde, waren im Sinne der geltenden EU-Freisetzungsrichtlinie als gentechnisch veränderte Organismen einzustufen, kurz: GVO. Wie alle GVO mussten also auch die NGT-Pflanzen deshalb streng geprüft, zugelassen und gekennzeichnet werden.

Dieses Urteil versucht der Vorschlag nun aufzuweichen. Es will für Pflanzen, deren Erbgut mit NGT –etwa mit der Genschere Crispr/Cas – im Labor hergestellt wurde, die Risikobewertung bei der Zulassung gleichstellen mit der von herkömmlich gezüchteten Pflanzen. Dabei dreht es sich um Pflanzen, in deren Genom kein genetisches Material von einer nicht kreuzungsfähigen Spezies („Transgenese“) eingefügt wurde – so wie typischerweise bei herkömmlichen genveränderten Organismen (GVO).

Die Autoren des Vorschlags berufen sich dabei auf die Europäische Food Safety Authority. Die EFSA sei in einer Bewertung zum Urteil gekommen, dass von NGT-Pflanzen keine größeren Gefahren ausgehen als von solchen, die durch herkömmliche Züchtung hergestellt worden sind. Die Gefahr von unbeabsichtigten Effekten – etwa ungewollte Auskreuzungen auf dem Feld mit benachbarten Pflanzen – sei signifikant geringer als bei herkömmlichen GVO oder sogar bei konventionellen Züchtungen.

Drei Ziele nennt das Paper für seinen Vorschlag: die Entwicklung und Marktzugänglichkeit für Pflanzen, die zu den Nachhaltigkeitszielen des New Green Deals beitragen und zur Biodiversität. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Agrifood-Sektors der EU. Und die Wahrung des Vorsorgeprinzips, sodass weder die menschliche noch die tierische Gesundheit durch die Herabstufung der Regulierung gefährdet würde.

Im Speziellen geht es den Autoren darum, Mechanismen zu schaffen, so dass NGT-Pflanzen, -Lebensmittel und -Futter genauso sicher auf den Markt kommen wie herkömmliche Pflanzenprodukte, aber „unnötige Regulierungshürden“ dabei vermieden werden.

Das Paper nennt fünf Konsultationen mit Stakeholdern zwischen Oktober 2021 und Dezember 2022 als Grundlage seines Vorschlags. Dabei seien sich zwei Gruppen gegenüber gestanden: Züchter, Industrie, Forscher und Teile der Landwirtschaft, die eine Erleichterung der Regulierung für NGT befürworten. Und andererseits Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Biobauern, die den Status Quo gerne beibehalten würden. Während Letztere dringend auf einer Kennzeichnung auch von NGT-Lebensmitteln pochen würden, hielten konventionelle Bauern und Teile der Forschung eine derartige Transparenz für überflüssig.

Das Papier plädiert dafür, jene NGT-Pflanzen bei der Risikobewertung anders zu behandeln als bisher, die auch in herkömmlicher Züchtung – also auf dem Feld und nicht im Labor – hätten entstehen können. Der Kern des Vorschlags: „Solche Pflanzen würden behandelt wie herkömmliche Pflanzen und würden keine Autorisierung, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung brauchen wie herkömmliche genveränderte Pflanzen.“ Für diese neuen Pflanzen würde ein „Transparenzregister“ geschaffen werden.

Mit den NGT hergestellte Pflanzen, die nicht auch auf konventionellem Weg gezüchtet worden sein konnten –in die also mit NGT-Methoden zum Beispiel fremdes Genmaterial eingebaut wurde – sollten nach wie vor gekennzeichnet werden. Das existierende Gentechnik-Label solle sogar ausgebaut werden. Laut dem Paper soll es künftig über Absicht und Nutzen der Genveränderung aufklären, sodass Handel und Verbraucher „informierte Entscheidungen“ beim Vertrieb und Kauf treffen können.

Für den Bio-Sektor sollen die NGT-Pflanzen weiter wie GVO-Pflanzen behandelt werden. Das heißt, dass ihr Einsatz dort verboten sein soll. Damit Öko-Bauern dies gewährleisten können und das Vertrauen des Verbrauchers in Bio-Produkte nicht leidet, soll mit NGT-hergestelltes Saatgut gekennzeichnet werden. Dadurch kann die Sicherheit, dass Bio-Lebensmittel keine gentechnisch veränderten Organismen werden, vom Anfang der Nahrungsmittelkette an hergestellt werden.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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