Über die Pipelines Nord Stream in der Ostsee und Yamal durch Polen fließt schon seit Monaten kein russisches Erdgas mehr in die EU. Doch auch die verbliebenen Pipelines Ukraine-Transit und Turkstream werden für die Gasversorgung der EU immer unwichtiger. Wie eine Auswertung des Brüsseler Thinktanks Bruegel zeigt, flossen in den ersten fünf Wochen dieses Jahres weniger als acht Prozent des in die EU importierten Gases durch diese Pipelines. Zum Jahresbeginn 2021 hatte der Anteil noch bei über 48 Prozent gelegen. Die absolute Menge importierten russischen Pipeline-Gases ist damit innerhalb von zwei Jahren um 86 Prozent zurückgegangen. Der Anteil an den Gesamt-Importen der EU sank damit auf weniger als 8 Prozent.
Das könnte auch Auswirkungen auf die geplanten LNG-Terminals in Deutschland haben. Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte zuletzt erklärt, über diese müssten auch südosteuropäische Länder versorgt werden, wenn die Gasversorgung aus Russland komplett gestoppt wird. Tatsächlich zeigen die jüngsten Zahlen, dass die Lücke nicht sonderlich groß ist. Rechnerisch ließe sich das verbliebene russische Gas derzeit sogar mit der bestehenden Infrastruktur ersetzen. Denn die Importe aus Norwegen und Algerien lagen zuletzt deutlich unter früheren Werten – und deren Pipelines sind so an die EU angebunden, dass darüber auch Südosteuropa versorgt werden könnte. Hinzu kommt, dass die LNG-Terminals in den Ländern, die für die Versorgung Südosteuropas in Frage kommen, zuletzt nur zu etwa 70 Prozent ausgelastet waren.
Bruegel hält den Bau der schwimmenden Terminals dennoch für sinnvoll. Denn diese würden dafür sorgen, dass es auch dann noch Reserven gibt, wenn kein Gas aus Russland fließt und die nächsten Winter sehr kalt werden. Werden zusätzlich alle geplanten Terminals an Land gebaut, drohten dagegen ab 2025 europaweit deutliche Überkapazitäten, warnt der Thinktank. Das gilt selbst für den Fall, dass diese nur zu 65 Prozent ausgelastet sind. Wenn jede Regierung auf eine eigene Versorgungssicherheit hinarbeite, riskiere „die EU insgesamt, substanzielle Gas-Überkapazitäten aufzubauen“, hatte der Thinktank bereits im vergangenen Jahr gewarnt. „Das wäre eine ineffiziente Nutzung von Ressourcen und würde Interessengruppen stärken, die einen schnellen Gasausstieg ablehnen“.
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion kürzlich bestätigt, dass die Kapazität der in Deutschland betriebenen Terminals im Jahr 2025 bei rund 50 Milliarden und im Jahr 2029 sogar bei 77 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liegen könnte. Das wäre weitaus mehr als die 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die in der Vergangenheit durch Nord Stream 1 importiert wurden. Auf Wunsch des Bundestags-Haushaltsausschusses soll das Wirtschaftsministerium dazu bis Mitte Februar aber eine konkrete Bedarfsplanung vorlegen. Die Pläne „nochmal kritisch neu anzuschauen ist sinnvoll“, sagt auch Georg Zachmann, Energie-Experte bei Bruegel und Mitverfasser der Gas-Studien. „Und Infrastrukturplanung sollte man europäisch denken.“