Analyse
Erscheinungsdatum: 17. September 2024

Merz wird’s – Wie es dazu gekommen ist

Die Union hat sich auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2025 geeinigt. Wie es dazu kam und welche Schwächen und Stärken ihn ausmachen, lesen Sie hier

Friedrich Merz hat den bisher größten Machtkampf seiner Karriere ausgesessen. Er hat seine Widersacher abtropfen lassen, hat Gifteleien ignoriert und ist stoisch ruhig geblieben, obwohl seine Konkurrenz ihn nur zu gerne aus der Reserve gelockt hätte. Dass der CDU-Chef Kanzlerkandidat geworden ist, hat er einer Technik zu verdanken, die ihm kaum jemand zugetraut hätte; er ist wie ein wissbegieriger Schüler von Angela Merkel aufgetreten. Ob das eine – neue – Stärke des Kanzlerkandidaten ist oder eine einmalige Leistung bleiben wird? Noch kann das niemand sagen.

Sicher aber ist, wie sich Merz taktisch klug in den letzten Wochen die Kandidatur gesichert hat. Er setzte sich beim Thema Migration an die Spitze der Bewegung, und holte im Hintergrund in diversen Telefonaten die Unterstützung der CDU-Landeschefs ein. Zugleich blieben die Umfragen für die CDU konstant über 30 Prozent, die interne Mindestmarke.

Am Ende ging es nur noch darum, ob Markus Söder oder Hendrik Wüst den Königsmacher geben dürfen. Am vergangenen Wochenende soll Söder Merz angerufen und den Dienstag als Tag der Verkündung angeboten haben. Ort: Bayerns Landesvertretung in Berlin. Ein bisschen bajuwarische Bühne sollte schon sein. Söder wollte vor der Klausurtagung der CSU in Kloster Banz Fakten schaffen, da er dort sonst unter Zugzwang gekommen wäre. Das Wüst dann schon am vergangenen Montag seinen Landesvorstand über seinen Verzicht informierte und danach die Presse einlud, verärgerte Söder. So kam Wüst dem CSU-Chef zuvor, der jetzt nur noch nachziehen konnte.

Der Kandidat: Seine Stärken und seine Schwächen

Wo liegen die Stärken des Kanzlerkandidaten? Wo seine Schwächen? Wir listen auf, was Merz kann - und wo er verwundbar bleiben könnte.

Merz hat in der CDU wieder so etwas wie Teamgeist ausgelöst. Das mag überraschend klingen; nach seiner Rückkehr 2018 hatte Merz erstmal Merkels Regierung und das CDU-Establishment angegriffen. Aber über die Debatten ums neue Grundsatzprogramm ist es ihm gelungen, auch ehemalige Kritiker wieder einzubinden. Karl-Josef Laumann kann davon berichten, ebenso dessen Nachfolger an der CDA-Spitze, Dennis Radtke. Selbst Armin Laschet und Norbert Röttgen sind inzwischen eingebunden. Und Michael Kretschmer und Mario Voigt erleben zurzeit, dass ihnen Merz in den Koalitionsbemühungen ziemlich viel Vertrauen schenkt.

Dem CDU-Chef ist es außerdem gelungen, zur Konkurrenz auf persönlicher Ebene verlässliche Beziehungen aufzubauen. Mit Christian Lindner spricht er regelmäßig, aber seit geraumer Zeit pflegt er in Sachfragen auch einen belastbaren Gesprächskontakt zu SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Darüber hinaus bemüht er sich um stabile Gesprächsfäden zur Grünen-Spitze. Und er spricht regelmäßig mit den beiden Schlüsselakteuren der Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock. Wohlwissend, dass die Schnittmengen mit beiden in der Außen- und Sicherheitspolitik am größten sind. Merz hat eines verinnerlicht: er wird auf alle Fälle Partner aus der politischen Mitte brauchen.

Und Merz steht bis heute im Kampf gegen die AfD: keine Gespräche, keine Nähe, keine Kooperationen. Kritiker werfen ihm bis heute vor, er verwende das Vokabular der Extremisten. Aber in der eigenen Partei ist dieser Vorwurf leiser geworden. Dabei versucht der CDU-Chef einen Drahtseilakt. Im Kampf gegen die illegale Migration setzt er noch immer auf Zurückweisungen an den Grenzen für alle, die keine gültigen Papiere haben. Zugleich würde er das

Thema am liebsten beruhigen, bevor der eigentliche Wahlkampf beginnt. Seine Sorge: Wenn Probleme ungelöst bleiben, wird 2025 nur die AfD profitieren.

Friedrich Merz’ größte Schwäche ist bis jetzt Friedrich Merz. Also seine Unberechenbarkeit. Er kann unerbittlich nachtragend sein, wenn ihn Parteifreunde (oder Journalisten) mit scharfer Kritik angehen oder Interna verbreiten. Die beste Wahlkampfstrategie sei es, dass Merz bis zum 28. September 2025 keine Interviews mehr gibt, ist ein gängiger Scherz in der CDU. Dann könne der Chef auch nicht wieder „einen raushauen“.

Der emotionale Ausbruch des Fraktionsvorsitzenden vor einem Jahr, als sich der Widersacher Hendrik Wüst mit einem Gastbeitrag in der FAZ als bessere Alternative positionierte, wurde in der Fraktion breit erzählt. Es war Wolfgang Schäuble, der Merz damals beruhigen musste, damit er nicht hinschmeißt. Das Merkel’sche Machtprinzip: Gegner einfach mal ignorieren, hat Merz erst in den letzten Monaten verinnerlicht.

Bei Frauen und jungen Menschen hat der CDU-Chef laut Umfragen die größten Akzeptanzprobleme. Laut Forsa würden nur 9 Prozent der jüngeren Frauen Merz zum Kanzler wählen. CDU-Vize Karin Prien kennt diese Zahlen natürlich. „Es wird noch Überzeugungsarbeit zu leisten sein“, sagte sie Table.Briefings. „Er wird darauf achten müssen, dass er breite Kreise anspricht. Es ist in erster Linie eine Frage der Ansprache, nicht der Themen.“

Bleibt die inhaltliche Strategie. Der Sozialflügel und die ehemaligen Merkelianer wollen keinen wirtschaftsliberalen Radikalkurs. Hier wird Merz Abstriche an seiner wirtschaftsliberalen Agenda machen müssen. Seinen alten politischen Gassenhauer, die radikale Steuerreform auf einem Bierdeckel, hat er bereits abmoderiert. „Das geht heute so alles nicht mehr“, sagte er vergangene Woche beim Chemie-Summit. Auch beim Kündigungsschutz und in der Rentenpolitik sind radikale Forderungen von ihm nicht mehr zu hören.

Der Merz des Jahres 2024 – so lautet seine Botschaft – ist nicht mehr der Merz der 2000er-Jahre.

Im Podcast analysieren wir die Nominierung Merz’ zum Kanzlerkandidaten. Dazu sprechen wir mit CDU-Vize Karin Prien, Ex-CSU-Chef Horst Seehofer, der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und dem Merz-Vertrauten und Unternehmer aus dem Sauerland, Arndt G. Kirchhoff.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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