Analyse
Erscheinungsdatum: 10. Juni 2024

Nach der Europawahl: Macht es die Ampel wie Macron? 

Die Ampel hat bei der Europawahl eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Vor der Vertrauensfrage und Neuwahlen schreckt die Koalition zurück. Aber ist das klug? Sollte die Ampel es machen wie Macron?

Die Ampel hat am Sonntag eine Niederlage erlitten, die nachwirken wird. Sie wirft sogar die Frage auf, ob das Bündnis einfach so weitermachen kann – oder am Ende nicht doch einräumen muss, dass es als Koalition nicht mehr die nötige Wucht und Bindekraft aufbringt. Angesichts der Umfragen schrecken Vertreter aller drei Parteien vor einer Vertrauensfrage und Neuwahlen zurück. Andererseits müssen sich die Spitzen von SPD, Grünen und FDP fragen lassen, ob der negative Trend noch gebrochen werden kann. Kann er das nicht, dann wäre jedes Verschieben in die Zukunft noch gefährlicher als ein Schnitt jetzt.

Können die drei Parteien noch miteinander? Eigentlich nein.Wer in die Parteien hineinhört, bekommt keine Gemeinsamkeiten oder Erfolge zu hören, sondern den Zorn aufeinander. In der SPD ist der Ärger über eine arrogante FDP, über in Teilen ignorante Grüne groß – und über den Kanzler, dessen stillen Moderationsstil viele Sozialdemokraten kaum mehr ertragen können. Die FDP kämpft für sich allein; selbst kleine Botschaften über gemeinsame Ziele sind kaum noch zu finden. Zudem ist der einst gute Draht zwischen Christian Lindner und Olaf Scholz seit dem Verfassungsgerichtsurteil zur Haushaltsführung erkaltet. Und die Grünen spüren seit Sonntag, dass diese Koalition sie Schritt für Schritt auffrisst. Eine Analyse dazu lesen Sie hier.

Sind die drei Parteien inhaltlich für einen Wahlkampf aufgestellt? Ja, denn i m Streit über den Haushalt haben alle drei Parteien ihre Prioritäten geschärft. Für die Grünen hat Robert Habeck vor Monaten eine Blaupause vorgelegt. Auf dem Parteitag im Spätherbst erklärte er, welche Kämpfe für die Wirtschaft und für den Klimaschutz anstehen – und was dafür nötig ist: viele neue Investitionen, verbunden mit einer Änderung der Schuldenbremse. Bei der FDP ist die Linie ähnlich klar, wenn auch ganz anders. Lindner setzt darauf, dass die Verteidigung der Schuldenbremse ohne Wenn und Aber die FDP von allen anderen abhebt. Dazu gibt es zur Manifestation der „Wirtschaftswende“ einen 12-Punkte- und zwei 5-Punkte-Pläne. Und die SPD? Klingbeil, Kühnert, Mützenich und Co. wissen längst, wofür und wogegen sie in einem Wahlkampf kämpfen möchten: für Soziales, Verteidigung, Investitionen und gegen die aus ihrer Sicht harte und kalte Linie der Freien Demokraten. Nur wie sie Scholz dazu bringen können, wissen sie noch nicht.

Haben alle einen unumstrittenen Anführer? Nein. Unumstritten ist trotz schlechter Wahlergebnisse nur Lindner. Noch immer ist ihm jene Truppe ergeben, mit der er im absoluten Tiefpunkt 2014 den Neuanfang machte. Habeck gilt aktuell als stärkste Figur, ein klares Bekenntnis aber fehlt bislang, insbesondere von Annalena Baerbock. Und richtig kompliziert wird es beim Kanzler. Noch halten ihm offiziell von Kevin Kühnert über Lars Klingbeil bis Rolf Mützenich alle die Treue. Aber intern beherrscht sehr viele das Gefühl, dass sich der Kurs und der Kanzler dringend ändern müssen.

Gibt es einen Weg hinaus? Ja. Er ist schmerzvoll. Aber es gibt ihn. Im Wort Vertrauensfrage steckt exakt das: Vertrauen wir noch der Linie des Kanzlers? Würde Scholz aktuell diese Frage stellen, zum Beispiel verbunden mit dem erzwungenen Sparhaushalt oder mit der Entscheidung, in größerem Stil neues Geld aufzunehmen, wäre es auch in der Sache nur konsequent, wenn ihm entweder eine erhebliche Zahl an Sozialdemokraten und Grünen oder eben die meisten Liberalen nicht mehr folgen würden.

Ist der Zeitpunkt vor den drei Landtagswahlen richtig? Nein und ja. Falsch ist er, wenn man in klassischen Kategorien denkt und deshalb irgendwie auf eine Trendwende hofft. Die aber scheint unter dem Zeitdruck der Haushaltsverhandlungen nahezu unmöglich. Selbst das Trio an der Spitze weiß bis heute nicht, wie eine gemeinsame Erzählung bei Einhaltung der Schuldenbremse aussehen könnte. Das bedeutet: Die Gefahr wird immer größer, dass die Ampel in den kommenden Wahlkämpfen sogar gegeneinander kämpfen werden. Bei der FDP gibt es längst die Strategie, Stimmen für die FDP damit zu begründen, dass man die Grünen verhindern will. Kommt es so, werden die Zeiten für die Ampel nicht mehr besser, sondern nur noch schlechter. Wie die SPD mit dem Wahlergebnis umgeht, lesen Sie hier.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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