Anfang September hatten Auswärtiges Amt und Bundesarbeitsministerium Besuch aus dem US-amerikanischen State Department: Kelly Fay Rodríguez, Sondergesandte für internationale Arbeitsbeziehungen, war zu Gesprächen in Berlin. Ein Thema der Reise: der Umgang deutscher Unternehmen mit ihren Beschäftigten in den USA. Bei VW etwa stehen in den kommenden Wochen Tarifverhandlungen an. Im April haben sich die Beschäftigten des Werks in Chattanooga, Tennessee, bei einer Wahl für eine gewerkschaftliche Interessenvertretung entschieden. Es war das erste Mal in der Branche, dass im Süden des Landes bei einem Autohersteller eine Arbeitnehmervertretung zustande kam.
Im Fokus steht derzeit auch ein weiteres Werk in der Region: das von Mercedes-Benz in Vance, Alabama. Dort stimmten die Arbeiterinnen und Arbeiter im Mai mehrheitlich mit Nein. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW), die parallel zu Fay Rodríguez mit einer Delegation in Berlin war, behauptet, das Management habe die Belegschaft mit unfairen Methoden eingeschüchtert. Sie sieht darin einen Verstoß gegen das Lieferkettengesetz, dem zufolge „die Gründung, der Beitritt und die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht als Grund für ungerechtfertigte Diskriminierungen oder Vergeltungsmaßnahmen genutzt werden dürfen“.
Die UAW hat deshalb Beschwerde beim deutschen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingelegt. Die im Geschäftsbereich des BMWK liegende Behörde ist zuständig für die Umsetzung des Gesetzes. Sie hat laut der Gewerkschaft schon vor Monaten Ermittlungen eingeleitet – äußert sich auf Anfrage jedoch nicht zum aktuellen Stand: Es könne „keine Auskünfte über seine Kontroll- und Prüfprozesse oder zu etwaigen Beschwerden gegen einzelne Unternehmen geben“. Beschwerden würden vertraulich behandelt, der Antragsteller bekomme nach der Prüfung aber eine Rückmeldung – was UAW in dem Fall eben öffentlich machte.
Sollte das BAFA zu dem Schluss kommen, dass ein Verstoß vorliegt, drohen Mercedes Bußgelder von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes, also rund zwei Milliarden Euro. „Wir kooperieren vollumfänglich mit den zuständigen Behörden“, teilt ein Sprecher des Unternehmens mit. Die Belegschaft habe mehrheitlich gegen eine Vertretung durch die UAW gestimmt. Man bedauere, dass die Gewerkschaft die Entscheidung nicht akzeptiere.
Das AA gibt sich bedeckt. „Wir erwarten grundsätzlich, dass sich deutsche Unternehmen auch im Ausland an Recht und Gesetz halten“, ist alles, was die Diplomaten öffentlich zu den Vorwürfen und zum Besuch von Fay Rodríguez sagen möchten. Das BMAS verrät etwas mehr: Ein Vertreter des Hauses habe auf Einladung des BMWK an einem Treffen mit Rodríguez teilgenommen. Thema sei ein allgemeiner Austausch über das Lieferkettengesetz gewesen, inklusive Erfahrungen mit dessen Durchsetzung sowie die Lieferketten-Richtlinie der EU.
Um die Situation in den USA sowie um Einzelfälle sei es nicht gegangen, man wolle sich zu solchen auch nicht äußern und individuelle Beschwerden nicht bewerten. „Klar ist aber, dass die Koalitionsfreiheit für das BMAS von elementarer Bedeutung ist“, so ein Sprecher über das Recht von Arbeitnehmern, sich zusammenzuschließen.
Fay Rodríguez selbst will sich offiziell nicht einmischen und setzt auf Dialog. In Tennessee habe man gesehen, „dass Arbeitnehmer ihre Rechte auch wahrnehmen, wenn Unternehmen ihnen eine freie und faire Wahl ermöglichen“, sagte die Sondergesandte Table.Briefings. Sie verweist auf die Erfolge, die Arbeitnehmervertretungen zuletzt in den traditionell eher gewerkschaftsfeindlichen USA feiern konnten. Die größte Herausforderung bestehe darin, „das Momentum zu nutzen, um konkrete Ergebnisse zu erzielen“.
Mit Blick auf VW zum Beispiel sei die UAW auf dem besten Weg zu einem konstruktiven Miteinander in den Tarifverhandlungen, so die Politikerin, die bei ihrer Deutschland-Visite auch in Wolfsburg war. Sie traf neben Repräsentanten von Politik und Wirtschaft unter anderem Vertreterinnen der IG Metall – die sich klar auf die Seite ihrer US-Kollegen stellten. „Wir erwarten von deutschen Unternehmen in den USA Respekt vor dem Recht der Beschäftigten, sich in Gewerkschaften zu organisieren“, sagte die Erste Vorsitzende Christiane Benner auf Anfrage von Table.Briefings.
Die Metall-Gewerkschaft sieht das schwach verankerte Arbeitsrecht in den Vereinigten Staaten als grundsätzliches Problem: Viele Unternehmen würden Zusammenschlüsse durch Union Busting – so auch der Vorwurf gegen Mercedes – be- oder verhindern. Dabei übliche Methoden kämen inzwischen auch in Deutschland vor, etwa Abmahnungen und Kündigungen aus fadenscheinigen Gründen oder Drohungen von Vorgesetzten à la „Deine Stimme für die Gewerkschaft bedeutet: keine Investitionen, weniger Geld“.
Ein Unterschied zu den USA bleibt aber: Manches, was dort einzeln im Tarifvertrag auf Betriebsebene verhandelt werden muss, ist in Deutschland gesetzlich geregelt – allen voran elementare Punkte wie die Krankenversicherung, ein Betriebsrat sowie die betriebliche Altersvorsorge. Die UAW hat unterdessen eine Niederlage gegen ein weiteres deutsches Unternehmen erlitten, dem es Einschüchterungstaktiken vorwirft: Die Beschäftigten von Webasto nahe Detroit, Michigan, stimmten Mitte September gegen eine Vertretung durch die Gewerkschaft.