Analyse
Erscheinungsdatum: 03. März 2024

Luftwaffen-Leak: Eine Horrorwoche für die Sicherheitspolitik

Hochrangige Bundeswehrvertreter haben in einer offenbar ungesicherten Videokonferenz über Details zum Marschflugkörper Taurus diskutiert. Die Armee hat nun ein Problem – aber auch der Kanzler, der wegen Äußerungen über die Waffen von Briten und Franzosen ohnehin schon in der Kritik steht.

Es ist der bittere Abschluss einer Horrorwoche für die Sicherheitspolitik. Erst schoss die Fregatte „Hessen“ im Roten Meer auf ein unbekanntes Flugobjekt, das sich als Reaper-Kampfdrohne der USA herausstellte. Die beiden millionenteuren Abfangraketen zerlegten sich dabei. Dann erklärte Olaf Scholz seine Gründe gegen eine Taurus-Freigabe und erwähnte dabei Beteiligungen Großbritanniens und Frankreichs beim Einsatz ihrer Marschflugkörper in der Ukraine. Damit brachte er London gegen sich auf. Paris war sauer, weil Scholz Erwägungen von Emmanuel Macron zu westlichen Bodentruppen in der Ukraine hart dementierte.

Und nun das Leak an Russland: Vor zwei Wochen besprach sich Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz mit Offizieren aus dem Kommando Luftwaffe im Videocall. Es ging unter anderem darum, was die Bundeswehr der Regierung für den Fall anbieten könnte, dass diese doch Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine liefern würde. Für die detaillierte Debatte per Konferenzsystem zugeschaltet war auch Brigadegeneral Frank Gräfe, Abteilungsleiter Einsatz im Luftwaffenkommando – aus seinem Hotel in Singapur. War das WLAN-Netz des Hotels das Einfallstor für die mithörenden russischen Agenten? Russische Staatsmedien stellten deren Mitschnitt ins Internet.

Am Sonntag räumte eine Sprecherin von Boris Pistorius ein: „Es gibt Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die besprochenen Inhalte gegebenenfalls ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde“. Am Sonntagmorgen hatte der Minister die Beteiligten ins Ministerium bestellt, alle Geräte sollten inspiziert, mögliche Konsequenzen besprochen werden.

Die russische Veröffentlichung kam gezielt, das Material hatte Moskau ja längst. Aber der Zweck scheint erreicht: Auch im Westen wird nun der Inhalt der Luftwaffenbesprechung als vorgeblicher Beleg für den Krieg der Nato und besonders Deutschlands gegen Russland diskutiert. „Derlei Planspiele verbieten sich sicherheitspolitisch, sind eindeutig strafbewehrt und müssen Konsequenzen haben“, schrieb der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch. Einige AfD-Politiker stellten Strafanzeige „wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs“. Die Unionsfraktion im Bundestag beantragte eine schnelle Befassung des Verteidigungsausschusses, „für eine umfassende Aufklärung ist die Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers bei der Sondersitzung erforderlich“.

Der Verteidigungsminister erklärte am Sonntagnachmittag in einem Pressestatement : „Das war deutlich mehr als das Abhören und Veröffentlichen eines Gesprächs.“ Das Luftwaffen-Leak sei Teil des Informationskriegs des russischen Präsidenten Wladimir Putin, ein hybrider Angriff, „um unsere Geschlossenheit zu untergraben“. Jetzt komme es darauf an, „besonders besonnen zu reagieren, aber nicht weniger entschlossen“ – um „Putin nicht auf den Leim zu gehen“. Konsequenzen aus der Abhöraffäre will Pistorius dann auch erst ziehen, wenn in den nächsten Tagen ein Bericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) vorliegt.

Die Offiziere haben das getan, wofür sie da sind , mehr sagte der Minister nicht zum Inhalt des abgehörten Gesprächs. Wer sich die Mühe macht, das 38 Minuten lange Audio-Dokument anzuhören, kommt zum Schluss: Hier besprechen Soldaten einer demokratisch legitimierten Streitkraft, welche Optionen sie der Politik anbieten können – im klaren Wissen, dass am Ende die Politik entscheidet. Luftwaffeninspekteur Gerhartz und seine Offiziere planten ein Briefing für den Verteidigungsminister, um ihm das Für und Wider einer deutschen Taurus-Lieferung im Detail zu erläutern – bis hin zu Hinweisen, wie viele Grafiken die dazu gehörende Powerpoint-Präsentation haben sollte. Und mit der Aussage: Einen Einsatz des Marschflugkörpers würden die Ukrainer vermutlich auch ohne direkte Beteiligung deutscher Soldaten hinbekommen. Es wäre nur viel, viel schwieriger.

Der politische Schaden ist da. Für Bundeswehr und Ministerium ist ein Problem, dass in dem abgehörten Gespräch auch technische Details zur Sprache kamen, die eigentlich noch nicht mal über eine halbwegs gesicherte Verbindung diskutiert werden sollten. Das vermutlich verwendete Konferenzsystem WebEx ist selbst in sicheren Kommunikationskanälen nur für die Sicherheitseinstufung „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ zugelassen. Was in der abgehörten Konferenz besprochen wurde, klingt aber eindeutig nach einer deutlich höheren Einstufung. Denn selbst wenn das russische Militär schon wusste, wie genau ein Taurus treffen kann: Den Streukreisradius, im Militär-Englisch als Circular Error Probable (CEP) bezeichnet, noch einmal vom deutschen Luftwaffenchef bestätigt zu bekommen – unbezahlbar.

Korrekturhinweis 4. März 2024: In diesem Text stand zunächst, dass im Videocall ein Briefing für den Bundeskanzler vorbereitet wurde. Tatsächlich ging es um ein Briefing für den Verteidigungsminister. Wir bitten um Entschuldigung.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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