Die Losung, die der Bundesfinanzminister ausgegeben hat, ist klar: Sparen, sparen, sparen. Nach Bundeswehr-Sondervermögen und Energiekrisen-Doppelwumms will Christian Lindner so schnell wie möglich zu dem zurückkehren, was er im Wahlkampf versprochen hat: einer grundsolide Haushaltsführung. Keine Rettungsmaßnahmen und keine Nebenhaushalte sollen auf diese Botschaft Schatten werfen.
So hat es Lindner öffentlich gesagt, zuletzt im ungewöhnlichen Briefwechsel mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Und sein für Haushalt zuständiger Staatssekretär Werner Gatzer hatte es den Chefs der Ministerien vor einigen Wochen in einer internen Runde auch mit harschen Worten eingetrichtert.
Umso mehr will und wird Lindner an einem Punkt festhalten: dem Kapitalstock zum Aufbau für eine private Rente. Dieses Projekt haben die Liberalen schon mit Nachdruck in den Koalitionsvertrag geschrieben. Und weil sie schon lange um die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Rente fürchten, setzten sie auch durch, dass in dieser Legislatur mit dem Einstieg begonnen wird. Angestrebte Startsumme für die Aktienrente, die bei Lindner Generationenkapital heißt: zehn Milliarden Euro.
Gemessen an den Finanzproblemen der Rentenversicherung ist das nicht viel mehr als ein kleiner Tropfen; gemessen an den Belastungen für den Haushalt aber ist es eine erhebliche Summe. Und das umso mehr, seitdem in den letzten Wochen weitere Wünsche öffentlich wurden, darunter die Kindergrundsicherung aus dem Familienministerium und zusätzliche Forderungen des neuen Verteidigungsministers. Auch diese Forderungen umfassen jeweils mindestens zehn Milliarden Euro.
Um seinen Wunsch trotzdem zu verwirklichen, überlegt Lindner sehr ernsthaft, Bundesbeteiligungen an großen Unternehmen, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gehalten werden, an den Sonderfonds zu übertragen. Prinzipiell kämen dafür drei Unternehmen infrage. Man könnte Anteile an der Commerzbank, an der Telekom oder an der Deutschen Post mit dem weltweit agierenden Logistikdienstleister DHL verwenden. Bei genauerem Hinsehen sind zwei der drei Möglichkeiten eher unwahrscheinlich.
Die Commerzbank kommt als Option kaum infrage, weil sie vermutlich viel zu wenig abwerfen würde. Der Verkauf der Telekom-Anteile ist von Lindner persönlich schon mal ausgeschlossen worden, weil die Bundesregierung dieses Unternehmen als Teil der „kritischen Infrastruktur“ einstuft und deshalb nicht aus der Hand geben würde. Es spricht wenig dafür, dass sich in Zeiten von Ukraine-Krieg und China-Problemen an dieser Sicht etwas ändert.
Bleibt aktuell die Deutsche Post DHL Gruppe als weltweit größte Spedition. An ihr hält der Bund derzeit gut 20 Prozent der Anteile. Nach gegenwärtigem Aktienkurs entspräche das einem Wert von rund zehn Milliarden Euro. Die Idee nun lautet: Diese Aktien in den geplanten Sonderfonds für das Generationenkapital zu überführen. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist offenbar in Arbeit.
Der Vorteil ist offensichtlich: Zunächst würde das Ganze kein großes Loch in den Haushalt reißen. Lindner müsste dafür nicht an anderer Stelle sparen oder gar Schulden aufnehmen. Das heißt auch, er würde der Ampel im sich ohnehin verschärfenden Konflikt um knappe Mittel Luft verschaffen – auch wenn aus Sicht des Finanzministers die Annahme ohnehin falsch ist, dass die geplanten Milliarden für die Aktienrente eine direkte Belastung wären, weil ihnen ein Gegenwert gegenübersteht. Daneben würde er mit diesem Schritt exakt das tun, was die Liberalen schon lange fordern: sich von Bundesbeteiligungen zu verabschieden und damit die Staatsquote zu senken. Der Finanzminister könnte ein akutes Bedürfnis mit einem langfristigen politischen Ziel verbinden.
Doch so verlockend die Vorteile vor allem in den Ohren der Liberalen klingen, so stellt sich doch die Frage, ob mit einem solchen Schritt nicht auch andere Konsequenzen verbunden wären.
Warum? Weil die Auslagerung in einen Fonds, zumal wenn eine Aktie einen derart dominanten Anteil in dem Fonds hätte, einen Fondsverwalter womöglich schnell zum Verkauf der Aktien zwingen könnte, um das Risiko zu reduzieren. Das sogenannte Klumpenrisiko ist seit den Krisen mit Russland und China zum geflügelten Wort geworden. Die Lehre: Bloß nicht zu sehr auf ein einziges Bein setzen. Der entstehende Druck könnte zu einem unkontrollierten Abverkauf der Bundesanteile führen und sich negativ auf den Aktienkurs der Deutschen Post auswirken.
Außerdem wäre die Gefahr vorhanden, dass sich mit dem offiziellen Ausstieg des Bundes weitere Wettbewerbsnachteile verbinden. Nicht, weil der Bund ein besonders guter Unternehmer wäre, sondern weil sich mit ihm als Besitzer der Status als deutsches und europäisches Unternehmen verbindet. Ginge das verloren, könnte das für den Weltmarktführer bei Paketdiensten und Logistik einen Wettbewerbsnachteil schaffen, dessen Konsequenzen nur schwer einzuschätzen sind. So sind mit dem Status als europäisches Unternehmen unter anderem Lande- und Überflugrechte verbunden, die für ein globales Transportunternehmen zur unverzichtbaren Grundausstattung gehören.
Hinzu kommt, dass insbesondere Wirtschafts- und Sicherheitsexperten ein Unternehmen wie die Deutsche Post DHL Gruppe inzwischen für einen Teil der kritischen Infrastruktur halten. Spätestens seit der Pandemie und noch mehr seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine hat die Sicherung von Lieferketten größte strategische Bedeutung. Hier ähnelt die Bedeutung der Deutschen Post mit DHL inzwischen jener der Telekom.
Das alles fällt mit einem aktuellen Tarifkonflikt und einer anstehenden Novelle des Postgesetzes zusammen. Beides kann die Ausgangslage womöglich noch einmal für alle ändern. Verdi fordert derzeit für die rund 160.000 Mitarbeiter der Deutschen Post AG eine Lohnsteigerung von 15 Prozent. Deshalb wächst in dem Konzern offenbar die Neigung, seine Exklusivität bei der Postauslieferung zu beenden und künftig Briefe und Pakete auch von privaten Zustellern ausliefern zu lassen. Für Verdi ist das von jeher ein rotes Tuch. Im Ärger über die hohen Lohnforderungen und die damit verbundenen Personalkosten hat Personalvorstand Thomas Ogilvie das bisherige Geschäftsmodell in einem Interview bereits offen infrage gestellt. Er denkt laut darüber nach, die Fremdvergabe der Zustellung von Briefen in Ballungsgebieten an andere Zustelldienste wie die PIN AG zu vergeben.
Auch die in einem Eckpunktepapier des Wirtschaftsministeriums vorgezeichnete Reform des Postgesetzes, die den Brief- und Paketmarkt mit einem Volumen von rund 18 Milliarden Euro neu strukturieren soll, könnte dazu führen, dass für den Postkonzern das Geschäftsmodell immer weniger attraktiv wird. Die dort postulierte Wettbewerbsförderung läuft darauf hinaus, die Marktanteile der Post zu verringern und Wettbewerbern mehr Geschäft zu ermöglichen. Das kann die Tendenz des Unternehmens noch verstärken, sich mittelfristig aus dem ohnehin schwierigen Briefmarkt zu verabschieden.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass vom Unternehmen wie von den politischen Entscheidern über kurz oder lang die Frage gestellt wird, ob die Deutsche Post noch die Post für Deutschland sein muss. Das Unternehmen demonstriert inzwischen – nach anfänglich heftigen Interventionsversuchen – Gelassenheit. Zumindest nach außen. Umstrukturierungen ließen sich womöglich einfacher umsetzen, wenn der Bund mit seinen politischen Interessen nicht mehr Anteilseigner mit Sitz im Aufsichtsrat und großem Stimmenanteil in der Hauptversammlung ist. Da könnten die Interessen von Lindner und Konzern womöglich sogar zusammenfallen.
Im Koalitionsvertrag wird die Post allerdings noch als wichtiger Mitspieler auf dem Weg zu mehr Klimaneutralität bezeichnet. Ob diese Rolle mit den Plänen von Lindner noch in Einklang zu bringen wären, erscheint eher zweifelhaft. Noch ist der Plan nicht in die Ressortabstimmung gegangen. Spätestens dann müssen sich das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium die Frage stellen, ob sie diesen Schritt mit seinen möglichen Konsequenzen mitgehen möchten.