Sie waren mit dem Bundespräsidenten in Tansania, um sich bei den Opfern und ihren Nachfahren für deutsche Gräueltaten zu entschuldigen. Wie schwer war das?
Es war wichtig und längst überfällig. Die Nachfahren von Chief Mbano hatten uns ja persönlich nach Songea eingeladen und dabei schon deutlich gemacht, dass sie zur Vergebung bereit sind, wenn wir sie darum bitten.
Welche Reaktionen auf tansanischer Seite haben Sie erlebt?
Die Familie Mbano war sehr erfreut und erleichtert. Die tansanische Regierung hat uns mitgeteilt, dass sie bereitsteht, mit uns über Fragen der Restitution von menschlichen Überresten zu sprechen, und die Zuständigkeit dafür dem Außenminister übertragen.
Sie haben das Thema seit Amtsantritt vorangetrieben. Was bedeutet es, dass es diesen Schritt gegeben hat?
Die Bitte um Vergebung war ein überfälliger und wichtiger Schritt, auf den die Nachfahren lange gewartet haben. Dieser Schritt ist keinesfalls ein Schlussstrich, sondern vielmehr der Beginn eines Heilungs- und Versöhnungsprozesses, der in die Zukunft gerichtet ist.
Wie heikel ist es, gerade jetzt, da im Globalen Süden der Vorwurf eines neuen westlichen Kolonialismus aufgekommen ist, dieses Thema so zu forcieren?
Es geht nicht darum, ein Thema zu forcieren, sondern andauerndes Unrecht zu beenden. Als ehemalige Kolonialmacht haben wir großes Unrecht verursacht, und es ist unsere Verantwortung, uns dem zu stellen – egal, ob es nun politisch nützlich ist oder nicht. Die menschlichen Überreste der Opfer deutscher Kolonialverbrechen dürfen nicht länger in Kisten und Kellern deutscher Museen lagern, während die Familien seit drei Generationen danach suchen. Die Familien hoffen auf die Heilung der über Generationen weiter gegebenen Traumata. Die Rückkehr ihrer Ahnen ist für sie ein erster wichtiger Schritt. Ihr berechtigtes Anliegen ist unsere Verpflichtung. Dringlich ist das Thema außerdem deshalb, weil das Ableben der Enkelgeneration bevorsteht und diese älteren Menschen noch die Hoffnung haben, die Rückkehr ihrer Ahnen zu erleben.
Das Bemühen, hier voranzukommen, gibt es schon seit Jahren. Es war mühsam, auch in Tansania. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es jetzt vorangeht?
Ich bin nach den Gesprächen mit dem Außenminister guter Hoffnung, dass wir hier bald Antworten auf offene Fragen finden werden.
Gibt es bei der Rückgabe der rund 6000 Schädel Fortschritte? Wissen Sie und die deutschen Museen nun genauer, wo sie hingehören? Oder wie man mit ihnen umgeht?
Die von Ihnen genannte Zahl kann ich nicht bestätigen. Die Provenienzforschung an den menschlichen Überresten macht aber laufend Fortschritte. Die Museen und Institutionen haben zwar einen sehr unterschiedlichen Stand, sind aber alle bereit zur Kooperation. Es ist seit 2019 Konsens, dass menschliche Überreste so weit wie möglich identifiziert und zurückgeführt werden sollen. Man geht derzeit davon aus, dass etwa 40 Prozent der insgesamt ca. 14.000 Überreste dauerhaft nicht zugeordnet werden können.
Was muss als Nächstes kommen?
Die Provenienzforschung in Deutschland muss fortgeführt werden. Zur Vorbereitung der Restitution werden wir außerdem auf Regierungsebene weiter im Gespräch bleiben. Für die menschlichen Überreste, die wir nicht identifizieren können oder deren Ursprungsländer sie nicht zurückmöchten, muss eine würdige Lösung in Deutschland gefunden werden.
Was muss geschehen, damit Sie sagen: Jetzt haben wir die Geschichte umfassend aufgearbeitet?
Die Aufarbeitung und Vermittlung von Geschichte ist nach meinem Verständnis eine fortlaufende Aufgabe, die nicht an einem bestimmten Schlusspunkt endet. Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun. Es geht um gemeinsame Ausstellungen, um Restitution einzelner Kulturgüter, um die Aufarbeitung und Sicherung von Dokumenten und Archiven, um kulturellen Austausch, um Wissensvermittlung und Gedenkorte. Das sind die Prioritäten, die uns immer wieder genannt werden.
Bei europäischen Partnern in London und Paris wird das deutsche Bemühen zum Teil sehr kritisch gesehen. Auch, weil dort ebenfalls noch schmerzhafte Kolonialgeschichte schlummert. Gibt es dazu Kontakt? Womöglich auch offenen Protest?
Viele unserer europäischen Nachbarn setzen sich derzeit intensiv mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinander. So haben sich unter anderem auch das belgische, britische und niederländische Staatsoberhaupt auf den Weg nach Afrika gemacht, um sich der Herausforderung zu stellen. Ich selbst habe mich auch mit den zuständigen Regierungsvertretern aus den USA, Australien und Kanada über ihre Expertise bei der Rückführung von menschlichen Überresten ausgetauscht. Aber auch zur Rückgabe von Kulturgütern habe ich Gespräche in Washington und Paris geführt.
Nach der Rückgabe der Benin-Bronzen ist nicht alles so gelaufen wie erhofft. Insbesondere bei der Frage, wem sie künftig gehören. Wie groß ist Ihre Sorge, dass das hier wieder passieren könnte?
Die Benin-Bronzen wurden an Nigeria zurückgegeben, um ein historisches Unrecht zu beheben. Es war falsch, dass diese Bronzen überhaupt jemals nach Deutschland gelangt und dort so lange geblieben sind. Die Rückgabe dieser Bronzen an Nigeria war zu Recht nicht an Bedingungen geknüpft. Bei wem die zurückgegebenen Bronzen jetzt rechtlich verbleiben, sind jetzt innenpolitische Entscheidungen des souveränen Staates Nigeria.
Ist das ein Muster?
Auch bei der Rückgabe weiterer Kulturgüter aus kolonialen Kontexten werden wir so verfahren. Dass zum Teil in deutschen Zeitungen insinuiert wurde, Kulturgüter würden auf Nimmerwiedersehen verschwinden, weil Deutschland nicht mehr die Kontrolle über sie ausübt, sondern ein afrikanischer Staat, ist eine Denkweise, von der ich gehofft hatte, wir hätten sie hinter uns gelassen.