Bis in die Nacht zu Donnerstag wurde telefoniert, gesimst und verhandelt. Dann stand ein Beschluss der Länder, der es in sich hatte und an das Kanzleramt verschickt wurde. Das unmissverständliche Signal: In der Migrationspolitik geht es so nicht weiter. Die Länder wollen eine Wende. Alle 16. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein hatten sich als Koordinatoren der SPD- und Unionsländer mit allen Länderchefs auf vier Punkte geeinigt, die das Kanzleramt in der Vorabstimmung ablehnte, die in der MPK dann aber genauso eingebracht wurden.
Demnach nehmen die Länder die Bundesregierung in die Pflicht. Die wird gebeten, „konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten“ zu entwickeln. Dabei sollen Asylverfahren außerhalb der EU stattfinden. Das von den Briten bevorzugte „Ruanda-Modell“ ist damit aber nicht gemeint, dies hatten Sachverständige für die Bundesregierung in einem Sachstandsbericht als unpraktikabel abgelehnt.
Es soll vielmehr eine europäische Lösung geben. SPD-Mann Weil betonte Teilnehmern zufolge, dass für ihn nur Transitstaaten infrage kommen, durch die Flüchtlinge ohnehin kommen. Man dürfe Flüchtlinge nicht unfreiwillig in ferne Länder bringen. Auch Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke warb für eine ernsthafte Prüfung möglicher Drittstaaten. Genannt wurden Länder wie Albanien, Georgien, Bosnien oder Montenegro. Mehrere Ministerpräsidenten forderten auch ein Update des Türkei-Abkommens.
Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte zuvor ein leidenschaftliches Plädoyer für einen überparteilichen Konsens gehalten. Man dürfe nicht mehr um den „heißen Brei“ herumreden. Auch eher skeptische, SPD-regierte Länder wie Rheinland-Pfalz, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern versammelten sich schließlich hinter den Punkten, zu denen auch eine Beschleunigung der Migrationsabkommen zur Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern, die mögliche Abschiebung von Straftätern nach Syrien und Afghanistan und dauerhafte Grenzkontrollen gehören. Bremen und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ließen zusätzlich erklären, dass „die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren und Humanität“ gewährleistet sein müsse.
Ein Sondervotum gab es auch von Bayern und Sachsen. Sie stellen wegen der geringen Zahl an Abschiebungen „die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens in Frage“. Sie mahnten zusätzlich einen Sofortarrest für ausreisepflichtige Straftäter und Bundesausreisezentren an. Auch „Verhandlungen mit den Taliban und dem Assad-Regime“ dürften kein Tabu mehr sein.
Mit Verspätung trafen die Länderchefs im Kanzleramt ein, erst gegen 20 Uhr kam die Migration auf die Tagesordnung im Internationalen Konferenzsaal. Während Olaf Scholz die von seiner Regierung eingeleiteten Maßnahmen, etwa die Verschärfungen im europäischen Asylsystem, lobte, verhandelte sein Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt mit Vertretern der SPD-regierten Länder über den Wortlaut eines neuen Beschlusses.
Um kurz vor 21 Uhr kam schließlich ein neuer Beschlussentwurf des Kanzleramts auf den Tisch. Darin keine klare Absage an das Drittstaaten-Modell. Man werde die Stellungnahmen aus dem Sachverständigenbericht auswerten und daraus Schlussfolgerungen ziehen, heißt es in der Neufassung. Der Passus, dass die Länder die Bundesregierung bitten, darauf aufbauend „konkrete Modelle“ für Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu entwickeln, blieb im Text stehen. Auch benennt der Bund erstmals konkret, mit welchen Ländern Migrationsabkommen geschlossen wurden und noch geschlossen werden sollen: Indien, Georgien, Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia, Philippinen, Marokko, Kolumbien, Ghana. Die Botschaft des Kanzlers: Wir sind dran.
In der Ampel nimmt die Diskussion um die Drittstaaten-Verfahren bereits Fahrt auf. Die FDP signalisiert Zustimmung. „Rechtlich ist es ganz offensichtlich möglich“, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr Table.Briefings. Wenn das britische Ruanda-Modell zu große Risiken bedeute, müsse man „rechtssichere und praktikable Lösungen finden“. Wie das gehen könnte, lesen Sie im Africa.Table.