So viele erfahrene Kandidaten für die kommende Parteiführung hat es bei den Grünen lange nicht mehr gegeben. Damit dürfte, je näher der Wahlkampf rückt, auch eine Machtverschiebung einhergehen – hin zur Partei und weg von der bislang stärkeren Fraktion. Allerdings muss über das am Dienstag bekannt gewordene Konzept noch der Parteitag Mitte November entscheiden. Neben Franziska Brantner und Felix Banaszak, die als neue Vorsitzende bereits gesetzt waren, sollen Heiko Knopf und Sven Giegold als stellvertretende Vorsitzende in den Vorstand kommen. Knopf, der als einziges Vorstandsmitglied aus dem Osten stammt, hatte diese Funktion auch bisher schon inne.
Giegold war bisher beamteter Staatssekretär im BMWK. Weil dieser Posten nicht mit einer Parteifunktion vereinbar ist und er offenbar fest mit seiner Wahl rechnet, kündigte er am Dienstagabend bereits an, zum 15. November aus diesem Amt zu scheiden. Der ehemalige Europaabgeordnete verfügt über gute Kontakte zu Kirchen und sozialen Bewegungen. Ursprünglich war er auch als politischer Geschäftsführer im Gespräch; dagegen gab es aber im Realo-Flügel Widerstand. Auch Robert Habeck, der seinem scheidenden Staatssekretär am Dienstag „für drei Jahre vertrauensvolle Zusammenarbeit“, dankte, soll diesen Plan kritisch gesehen haben. Politische Geschäftsführerin wird, wie Table.Briefings am Montag meldete, die bisherige Partei-Vize Pegah Edalatian.
Neu in den Vorstand soll auch Manuela Rottmann kommen. Die Bundestagsabgeordnete und enge Mitstreiterin von Habeck löst den bisherigen Schatzmeister Frederic Carpenter ab. Zum einen, weil nur so der Vorstand insgesamt paritätisch besetzt bleibt. Zum anderen aber verbinden Habeck und viele Realos mit ihr die Hoffnung, in der neuen Führung den Einfluss der Realos zu stärken. Carpenter, der im Vorfeld als schwer ersetzbar bezeichnet worden war, bleibt allerdings in der Parteizentrale: Für ihn wird der Posten eines stellvertretenden Wahlkampfmanagers geschaffen. Hauptverantwortlich für den Wahlkampf wäre eigentlich die politische Geschäftsführerin; bei der Bundestagswahl soll die Aufgabe jedoch Fraktionsvize Andreas Audretsch übernehmen.
Das Gesamtgemälde ist für die Grünen Chance und Risiko zugleich. Mit Giegold, Brantner und Co. ziehen erfahrene und einflussreiche Politiker in die Parteizentrale. Das hat es so schon viele Jahre nicht mehr gegeben. Kompetenz und Einfluss werden zum Start in den Wahlkampf also wachsen. Zugleich aber sorgen sich erfahrene Grünen-Politiker darum, ob die an Köpfen gewachsene und in der Sache noch längst nicht einige Truppe schaffen kann, was nach Ansicht sehr vieler Grüner entscheidend sein wird: dass diese neue Parteizentrale tatsächlich zu einer verschworenen und zum Spitzenkandidaten Habeck loyalen Einheit zusammenwächst. Gemessen an der Unruhe, die so manche Personalie zuletzt ausgelöst hat, ist das noch längst nicht sicher.
Für Habeck waren die letzten Wochen keine Erfolgsgeschichte. Statt eines einigermaßen organisierten Übergangs in die neue Zeit waren die jüngsten Entwicklungen geprägt von Verunsicherung, Ärger und Flügelkampf-Reflexen, die viele nach der Amtszeit von Habeck und Annalena Baerbock als Parteichefs für überwunden hielten. Dass dieses interne Machtgerangel zurückkehrt, wirft Habeck zurück bei dem Bemühen, erst die eigene Partei und danach vielleicht auch wieder mehr Wählerinnen und Wähler für seinen moderaten Kurs in der Wirtschafts-, Klima- und Migrationspolitik zu gewinnen. Enge Mitstreiter des Vizekanzlers halten genau das freilich für unverzichtbar, sollen die Grünen in den Umfragen wieder steigen.
Dem steht entgegen, dass zuletzt die Zahl derer gewachsen ist, die mit einer gehörigen Portion Misstrauen auf das schauen, was Habeck macht und vorhat. Bei Umwelt- und Flüchtlingsorganisationen etwa gibt es große Enttäuschung über die jüngste Regierungspolitik. Hier könnte der neue Vorstand helfen, Unterstützer zurückzugewinnen. Entscheidend dürfte zudem sein, ob Habeck gelingt, was ihm Kritiker absprechen: Dass er auf diese Kritiker in den eigenen Reihen zugehen kann, sich Zeit für sie nimmt und sie mit Empathie und Argumenten doch noch einmal von seinem Weg überzeugt.