Analyse
Erscheinungsdatum: 02. Oktober 2023

Nancy Faeser in Hessen: Mission Impossible

Wahlkampf SPD 23.09.2023 Baunatal x1x Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser machen Wahlkampf für die Landtagswahl in Hessen auf dem Marktplatz. l-r Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Bundeskanzler Olaf Scholz. Baunatal Baunatal Hessen Germany *** Election campaign SPD 23 09 2023 Baunatal x1x Federal Chancellor Olaf Scholz and Federal Minister of the Interior Nancy Faeser campaign for the state election in Hesse on the market square l r Federal Minister of the Interior Nancy Faeser, Federal Chancellor Olaf Scholz Baunatal Baunatal Hesse Germany
Nancy Faeser wollte die Staatskanzlei in Wiesbaden zurückerobern, aus der sicheren Position der Bundesinnenministerin heraus. Der Plan wird am kommenden Wochenende wohl schiefgehen. Erst fand sie kein Thema, dann kamen Fehler hinzu. Auch Olaf Scholz ist nicht ganz schuldlos an der absehbaren Niederlage.

Man kann nicht sagen, die Unterstützer aus Berlin hätten nicht alles gegeben. Sie waren in Aschaffenburg und Baunatal, in Marburg und Rodgau, in Kassel und natürlich Frankfurt: Die Parteivorsitzenden und der Generalsekretär, Olaf Scholz und seine SPD-Minister – sie gaben und geben auf der Zielgeraden alles, um Nancy Faeser doch noch den Weg nach Wiesbaden zu ermöglichen. Wenn nicht in die Staatskanzlei, so doch wenigstens in eine Koalition.

Nur, es sieht nicht gut aus. Der angeblich so blasse Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der sich konsequent aus allen Berliner Scharmützeln herausgehalten hat, führt in allen Umfragen haushoch. Und wenn es ganz schlimm für die Sozialdemokraten und Nancy Faeser kommt, landet sie sogar hinter Grünen und AfD auf Platz vier. Die Berechnung des Tools „ wahlkreisprognose.de ", die die SPD Mitte der vergangenen Woche mit 16 Prozent nur noch auf Rang vier sah, sorgte im Willy-Brandt-Haus nicht gerade für fröhliche Stimmung. Die gleiche Prognose attestierte der SPD nur noch den Gewinn von zwei der 55 Direktmandate, 48 würde demnach die CDU erobern.

Was ist schief gelaufen in einem Wahlkampf, der für die SPD vor einem Jahr noch, als sie fast auf Augenhöhe mit der CDU rangierte, durchaus aussichtsreich erschien? Und kann eine Bundesinnenministerin, die in ihrem Hometurf so abgestraft wird, unbeschadet Ministerin in Berlin bleiben? Oder denkt der Kanzler längst über Alternativen nach? Und überhaupt: Welchen Anteil trägt Olaf Scholz an dem absehbar auch für ihn wenig erfreulichen Ergebnis?

Denn offensichtlich ist: Die unumstrittene Ernennung von Faeser im Februar 2023 konnte der Hessen-SPD zu keinem Zeitpunkt einen Schub versetzen. Im Gegenteil, bestätigt dürfen sich all jene fühlen, die Faeser damals deutlich gewarnt hatten, sich in eine Kandidatur zu stürzen und sich gleichzeitig die Option offenzuhalten, im Fall einer Niederlage nach Berlin zurückzukehren. Der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich gehörte dazu. Teile der Parteispitze ebenso. Mehrfach saßen sie seinerzeit mit Faeser und dem Kanzler im kleinen Kreis zusammen. Aber Olaf Scholz gewährte seiner Ministerin eine Rückkehrgarantie für den Fall der Niederlage. Mehr noch: Er ermunterte Faeser geradezu, in Hessen anzutreten.

Die Argumente der Skeptiker waren unterschiedlich: Die einen ahnten, dass das Amt der Innenministerin wenig Gelegenheiten zu positiven Schlagzeilen bieten würde. Die unlösbare Migrationsfrage, im Innenressort angesiedelt, würde kaum Profilierungspotenziale bieten. Und jeder Amoklauf, jeder Terroranschlag würde die Frage aufwerfen: Wo war eigentlich die Innenministerin? War sie abgelenkt durch den Wahlkampf in Hessen? Die anderen ahnten, dass die Wählerinnen und Wähler es kaum goutieren würden, wenn die Kandidatin sich im Falle einer Niederlage die Rückkehroption offen hält.

Doch Nancy Faeser, unterstützt Scholz, entschied sich anders – und warf sich in die Schlacht.

Und dann kam es, wie es kommen kann. Der biedere Boris Rhein nutzte den Amtsvorteil, reiste durchs Land, gab unspektakuläre Antworten auf unspektakuläre Fragen, beging keine Fehler – und erhöhte darüber sogar den Abstand zu den Herausforderern. Hinzu kommt: Die Hessen sind solider bundesdeutscher Durchschnitt, die hessische SPD liegt bei Bundestagswahlen zumeist nicht weit entfernt vom prozentualen Gesamtergebnis. Wenn Olaf Scholz und seine SPD in Umfragen für den Bund also nur noch auf 16 Prozent kommen, ist es für die Hessen-SPD nahezu unmöglich, das 20-Prozent-Getto zu verlassen. Olaf Scholz, der kein Rezept gegen die anhaltende Regierungs-Tristesse seiner Koalition findet, trug und trägt also nicht unmaßgeblich zur Aussichtslosigkeit des Faeser-Projektes in Hessen bei.

Und dann sind da natürlich Faesers eigene Fehler und Versäumnisse. Allen voran der ungeschickte Umgang mit dem Rausschmiss des BSI-Chefs Arne Schönbohm. Das Vertrauensverhältnis war frühzeitig zerrüttet, nachdem ihn schon Vorgänger Horst Seehofer mehr geduldet als geliebt hatte. Es hätte also gute Gründe für die Versetzung gegeben. Stattdessen schob sie Schönbohm ab, scheinbar ohne plausible Gründe, und agierte fortan – sehr zur Freude der Opposition – als Getriebene. Sie wurde in den Innenausschuss gebeten, den sie zweimal schwänzte. Was selbst die eigenen Parteifreunde, darunter hochrangige, verzweifeln ließ.

Da hilft auch nicht, dass sie in den heiklen Migrations- und Ausländerfragen eng mit Kollegin Annalena Baerbock kooperiert, dass sie dort nicht viel hat anbrennen lassen. Aber zur Profilbildung trugen die Geflüchteten auch nicht bei, und auch sonst fand sich kein Gewinnerthema. Die objektiv vorhandenen Bildungsdefizite im Land, die Gesundheitsversorgung, die vielfach hohen Mieten – sie fielen der Langzeitregierung nicht zur Last. Vielmehr drückten das eigene schlechte Management und fehlendes Fingerspitzengefühl auf die Stimmung der eigenen Unterstützer.

Das von den Genossen erhoffte Wunder auf den letzten Metern wird für Nancy Faeser also ausbleiben. Und schon schießen die von der CDU befeuerten Spekulationen ins Kraut, ob sie denn nun nach einem derart erfolglosen Wahlkampf als Innenministerin noch tragbar sei. Die voraussichtliche Realität ist: Olaf Scholz wird sich kaum trennen von ihr. Aus mehreren Gründen: Erstens hat er ihr zugeraten, in Hessen anzutreten. Zweitens hat er die schlechten Koalitionswerte, die auch die Hessen-SPD belasten, höchstselbst mitzuverantworten. Drittens ist Faeser, abgesehen von der schlecht gemanagten Causa Schönbohm, im Amt nicht durch größere Fehler aufgefallen. Viertens hält Olaf Scholz lieber länger an Kabinettsmitgliedern fest, als sie vorschnell preiszugeben. Und schließlich stellt sich noch die Frage nach dem Ersatz. Niemand drängt sich auf, und auf ein größeres Revirement wird der Kanzler in dieser Situation wohl verzichten, zumal der Faeser-Ersatz bei der Männerdominanz im Kabinett wiederum eine Frau sein müsste.

So hoffen sie noch bis zum Sonntag. Ein bisschen jedenfalls, dass es noch zu Platz zwei vor den Grünen reichen möge, um den Gesichtsverlust erträglich zu halten. Der schlimmste anzunehmende Unfall wäre Platz vier – hinter der aufgerückten AfD.

In Berlin hat die Bundes-SPD die Niederlagen in Bayern und Hessen längst eingepreist, Mitte Oktober dürften Scholz, Faeser und die Partei die Kampagne in Hessen als verunglückt abgehakt haben. Nach dem Motto: Gestolpert, aufstehen, Hände abputzen, weiter machen. Nichts Neues in Hessen, aber die Koalition, der Haushalt, der Parteitag – in der Hauptstadt muss es weiter gehen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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