Das Bundesjustizministerium blockiert schon länger die im Koalitionsvertrag verabredeten Mietrechtsreformen. SPD und Grüne fordern, dass sie endlich kommen. Geht es da bald voran?
Das Thema ist drängend. Daher ist es höchste Zeit, dass sich Marco Buschmann an die Verabredung hält. Es sind zwei sehr einfache Punkte: Das eine ist die Verlängerung der Mietpreisbremse, die noch bis Ende 2025 gilt. Und das andere ist die Senkung der Kappungsgrenze: In angespannten Wohnungsmärkten soll die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal elf statt wie bisher 15 Prozent erhöht werden dürfen. Darauf warten viele.
Die Grünen fordern, bis Jahresende müsse das Ganze stehen. Klappt das?
Das müssen Sie Herrn Buschmann fragen. Aber es sollte möglich sein, wenn es in anderer Sache schnell eine Einigung gibt. Herr Buschmann hat mir gesagt, er habe das Gesetz fertig in der Schublade. Alles hängt an einer Einigung zwischen Justiz- und Innenministerium zu einer völlig anderen Frage.
Es geht um eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Warum werden solche Themen miteinander verknüpft? Das ist ja kein Einzelfall in dieser Koalition.
Das ist Geschmackssache, ob man Verhandlungen damit kompliziert macht oder nicht. Manchmal steigt dadurch die Durchsetzungsfähigkeit, manchmal aber auch die Nicht-Lösbarkeit.
Von außen betrachtet hat man das Gefühl: Es erh ö ht die Zahl der Blockaden und verlangsamt das Tempo. Täuscht der Eindruck?
Nein, das ist auch nicht verwunderlich. Die Gesetzgebungsverfahren sind häufig ja an sich schon sehr komplex: Wir haben einen europäischen Rechtsrahmen und manchmal sprechen auch die Länder noch mit. Und wenn man es dann nicht nur bei dem einen Thema belässt, sondern es mit anderen verknüpft, wird das schnell ein ziemlich unauflösbares Knäuel.
Blockiert wurde vom BMJ zuletzt auch ein Vorkaufsrecht für Kommunen, das als wichtiges Mittel gilt, um Mieter vor Verdrängung zu schützen. Wie geht es damit weiter?
Wir werden das in der geplanten großen Baugesetzbuch-Novelle wieder auf dem Tisch haben, die hoffentlich noch dieses Jahr ins Kabinett geht, spätestens Anfang nächsten Jahres. Es wird an unterschiedlichen Stellen mit beiden Koalitionspartnern noch Diskussionen geben: beim Vorkaufsrecht mit der FDP, bei der Nachverdichtung mit den Grünen. Aber allen ist klar, dass wir eine große Novelle brauchen. Insofern ist das gerade ein großes Paket, in dem alles miteinander verknüpft ist.
Sie haben eine große Wohngeld-Reform gemacht. Wäre ein bundesweiter Mietendeckel, den laut Umfragen eine Mehrheit will, nicht besser als das Subventionieren von Vermietern über Sozialleistungen?
Das ist ein alter Streit, ob man Subjekt- oder Objektförderung macht – wir machen beides. Wir stecken die größte Summe Geld seit Langem in den sozialen Wohnungsbau: 18 Milliarden Euro bis 2027, das macht mit der Kofinanzierung der Länder zusammen 45 Milliarden – und das nach vielen Jahrzehnten der Vernachlässigung. Zudem haben wir gleich am Anfang der Legislaturperiode, als die Energiekosten explodiert sind, über die Heizkostenhilfe akute Unterstützung geleistet. Und natürlich ist das Wohngeld für viele, die entweder arbeiten und wenig verdienen oder aber eine kleine Rente haben, ganz wichtig. Was viele nicht wissen: Man kann auch einen Zuschuss bekommen, wenn man selbst Eigentum hat. Das ist insbesondere für viele Ältere eine große Hilfe, damit sie in ihrem Haus bleiben können.
Hamburg hat beschlossen, dass für neue Sozialwohnungen eine Mietpreisbindung über 100 Jahre gelten soll, statt wie vielerorts für 20. Wäre das nicht was für ganz Deutschland?
Wir haben keinen einheitlichen Mietermarkt. Wir haben stark nachgefragte urbane Zentren, ihr ordentlich ausgelastetes Umfeld, und wir haben Regionen mit großem Leerstand. Und der Baupreis ist extrem unterschiedlich, weshalb es sinnvoll ist, dass die Länder ihre jeweils eigenen Bedingungen definieren können. Wenn man einem privaten Investor sagt, „Ich will 25 Jahre lang eine gedeckelte Miete", dann braucht er einen geringeren Zuschuss, damit das für ihn attraktiv ist, als wenn es 40, 50 oder sogar 100 Jahre sind.
Trotzdem fallen unterm Strich derzeit jedes Jahr mehr Wohnungen aus der Sozialbindung heraus, als neue gebaut werden.
Das ist auch logisch, weil es vor 20 Jahren noch viel Geld für den sozialen Wohnungsbau gab. Dann hat man damit aufgehört, weil man dachte, Deutschland sei ein schrumpfendes Land und Wohnungspolitik nicht mehr Aufgabe des Staates. Im letzten Jahr haben wir es immerhin geschafft, dass wir in acht von 16 Bundesländern wieder mehr Sozialwohnungen hatten als davor. Und wir sehen auch in diesem Jahr eine extrem gute Entwicklung, insbesondere im Bereich der Wohnheime für Azubis und Studenten.
Ziehen die Länder wirklich mit? Lange haben sie zwar Geld vom Bund bekommen, aber es nicht in Sozialwohnungen investiert.
Das ist ja auch kein Wunder. Bis Januar 2022 gab es für die KfW-55-Förderung einen preiswerten Kredit mit Zuschuss. Ob das eine kleine oder große Wohnung war, ob sie teuer für 18,50 € oder für 8,50 € vermietet wurde, war egal. Da ist es kein Wunder, wenn parallel dazu die Mittel des sozialen Wohnungsbaus liegen bleiben. Wenn man sagt „Du kriegst das Geld nur, wenn du anschließend für 20 oder 30 Jahre eine Miete von 6,50 Euro verlangst", ist das was anderes. Das war ein gigantischer Konstruktionsfehler. 2022 wurden 300.000 Wohnungen mit KfW 55 gefördert, also quasi alles, was gebaut wurde. Wir haben das beendet. Im nächsten Jahr stellen wir den Ländern 3,15 Milliarden Euro zur Verfügung, im Jahr darauf 3,5 Milliarden Euro. Auch die Länder planen, mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau einzusetzen. Viele Projektentwickler finden den sozial geförderten Wohnungsbau wieder interessant. In Baden-Württemberg zum Beispiel ist der Topf schon seit Mai leer, obwohl das Land auch fast eine halbe Milliarde Euro reingesteckt hat. Also, der soziale Wohnungsbau lebt wieder, und das Wohngeld ist aus einer kleinen Nische wieder zu einem populären Instrument geworden.
Was ist mit der Überwindung von Wohnungslosigkeit? Sie arbeiten an einem Nationalen Aktionsplan: Wie die EU insgesamt will Deutschland das Ziel bis 2030 erreichen. Wie soll das klappen?
Der Aktionsplan ist erst mal eine Verständigung zwischen Kommunen, Ländern und Bund, dass man das Problem gemeinsam angehen will. Einige Sachen wie den Zugang zur Krankenversicherung kann man vor Ort nicht klären, da muss der Bund tätig werden. Ich finde es abenteuerlich, dass es zurzeit keine Standards für Notunterkünfte gibt. Das hilft zwar nicht gegen Obdachlosigkeit, ist aber ein wesentlicher Beitrag zu einem guten Sozialstaat. Das könnte zum Beispiel beinhalten, dass Frauen getrennt von Männern untergebracht werden, oder besondere Angebote für Familien und Menschen mit Hund. Das passiert in einigen Kommunen schon, in anderen nicht.
Was wird der Aktionsplan enthalten?
Der Aktionsplan wird sich aufgliedern in jährliche Arbeitsprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Ein Aspekt ist Housing First, also „Wohnung zuerst". In Finnland hat man gute Erfahrungen mit dem Konzept gemacht. Das gilt allerdings nur für Obdachlose, die aus dem Land selbst kommen. Deswegen brauchen wir da auch einen europäischen Aspekt. Ich bin mir mit meinem französischen Kollegen einig, dass wir das auf EU-Ebene ansprechen müssen. Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie wir mit Obdachlosen aus den Mitgliedsländern umgehen.
Sie haben auch einen 14-Punkte-Plan für mehr Wohnungen vorgelegt und ein Bündnis bezahlbarer Wohnraum initiiert. Sowas gab es in der Vergangenheit schon mehrfach. Was soll diesmal anders werden?
Wir haben ein strukturelles Problem in Deutschland: Wir bauen zu teuer und zu langsam. Das gehen wir nun in einem strukturierten Prozess an. Zugleich haben wir eine akute Krise. Aufgrund des Zinssprungs ist vieles nicht mehr finanzierbar. Und deswegen gehen wir davon aus, dass 2024 für den Baubereich eine große Herausforderung wird. Der 14-Punkte-Plan bildet ab, was hilft, um auf der Baustelle schnell Nachfrage zu generieren.
Der Bund legt viele F ö rderprogramme auf. Die Länder machen damit aber nicht immer das, was sie sollen. Kann man das verhindern?
Das liegt auch daran, dass das keine Priorität bei der Vorgängerregierung hatte. Ich habe ein System vorgefunden, wo wir in fast allen Programmen hohe Ausgabenreste hatten. Als ich den Ländern gesagt habe, das geht so nicht weiter, gab es erstmal allgemeine Empörung. Jetzt sind sie miteinander im Austausch, und wir verabreden einen verbindlichen Abbaupfad. Wir haben unseren Part getan: Wir machen jetzt zweijährige Verwaltungsvereinbarungen, damit die Länder auch länger planen können. Das ist aber nichts, womit Sie auf die Titelseite irgendeiner Zeitung kommen.
Was machen Sie also jetzt?
Zwei Dinge. Wir beobachten intensiv die Auslastung und wir gucken uns die Kurzarbeiter-Zahlen an, weil wir einen Kapazitätsabbau verhindern wollen. Wir haben einen unendlichen Bedarf beim Neubau, bei der Sanierung, beim Ausbau der Erneuerbaren. Würden die Unternehmen Personal abbauen, könnten wir das in Zeiten der Fachkräftekrise nicht so schnell wieder hochfahren. Deshalb setzen wir über unterschiedliche Programme, zum Teil mit den Ländern gemeinsam, zielgerichtete Anreize. Wir haben den sozialen Wohnungsbau, wir haben ein Wohnungsprogramm über 500 Millionen Euro pro Jahr für Studierende und Azubis, das geht weg wie geschnitten Brot. Da geht es um fast 6.000 neue Wohnheimplätze für das Jahr 2023. Das ist im Vergleich zum sonstigen Tempo in unserem System geradezu Lichtgeschwindigkeit, und deswegen führen wir das die nächsten zwei Jahre weiter. 1,5 Milliarden für Studierende und Azubis – das ist die größte Summe seit der Wiedervereinigung.
Im Koalitionsvertrag kommt auch die Flächenversiegelung vor: Maximal 30 Hektar pro Tag bis 2030 ist das Ziel. Wir verbrauchen doppelt so viel. Warum geht da so wenig voran?
Die Reform des Baugesetzbuches wird es leichter machen, in der Innenstadt umzubauen und zu verdichten, um den Flächenverbrauch im Grünen zu reduzieren. Der Verbrauch ist im ländlichen Bereich mit seinen Einfamilienhäusern und immer neuen Gewerbegebieten nun mal am größten. Es soll zum Beispiel keine feste Stellplatzsatzung mehr geben. Und die Kommunen sollen Gewerbe und Wohnen wieder enger vermischen. Da haben wir im Moment noch sehr restriktive Regelungen.
Es soll mehr Mischgebiete geben?
Ja. Im Nachkriegsdeutschland war der Verkehrslärm absolut privilegiert. Die Menschen durften direkt an der Autobahn wohnen, aber nicht neben einem Handwerksbetrieb. Gewerbelärm wird heute noch bei geöffnetem Fenster gemessen, Fluglärm, nachdem sie schalldämpfende Fenster eingebaut haben, die zudem geschlossen sind. Das stammt alles noch aus den Fünfzigerjahren, als es hieß, die Menschen brauchen Luft und Licht und das Wohngebiet muss geschützt werden. Das hat zu unglaublich viel Verkehr geführt und entspricht auch historisch nicht der europäischen Stadt. Die hat sich nämlich immer durch Mischnutzungen ausgezeichnet. Allein durch die Änderung der Lärmvorschriften werden wir eine ganze Menge erreichen, so dass man zum Beispiel auch dort wieder wohnen kann, wo Büros stehen.
Was ist denn die Zielmarke Ihres Hauses?
Es ist Ziel dieser Bundesregierung, den Flächenverbrauch zu senken; aber die Planungshoheit liegt bei den Kommunen. Wir können als Bund über das Baugesetzbuch Entwicklungen anregen und bestimmte Regelungen für Ansiedlungen einführen, mehr aber nicht.
Beim Gebäudeenergiegesetz wurde anfangs die soziale Dimension vernachlässigt und dann die klimapolitische stark verwässert. Wie soll so die sozial-ökologische Transformation gelingen?
Wenn man eine derartig aufgeheizte Situation vermeiden will, muss man die soziale Dimension bei allen Fragen, die die Zukunft betreffen, immer mitdenken. Deswegen habe ich mich jetzt auch gegen eine Sanierungspflicht in der EU-Gebäuderichtlinie ausgesprochen, weil ich wusste, das würde dazu führen, dass die Menschen mit den geringsten Ressourcen – Besitzer von schlecht sanierten Einfamilienhäusern – die Hauptlast dieser CO2-Einsparung tragen müssten. Wir brauchen die Freiheit zu sagen: Wir sanieren erst mal Schulen, Sporthallen, Rathäuser, denn auch da haben wir einen Sanierungsstau. Das sind aber Gebäude, die von vielen Hundert Leuten benutzt werden. Dort kann man dann die gleiche Menge CO2 einsparen, ohne dass man diesen sozialen Aspekt triggert, dass eine einzelne Person die Last tragen muss.
Die Erfolge der AfD werden auch mit einem Stadt-Land-Gefälle erklärt. Ist das ein Thema für Sie?
Ich glaube, dass man eine doppelte Strategie für den ländlichen Raum braucht. Zum einen ist da der über Jahrhunderte durch Landwirtschaft geprägte Bereich, und dann gibt es den Bereich der industriellen Kerne, die sich im Wandel befinden. Dazu werden wir jetzt eine Kleinstadt-Akademie gründen, als Zentrum des Austauschs für Kleinstädte. Untersuchungen sagen, dass Kleinstädte die Sehnsuchtsorte der Deutschen sind. Die wollen nicht aufs Dorf ziehen mit einer einzigen Bushaltestelle. Aber sie finden auch die Metropole laut und anstrengend. Klar ist, dass der Ausbau von ÖPNV und Bahn eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass diese kleinen Städte leben oder wiederbelebt werden. Viele Menschen sind ja wegen der Arbeit weggezogen. Jetzt gibt es mit Homeoffice die Möglichkeit, da vor Ort zu wohnen. Zugleich schauen wir uns den Leerstand genau an.
Der ist im Moment aber kein zentrales Problem….
Nicht jetzt. Aber wir haben da erstens ein gewisses Potenzial, zweitens werden wir da ein großes Problem kriegen. Nicht in dieser Legislaturperiode, aber danach. Mit dem demografischen Echo in Ostdeutschland. Da wird sich dann noch mal die Frage stellen, wie man damit umgeht. Wir müssen uns um den Leerstand kümmern.
Unsere Innenstä dte ver ändern sich gerade – wie werden sie in zehn Jahren aussehen?
Da gibt es viele Aspekte. Wir müssen uns an das Klima anpassen. Das heißt, mehr Wasser, höhere Aufenthaltsqualität, mehr Grün – das werden Grundvoraussetzungen für eine lebendige City sein. Und weil wir eine älter werdende Gesellschaft sind, gehören auch Stadtmöbel und Toiletten dazu. In einer Gesellschaft, die vor allem in den Städten immer mehr vereinsamt, wird auch die Frage eine große Rolle spielen, wie man sich begegnet, ohne konsumieren zu müssen. Aus meiner Sicht ist sowas wie die Sharing Economy ein Geschäftsmodell der Zukunft – also, dass man Dinge ausborgen kann, die man nur kurzfristig braucht. Oder Orte, an denen man Dinge reparieren lassen kann. Steffi Lemke spricht über ein Recht auf Reparatur, und wir alle wollen ja Konsumartikel haben, die man tatsächlich auch wieder 20, 30 Jahre lang nutzen kann.
Wird der Einzelhandel, der über das Aussehen unserer Innenstä dte lange ma ßgeblich mitentschieden hat, diese dominierende Stellung behalten?
Ich glaube nicht, dass man in Zukunft noch in die Innenstadt geht, um sich zehn neue T-Shirts zu kaufen. Der Onlinehandel wird das immer günstiger anbieten. Gleichzeitig steigt aber das Bedürfnis nach Abwechslung und Erlebnis. Das hat großes Potenzial für einen beratungsorientierten Einzelhandel, der dann zur Gesamterscheinung der Stadt gehört. In vielen Kleinstädten sieht man, dass sich eher Boutiquen oder individuell bestückte Läden und weniger Discounter ansiedeln. Da gehen die Leute hin, weil sie etwas finden oder ein Gespräch führen können, beraten werden, einfach etwas erleben. Dafür sehe ich gerade in unserer globalisierten Welt einen großen Bedarf.