Analyse
Erscheinungsdatum: 10. April 2023

Lobbycontrol-Campaignerin: „Wer Regeln aufstellt, muss sie auch umsetzen“

Okan Bellikli, Malte Kreutzfeldt
Christina Deckwirth ist Campaignerin bei der NGO Lobbycontrol, die gerade einen Bericht über „Die Macht der Gaslobby“ veröffentlicht hat. Im Interview spricht sie über die Baustellen der Ampel in Sachen Korruption, Transparenz und Lobbyismus.

Frau Deckwirth, meistens kritisiert Lobbycontrol die Regierung. Gibt es auch etwas, was sie gut macht?

Christina Deckwirth: Wir waren erst mal sehr erfreut, dass Lobbyregulierung ein großes Thema im Koalitionsvertrag war und es offensichtlich Ambitionen gab, in Sachen Transparenz und Lobbykontrolle voranzugehen. Da ist allerdings nicht so viel passiert. Das kann man natürlich durch den Krieg in der Ukraine und andere Dinge erklären, wie bei so vielen Themen. Aber trotzdem zeigt das natürlich, dass der Bereich offenbar doch nicht so hoch auf der Agenda steht wie andere.

Erstmals seit 20 Jahren sind die Grünen wieder an der Bundesregierung beteiligt. Sind sie weniger anfällig für Lobbyeinflüsse als andere Parteien?

Bei den bürgerlichen Parteien ist die Nähe zu Wirtschaftsakteuren schon sehr viel größer. Aber je mehr die Grünen an Regierungen beteiligt sind, desto interessanter werden sie auch für die Lobbygruppen.

Bei den Grünen gibt es dafür eine größere Nähe zu anderen Akteuren: Ehemalige Führungskräfte von Greenpeace, Agora Energiewende und Attac sitzen als Staatssekretäre in grün geführten Ministerien. Wie kritisch sehen Sie das?

Grundsätzlich weniger kritisch als die umgekehrten Wechsel aus der Politik auf Lobbyposten. Als Jörg Kukies von Goldman Sachs ins Finanzministerium gewechselt ist, haben wir das nicht so stark kritisiert wie umgekehrte Wechsel in Lobbyjobs hinein. Denn in diesem Fall besteht immer die Gefahr, dass Kontakte und Erfahrungen aus dem Amt sozusagen „vergoldet“ werden. Zudem ist es aus unserer Sicht schon ein Unterschied, ob man zuvor Gemeinwohlinteressen vertreten hat oder die Interessen eines Wirtschaftsunternehmens. Trotzdem soll man auch dort genau hinschauen: Hat Greenpeace privilegierte Zugänge zum Außenministerium, seit Jennifer Morgan dort Staatssekretärin ist? Oder Agora im Wirtschaftsministerium?

Und?

Das Wirtschaftsministerium zeigt sich zum Beispiel in Bezug auf Gas nicht gerade besonders offen für die Anliegen von Umweltverbänden, nur weil Patrick Graichen dort Staatssekretär ist.

Zum Einfluss der Gaslobby haben Sie eine Studie veröffentlicht, an der es auch Kritik gibt. Ist die Anzahl der Gespräche zwischen Regierung und Gaswirtschaft im vergangenen Jahr ein gutes Kriterium für Lobbyeinfluss? Schließlich drohte eine Versorgungskrise.

Ja, es gab einen sehr kritischen Artikel in der Welt, der aus unserer Sicht eher substanzlos und diffamierend war. Darüber hat sich vor allem die fossile Lobby gefreut und den Artikel fleißig in den sozialen Medien geteilt. Aber zurück zu der Frage nach den Treffen: Natürlich waren wegen der Gaskrise viele Treffen mit der Branche erforderlich. Das haben wir auch so kommuniziert. Aber es ist schon wichtig zu schauen, ob dabei auch andere Stimmen zu Wort kommen. Gerade beim Thema LNG scheint das nicht der Fall zu sein; da wurden kritische Akteure viel zu wenig angehört. Das Wirtschaftsministerium ist schließlich nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den Klimaschutz zuständig.

Die Studie kritisiert, dass Gas als „Brückentechnologie“ bezeichnet wird. Aber ist das nicht zutreffend? Alle Szenarien sagen, dass Gas noch eine ganze Weile gebraucht wird.

Wir bewerten das nicht inhaltlich, sondern wir schauen auf das Narrativ. Und da ist das Bild von der Brücke, das auch schon für die Atomkraft genutzt wurde, erst mal ein positives. Man könnte ja stattdessen auch von Auslauftechnologie sprechen, das wäre etwas ganz anderes.

Ein anderes Thema: Wurde die Maskenaffäre ausreichend aufgearbeitet? In Bayern läuft noch ein Untersuchungsausschuss, das Bundesgesundheitsministerin steht wegen Intransparenz in der Kritik, Georg Nüßlein und Alfred Sauter durften ihr Geld behalten.

Die letzte Bundesregierung hat da viele Konsequenzen gezogen, das war ein Durchbruch sowohl mit Blick auf das Lobbyregister als auch die Abgeordnetenregeln. Es sind aber Punkte offengeblieben und die stehen eben im Koalitionsvertrag der Ampel. Zum Beispiel eine Erweiterung des Registers und eine Ausweitung des Paragrafen 108e Strafgesetzbuch zur Abgeordnetenbestechung. Da geht es jetzt darum, Bestehendes zu verbessern – und das hängt ein bisschen.

Geht es gar nicht voran?

Es laufen Gespräche. Thema war da zum Beispiel auch die Finanzierung von Organisationen durch Spenden, was vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen wie uns trifft. Da gab es eine Unwucht im Lobbyregister, weil Wirtschaftsverbände bisher weniger offenlegen müssen. Hier ist es wichtig, dass die Ampel Lücken schließt, damit auch die Finanzierung von solchen Verbänden transparenter wird. Zugleich sollten Finanzangaben nicht mehr wie bisher verweigert werden können.

Immer wieder für Schlagzeilen sorgen sogenannte Seitenwechsler. Der frühere Büroleiter von Annalena Baerbock wurde RWE-Cheflobbyist, ein langjähriger Mitarbeiter von Jens Spahn ging zu Biontech. Ist das ein Problem?

Ja, dazu stand zum Beispiel nichts im Koalitionsvertrag. Das wird ja immer erst nach dem Regierungswechsel aktuell oder vielleicht kurz vorher, wenn Leute schon mal Jobs annehmen. Wobei es für Angehörige der Bundesregierung auch eine sogenannte Karenzzeit gibt. Die wurde 2015 beschlossen, nachdem es große Skandale gab – der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla etwa wurde Cheflobbyist der Deutschen Bahn.

Es gibt ein prominent besetztes Karenzzeit-Gremium, das über solche Fälle wacht: Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle und Ex-Grünen-Fraktionschefin Krista Sager. Die Vorgaben gelten aber nur für Minister und Parlamentarische Staatssekretäre.

Ja, es wäre auch wichtig, auch politische Beamte in den Ministerien einzubeziehen, etwa Abteilungsleiterinnen und -leiter. Ein Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums, Thorsten Herdan, wechselte kurz nach dem Regierungswechsel in ein E-Fuels-Unternehmen, das zuvor Gelder aus dem Wirtschaftsministerium bekommen hat. Solche Fälle gibt es immer wieder.

Werden Verstöße ausreichend geahndet? Die Bundesregierung sagt, Sanktionen seien nicht notwendig, weil ehemalige Ministerinnen und Minister grundsätzlich rechtstreue Menschen seien.

Das ist der Tat nicht überzeugend! Wer Regeln aufstellt, muss sie auch umsetzen. Sanktionen würden hier klar signalisieren: Diese Regeln sind wichtig. Gibt es keine Folgen, wenn man sich nicht dran hält, wird das eher als Kavaliersdelikt gesehen. Für die fehlenden Sanktionen wird die Bundesregierung auch von internationalen Organisationen kritisiert.

Das Antikorruptionsgremium des Europarats hat gerade einmal mehr die Bundesregierung gerügt, sie tue nicht genug gegen Korruption. Warum geht es da nicht voran?

Das müssen Sie die Bundesregierung fragen! Aber im Ernst: Wie schon gesagt, Krieg und Energiekrise haben sicherlich die Prioritäten verschoben. Es zeigt sich aber auch, dass es im Detail dann doch sehr unterschiedliche Positionen zwischen den Koalitionspartnern gibt, das führt zu Blockaden. Und es geht ja an vielen Stellen darum, der Politik selbst Auflagen zu geben und den eigenen Handlungsraum zu beschränken; das ist natürlich schwierig. Das gelingt leider meist erst dann, wenn es gerade mal wieder einen Lobbyskandal gibt und der öffentliche Druck hoch ist.

Und wie geht es weiter mit der Parteienfinanzierung? Das Bundesverfassungsgericht hat etwa die Anhebung der „absoluten Obergrenze“ kürzlich für verfassungswidrig erklärt.

Da gibt es für uns zwei wichtige Aspekte. Zum einen fordern wir ein Nachschärfen beim Sponsoring, weil das ein klares Schlupfloch im Parteiengesetz ist. Unternehmen nutzen es häufig, um Transparenzpflichten zu umgehen. Das Thema steht auch im Koalitionsvertrag drin, insofern haben wir da Hoffnung, dass etwas vorangeht. Wo dagegen nichts passiert, ist das Thema Spendendeckel: In anderen Ländern gibt es sowas, hier kann man unbegrenzt spenden.

Sie fordern unter anderem eine Offenlegungspflicht für Lobbykontakte. Wo zieht man da die Grenze, was darunterfällt und was nicht?

Hier können die bestehenden Regeln bei der EU-Kommission Vorbild sein. Dort werden Lobbytermine dokumentiert und veröffentlicht – samt Thema des Treffens. Dabei geht es um geplante Treffen mit Bezug zu laufenden Gesetzgebungsverfahren und nicht etwa um spontane Treffen im Aufzug oder beim Bier. Es gibt also Vorbilder, hier muss die Bundesregierung das Rad nicht völlig neu erfinden. Zusätzlich zu transparenten Lobbyterminen braucht es außerdem eine Lobby-Fußspur für Gesetze, die alle relevanten schriftlichen Eingaben zu einem Gesetzesvorhaben öffentlich macht. So wird besser nachvollziehbar, wer im Gesetzgebungsprozess Einfluss genommen hat und was jeweils aufgenommen wurde.

Allgemein kritisieren Sie, dass die Bundestagsverwaltung als unabhängige Kontrollinstanz nicht in Frage kommt. Wer dann?

Es bräuchte so etwas wie einen Lobbybeauftragten und unabhängig davon mehr Ressourcen für die Aufsicht. Das sieht man aktuell bei den neuen Abgeordnetenregeln. Die MdBs müssen schrittweise alle ihre Nebentätigkeiten offenlegen und da merkt man: Da gibt es Lücken und zu wenig Personal, das das überprüft.

Die Verwaltung hat die meisten Parteispenden von 2021 noch immer nicht veröffentlicht und spricht von einem „Bearbeitungsstau“. Man plane daher Reformen bei der Veröffentlichungspraxis, heißt es. Was würden Sie konkret empfehlen?

Es kann nicht sein, dass Parteispenden zuweilen erst zwei Jahre nach ihrem Eingang veröffentlicht werden. Deswegen fordern wir, die Grenzen, ab der Spenden sofort veröffentlicht werden müssen, herabzusetzen: von derzeit 50.000 Euro auf 10.000 Euro. Das würde das Problem zumindest zum Teil lösen. Im 21. Jahrhundert sollte es doch auch sonst technisch möglich sein, Daten der verschiedenen Parteigliederungen schneller zusammenzuführen. In anderen Ländern gibt es in Wahlkampfzeiten teilweise sogar wöchentliche Updates über Spendeneingänge. Denn gerade in Wahljahren, in denen besonders viele Spenden fließen, braucht es Transparenz.

Die EU galt in Sachen Lobbyregierung bisher als Vorbild für Deutschland. Wie stark hat der aktuelle Skandal im Europaparlament diesen Eindruck getrübt?

Der Skandal ist natürlich krass. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es sowas auf deutscher Ebene gibt, wobei die Maskenaffäre auch in diese Richtung ging. Aber dass wirklich Geldkoffer gefunden wurden, war ja wie in einem schlechten Film. Das ist auch deswegen so fatal, weil die Europäische Union in Sachen Regulierung bisher zum Teil eben ein Vorbild für uns ist – obwohl es natürlich auch in der EU unausgewogenen Einfluss und große Macht von Lobbygruppen gibt. Aber der Skandal legt auch hier Regulierungslücken offen: Das EU-Lobbyregister ist eben nicht wirklich verpflichtend, da ist Deutschland inzwischen sogar weiter. Und auch in Brüssel sehen wir klar: Die besten Regeln helfen nichts, wenn es an wirksamer Kontrolle und Aufsicht fehlt. Die EU muss nun alles dafür tun, Vertrauen wiederherzustellen. Das Parlament hat hier schon einen guten Vorschlag für eine unabhängige Ethik-Aufsichtsbehörde gemacht, der Ball liegt nun bei der Kommission.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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