Es ist ein in mehrfacher Hinsicht erstaunlicher Brief, den Wirtschaftsminister Robert Habeck Anfang Mai an den Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Meyer, geschrieben hat. In dem Schreiben, das die Deutsche Umwelthilfe in dieser Woche veröffentlicht hat, wirbt Habeck für eine schnelle Realisierung des LNG-Terminals auf Rügen. Während die Verantwortlichen auf Rügen und in Mecklenburg-Vorpommern es ebenso wie Umweltverbände entschieden ablehnen, hält Habeck es für „dringend erforderlich“.
Das erste Problem ist, dass der Wirtschaftsminister in seinem Brief mit einer irreführenden Zahl argumentiert. Der Wirtschaftsminister schreibt, das Terminal werde unter anderem benötigt, weil „nach wie vor eine Jahresmenge von bis zu 40 Mrd. Kubikmeter aus Russland in die EU eingeführt wird“. Wie Habeck selbst hinzufügt, enthält diese Zahl aber nicht nur russisches Pipeline-Gas, sondern auch flüssiges LNG, das per Schiff aus Russland kommt. Und um dieses zu ersetzen, sind keine zusätzlichen LNG-Terminals erforderlich, sondern nur andere Lieferanten.
Per Pipeline kommt sehr viel weniger Gas aus Russland. Eine aktuelle Übersicht des Brüssler Thinktanks Bruegel zeigt, dass es in den letzten Monaten rund 50 Millionen Kubikmeter pro Woche in die EU importiert wurden; das entspricht einer Jahresmenge von 26 Milliarden Kubikmeter. Doch auch diese Zahl ist noch zu hoch. Denn über das Terminal vor Rügen versorgt werden sollen dem Schreiben zufolge innerhalb der EU nur Tschechien, die Slowakei und Österreich. Diese Länder sind mit Russland über die Ukraine-Transit-Pipeline verbunden; über diese kamen zuletzt nur noch 260 Millionen Kubikmeter Gas pro Woche in die EU, was einer Jahresmenge von 14 Milliarden Kubikmeter entspricht. Die restliche Menge kommt über die Turkstream-Pipeline, die in der Türkei endet, von wo Gas nach Südeuropa weitergeleitet wird.
Der Bedarf der Nachbarländer Deutschlands, der von Rügen aus mit gedeckt werden könnte, ist also sehr viel geringer als von Habeck angegeben. Statt um 40 Milliarden Kubikmeter geht es nur um 14 Milliarden. Selbst wenn noch ein möglicher Bedarf der Nicht-EU-Staaten Ukraine und Moldawien berücksichtigt wird, kommt man auf maximal 20 Milliarden Kubikmeter. Bereits im Februar hatte eine Berechnung des Wirtschaftsministeriums ergeben, dass der Bedarf Deutschlands und seiner Nachbarländer auch ohne ein LNG-Terminal vor Rügen jederzeit gedeckt werden könnte. Habeck schreibt dennoch, dieses sei noch vor dem kommenden Winter „aus Versorgungssicherheitsgründen dringend erforderlich“.
Die zweite Auffälligkeit: Habeck schreibt, bei der „Prüfung der Genehmigungsunterlagen sollten aus meiner Sicht schon vorausschauend die Ergänzungen und Anpassungen aus dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zum LNGG berücksichtigt werden“. Gemeint ist das LNG-Beschleunigungsgesetz, das für LNG-Projekte Ausnahmen bei Umweltverträglichkeitsprüfung und Klagemöglichkeiten vorsieht. Der Wirtschaftsminister fordert also, dass die Behörden bereits von diesen Ausnahmen ausgehen, bevor der geplante Standort im Hafen Mukran auf Rügen zusätzlich ins Gesetz aufgenommen wird.
Ob das geschieht, ist allerdings offen. Denn nicht nur auf Rügen gibt es breite Kritik am Terminal; auch innerhalb der Grünen-Bundestagsfraktion bezweifeln viele Abgeordnete dessen Notwendigkeit. Ende März hatte der Haushaltsausschuss des Bundestags einen Großteil der Mittel für das Projekt nicht freigegeben. Grünen-Haushälter Sven Kindler erklärte, zunächst sei eine „umfassende Prüfung notwendig, insbesondere der Auswirkungen auf den Naturraum Ostsee, die Kosten und die grundsätzliche Notwendigkeit“. Zudem hat die Deutsche Umwelthilfe rechtliche Schritte gegen die Planung angekündigt.
Zumindest einen Teilerfolg haben die Kritiker der LNG-Pläne bereits erzielt: Die Pläne wurden deutlich abgespeckt. Im Dezember 2022 ging die Bundesregierung in einem internen Bericht vor Lubmin beziehungsweise Rügen noch von fünf LNG-Terminals mit einer Gesamtkapazität von fast 40 Milliarden Kubikmeter pro Jahr aus. Im Januar sprach sie in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion von vier Terminals mit einer Kapazität von 27 Milliarden Kubikmeter aus. In Habecks Schreiben ist jetzt nur noch von zwei Terminals mit einer Kapazität von zehn Milliarden Kubikmetern die Rede.
Eine weitere Neuigkeit gibt es beim Betreiber: Diese Rolle sollte bei den staatlich finanzierten Terminalschiffen ursprünglich der Energiekonzern RWE übernehmen, doch der hatte kürzlich deutlich gemacht, dass er daran kein Interesse mehr hat. Einspringen soll nun die Deutsche Regas, die seit Jahresbeginn auf eigene Rechnung bereits ein Terminalschiff im Hafen von Lubmin betreibt, das wegen der fehlenden Wassertiefe mit kleinen Pendelschiffen versorgt wird. Nun soll Regas auch das geplante staatliche Terminal auf Rügen organisieren und sein eigenes Terminalschiff nach Möglichkeit ebenfalls von Lubmin nach dort verlegen.
Dass die Deutsche Regas nun vom Bund mit dieser Aufgabe betreut wird, ist erstaunlich, denn das Unternehmen ist völlig neu am Markt : Es wurde erst im letzten Jahr vom Potsdamer Steuerberater Stephan Knabe und dem Investmentbanker Ingo Wagner gegründet. Organisiert ist sie als GmbH Co. KGaA – eine Rechtsform, bei der ein Unternehmen wie eine Aktiengesellschaft agieren kann, bei der die Haftung aber auf das Grundkapital der GmbH beschränkt ist. Bei der Deutschen Regas betrug dies laut Handelsregister im Dezember 2022 rund 2,6 Millionen Euro – angesichts der großen Risiken des Geschäfts eine winzige Summe.