Analyse
Erscheinungsdatum: 07. März 2023

Klebriger Boden statt gläserner Decke

Petra Bentkämper, Präsidentin Deutscher LandFrauen-Verband während ihres Praktikums bei der BGM Associates GmbH.
Deutsche Bäuerinnen sind unterbezahlt, ihre Leistung ist unerfasst und unsichtbar – zu diesem Ergebnis kommt die erste Studie zur Lage von Frauen in der Landwirtschaft seit 1990. Der Befund: Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit der Gleichberechtigung, besteht im Agrarbereich dringender Handlungsbedarf.

Wenn die Leiterin des Bohner-Hofs Post erhält, ärgert sie sich oft. Weil auf dem Umschlag nur der Name ihres Manns steht. Dabei leitet Marion Bohner seit 20 Jahren den Milchviehbetrieb bei Bad Waldsee in Oberschwaben genauso wie er. Sie ist im Aufsichtsrat der lokalen Käserei, engagiert sich in ihrem Erzeugerverband und in ihrer Kommune. Daneben schmeißt sie den Haushalt, erzieht die Kinder und stockt das Einkommen durch Teilzeitarbeit in ihrem gelernten medizinischen Beruf auf.

„Mein Mann und ich leben eine völlig gleichberechtigte Partnerschaft“, sagt die Landwirtin mit dem punkigen Kurzhaarschnitt, „aber beruflich wird meine Existenz immer noch oft unterschlagen“. So wie die vieler ihrer Kolleginnen auf dem Land.

„Unbezahl(t)bar“ lautet der Arbeitstitel der Studie, mit der das Thünen-Institut des Bundes und die Universität Göttingen die Lebensverhältnisse von deutschen Landwirtinnen und Landarbeiterinnen untersucht haben. Immerhin 7.345 Frauen haben die Fachleute befragt. Es ist die erste umfassende Studie seit der Wiedervereinigung über die unsichtbaren Hände, die in Deutschland für das tägliche Brot, Butter und Bier sorgen. 335.400 Frauen arbeiten auf Höfen, Feldern oder in Gewächshäusern, das sind mehr als doppelt so viele weibliche Beschäftigte wie in der Autoindustrie. Und viele arbeiten auch deutlich härter als dort.

Durchschnittliche Urlaubstage pro Jahr? Elf. Bezahlung? Für jede Dritte schlecht bis sehr schlecht. Besitzverhältnisse? Fast wie vor 100 Jahren. Soziale Absicherung? Allzu oft ungenügend. Zwei Drittel der Schwerstarbeiterinnen nennen kein Fitzelchen des beackerten Lands ihr Eigen. Und das, obwohl 72 Prozent der Frauen auch „strategisch-unternehmerische Entscheidungen“ treffen. Und weit mehr als die Hälfte sich um Buchhaltung und Finanzen kümmern.

„Bei der Gleichberechtigung in der Landwirtschaft gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa“, sagt Petra Bentkämper, Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbands. Jahrelang hat ihr Verband für die Studie gekämpft. Es war ein Erfolg, als das Bundeslandwirtschaftsministerium sie 2019 in Auftrag gab. Pünktlich zum Weltfrauentag ist sie nun in zwei Teilen publiziert, 198 Seiten und 138 Seiten lang.

Besonders rückschrittlich sind die Blindstellen, die es in anderen Ländern nicht gibt. „ Unsere Agrarstatistik erfasst Ehefrauen nicht, die Seite an Seite mit ihren Männern den Betrieb leiten“, sagt Bentkämper. Das müsse sich ändern, genau wie die Erfassung von Existenzgründungen und gewerblichen Nebenbetrieben auf dem Land. „Für die Betroffenen ist es demütigend, wenn sie ihre Altenteil-Gelder am Ende eines langen Arbeitslebens nur beziehen wegen des Status als Ehefrau.“

Nur elf Prozent aller deutschen Höfe werden von Frauen geleitet, so die Studie – und meist eher kleinere. Ein doppelter Skandal: Erstens, weil damit nahezu 90 Prozent aller Höfe in Männerhand sind. In Österreich, zum Vergleich, werden mehr als ein Drittel aller Höfe von Frauen gemanagt. Und zweitens, weil weder Grundbücher noch Statistiken noch Studien zeigen, wie viele Frauen in Wirklichkeit maßgeblich für Erhalt und Gesundheit unserer Böden und Tiere zuständig sind.

Fast zwei Drittel der landwirtschaftlich beschäftigten Frauen, immerhin das zeigt jetzt die Studie, sind in der Haltung und Pflege von Kuh, Schwein oder Pferd verantwortlich. Sie verrichten damit den härtesten Job, den die Landwirtschaft zu vergeben hat. Tagtäglich.

„Wir brauchen spezifische Förderprogramme in der Landwirtschaft für Frauen “, sagt die Landfrauen-Päsidentin. Baden-Württemberg habe ein vorbildliches Programm aufgelegt: ,Innovative Maßnahmen für Frauen im Ländlichen Raum', kofinanziert mit EU-Mitteln. „Solche Programme brauchen wir flächendeckend“, sagt Bentkämpfer. Nicht nur wegen der Gleichberechtigung: Der Fachkräftemangel ist auch auf den Höfen längst eine drückende Sorge.

„Wir haben es nicht mit einer gläsernen Decke auf dem Weg nach oben zu tun, sondern mit einem klebrigen Fußboden“, hat eine schottische Landwirtin bei einer ähnlichen Untersuchung in Großbritannien formuliert. Der Klebe-Boden war ihre Metapher für das, was man „Care-Arbeit“ nennt. Neben dem „Gender Pay Gap“ erfassen Geschlechterstudien auch den „Gender Care Gap“, also die Lücke zwischen der Arbeit, die Frauen und Männer bei der Versorgung der Jüngsten und der Ältesten leisten. Die neue Studie konnte mangels Daten keinen der Unterschiede genau erfassen. Vieles deute aber darauf hin, dass es auch bei der Bezahlung auf dem Land ungerecht zugehe, so die Autoren. Bei der Care-Arbeit sowieso. Meist sind es Frauen, die auf den langen Wegen auf dem Land zum Arzt oder Fußballverein Alt und Jung chauffieren. Nebenberuf: Taxifahrerin.

Kinder und Hof verantwortlich zu managen, das ist auf dem Land noch schwerer zu vereinbaren als in Dax-Unternehmen. Nicht wenige der befragten Betriebsleiterinnen gaben an, sie hätten zugunsten des Betriebs auf Kinder verzichtet. Bernadette Lex, 45, im bayrischen Landkreis Erding, wäre das um ein Haar auch passiert. „Ich bin Leiterin des Hofs und studierte Landwirtin, mein Mann ist kein Bauer. Deshalb musste ich warten, bis meine 18 Jahre jüngere Schwester so weit war, dass sie meine Mähdrescher-Arbeit übernehmen konnte – mehr oder weniger kostenlos und rund um die Uhr.“ Erst dann konnte Bernadette Lex sich leisten, an Kinder zu denken: mit über 40.

Die Schwestern Lex und ihr Vater führen einen Bilderbuch-Betrieb, mit Sonderkulturen, Saatgutvermehrung, Getreideaufarbeitung, Direktvermarktung. „Aber eine Gelddruckmaschine ist ein Biohof nicht, sondern Knochenarbeit“, sagt Lex. „Dass man als Betriebsleiterin nur 300 Euro Elterngeld pro Kind erhält, ist bitter.“ Jede Sekunde, in der sie nicht ihre Zwillinge im Tandem stillte, ging in die Hofarbeit – mit wenig Verständnis ihres männlichen Umfelds, wenn „ich nicht funktionierte wie gewohnt“.

Burnoutgefahr bei rotwangigen Landfrauen? Leider ja, so die Studie: Mehr als jede fünfte Frau in der Landwirtschaft, genau 21,4 Prozent, läuft Gefahr, in eine Erschöpfungsdepression abzugleiten. Die Zahl haben die Studienautoren akribisch mit einem ausgeklügelten Fragenkatalog erhoben. Ihre Daten sammelten sie nicht nur online bei den Landfrauen ein, sondern auch live, in Workshops und in mehr als 80 Einzel-Interviews.

Die gute Nachricht: Die meisten der Befragten – 77 Prozent – sind bei aller Ungerechtigkeit und Fron mit ihrem Leben zufrieden. Die Mehrheit engagiert sich sogar noch ehrenamtlich, übernimmt Verantwortung im Dorf oder in Verbänden. „Aber das heißt nicht, dass wir Landfrauen uns still vergnügt in unser Los fügen“, sagt Präsidentin Bentkämper, die mit ihrem Mann einen Hof bei Bielefeld bewirtschaftet. „Auch wir fordern Frauen-Quoten, zuallererst in den Gremien der Agrar- und Bauernverbände.“

Die Studie hatte auch zum Ziel, die Folgen des Umbaus der Landwirtschaft gerade auch für Frauen auszuloten. Groß waren die Unterschiede nicht – Frauen auf Bio-Betrieben erledigen nicht zuletzt „die Arbeit, die die Männer nicht machen wollen“, wie eine Landwirtin formulierte.

Nur die Reihenfolge der Sorgen ist bei Bio-Bäuerinnen anders. Ihre Hauptsorge gilt der Planungssicherheit für große betriebliche Investitionen. Diese Angst rangiert bei den konventionellen Kolleginnen erst an zweiter Stelle. Deren Hauptfrust: das schlechte Image ihres Berufsstandes.

Image-Probleme kennt die Mehrheit der Bio-Bäuerinnen nicht. Im Gegenteil: „Mich loben viele, wenn ich von unserer muttergebundener Kälberaufzucht und dem Kompost-Stall erzähle“, berichtet Marion Bohner vom Naturland-Betrieb in Bad Waldsee. „Das sei ja so vorbildlich! Und du, frage ich dann, was tust du? Wenn sich der Wunsch nach Öko und Tierwohl mit dem Einkaufsverhalten deckt, lässt er sich auch finanzieren.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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