Die Frage stellte sich von Anfang an und hat trotzdem mit dem Wort des Kanzlers zusätzliches Gewicht erhalten: Seit Friedrich Merz erklärt hat, Israel erledige mit dem Angriff auf Irans Atomanlangen die „Drecksarbeit“ für alle, die den Iran fürchten, fragen sich nicht nur in Deutschland viele, ob und wenn ja wie weit dieser Präventivkrieg noch vom Völkerrecht gedeckt ist.
F ür Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, ist die Sache klar: „Wir lassen niemals das Völkerrecht beiseite“, sagte er im Podcast von Table.Briefings. Aber Israel müsse als Staat, der so bedroht sei – „und das sind leider keine leeren Worte“– sein Land und seine Menschen beschützen. Die Strategie sei dabei unmissverständlich. „All diejenigen, die uns umbringen wollen, auslöschen wollen, aussortieren wollen, müssen lernen, dass wir es nicht hinnehmen.“ Eineinhalb Jahre nach dem 7. Oktober 2023 gebe es zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Libanon ohne Hisbollah, ein Syrien ohne Assad und hoffentlich einen Iran ohne nukleare Anlagen und ballistische Raketen. „Wir können ruhig sagen, dass nach eineinhalb Jahren diejenigen, die mit einem Massaker angefangen haben und uns wirklich auslöschen wollen, lernen, dass das nicht der Fall sein wird.“
Für den Israeli ist der Angriff auch eine Botschaft an Autokraten – und an jene, die hoffen, man könne Autokraten verbal zur Räson bringen. „Ich glaube, alle müssen lernen, dass Eindämmung nicht funktioniert“, so Prosor. „Das heißt: Diese Diktatoren müssen wissen, dass sich jemand gegen das stellt, was sie tun wollen.“ Israel habe einen hohen Preis dafür bezahlt zu glauben, man könne einen Staat wie Iran eindämmen. „Nie wieder – das heißt: Wir werden nicht warten, damit man uns mit nuklearen Waffen beschießt.“ Danach nämlich könnte man zwar „hervorragende Seminare“ machen, warum die Israelis und die Juden unter diesen Umständen das Recht gehabt hätten, sich zu verteidigen. „Nur leider wäre dann niemand mehr da, um an solchen Gesprächen als Israeli teilzunehmen.“
Der Sicht von Prosor stehen Bedenken mancher Völkerrechtler entgegen. Und die Äußerungen von Merz haben die Debatte darüber verschärft. Der Kanzler hatte Israel für sein Tun „größten Respekt“ bekundet und zugleich erklärt, Israel mache „die Drecksarbeit“ auch für alle anderen. Merz betonte, dass das Land das Recht habe, sich selbst zu verteidigen. „Und wenn die israelische Regierung diesen Anlass jetzt gekommen sah, dann habe ich keine Veranlassung, dem öffentlich zu widersprechen.“ Anders als es zuweilen dargestellt wurde, hat Merz die Militärschläge gegen iranische Nuklearanlagen, iranische Politiker, Militärs und auch Wissenschaftler nicht rechtlich bewertet, jedenfalls nicht ausdrücklich, sondern die Position der israelischen Bewertung wiedergegeben und auf politischer Ebene dafür Sympathie bekundet.
Unter Völkerrechtlern ist allerdings vorherrschende Einschätzung, dass die aktuellen Schläge völkerrechtswidrig sind und das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta nicht greift. Voraussetzung dafür wäre ein „gegenwärtiger rechtswidriger Angriff“ durch den Iran. Diese Schwelle ist hoch: Der Angriff muss begonnen haben oder unmittelbar bevorstehen. Es herrscht weitgehend Einigkeit unter Völkerrechtlern, dass Drohungen nicht ausreichen, auch nicht die Anreicherung von Uran oder das iranische Staatsziel, Israel auszulöschen. Selbst die Tatsache, dass der Iran einen sogenannten „ring of fire“ von Stellvertretermilizen wie den Huthis, der Hamas und der Hisbollah um Israel herum aufgebaut hat, ändert daran nichts.
Beim Bau einer Atombombe wird es komplizierter: Bei sehr konkreten Hinweisen in Verbindung mit verbalen Androhungen eines Einsatzes wären Schläge vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt. Allerdings reicht die reine Vermutung, dass eine Bombe gebaut würde, noch nicht aus. Eine noch weitergehende Auslegung des Selbstverteidigungsrechts vertreten einige US-Völkerrechtler, die sich für die Zulässigkeit von Präemptivschlägen aussprechen, die einem künftigen, mit Unsicherheiten behafteten Angriff vorbeugen sollen. Allerdings auch nur, wenn sie im letzten noch möglichen Zeitfenster erfolgen, bevor eine existentielle Bedrohung nicht mehr abwendbar ist. Wann das der Fall ist, darüber lässt sich streiten.