Analyse
Erscheinungsdatum: 12. September 2023

Innenministerin Nancy Faeser: Wie ein Amt vom Bonus zum Malus werden konnte

Innenministerin Nancy Faeser SPD - 11.09.2023: Empfang der Weltmeister Mannschaft der Basketballer in Frankfurt *** Minister of the Interior Nancy Faeser SPD 11 09 2023 Reception of the world champion team of basketball players in Frankfurt

Selten stolpern Politiker über ihre Fehler, meist stürzen sie über ihren Umgang mit diesen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will eigentlich Ministerpräsidentin werden und könnte auch bald straucheln – was die Sozialdemokratin auch sich selbst zuzurechnen hätte.

Nancy Faeser ist kürzlich gefragt worden, ob sie sich selbst „als links“ bezeichnen würde. Nein, sagte die Bundesinnenministerin, sie könne mit solchen Schubladen nichts anfangen. Sie stamme aus der Kommunalpolitik. Das sollte wohl heißen: Da braucht man Pragmatismus, keine Dogmen.

Als Nancy Faeser Innenministerin wurde, waren viele im politischen Berlin überrascht. Die langjährige hessische Oppositionsführerin sollte eines der größten Ministerien der Bundesregierung leiten – ohne Amtserfahrung und ohne die intime Kenntnis des Haifischbeckens an der Spree. Das Amt in Berlin sollte ihr Bekanntheit verschaffen – und ein Sprungbrett nach Hessen sein. Der SPD sollte das Zeit erkaufen, um weitere Frauen politisch aufzubauen, die Ministerinnen werden könnten. Doch statt in Kürze in Hessen Ministerpräsidentin zu werden, könnte Faeser bald vor dem politischen Aus stehen.

Dass es schwer werden könnte, musste Nancy Faeser früh lernen. Schon im Mai 2022 erfolgte ein hartes politisches Foul aus der eigenen Partei: Die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, ebenfalls aus Hessen, gab ein Interview, in dem sie erklärte, dass sie eine Spitzenkandidatur Faesers für Hessen erwarte. Lambrecht und Faeser mochten sich nie, jetzt hatte die eine der anderen einen Tort angetan. Faeser nämlich wollte sich in diesem Moment auf keinen Fall zu einer möglichen Kandidatur verhalten. Mit einem Bein in Berlin, mit dem anderen in Hessen: viel Angriffsfläche für eine Ministerin, deren Aufgabenliste eigentlich lang ist.

Zugleich beließ die Sozialdemokratin ihren Lebensmittelpunkt immer in Hessen. Was sie mittlerweile auch sehr offensiv bestätigt. „Ich habe den dringenden Wunsch, zurückzukommen nach Hessen“, sagte Nancy Faeser zum Wahlkampfauftakt im Hessischen Rundfunk, „weil ich dieses Bundesland so sehr liebe und nach vorne bringen möchte.“ Ob das klappt, ist alles andere als sicher. In den Umfragen dümpelt die SPD um die 20 Prozent. Allmählich setzt sich deshalb der Eindruck fest, dass ihr Berliner Amt, einst als Bonus gedacht, mittlerweile zum Malus werden könnte. Als Oppositionsführerin hatte sie für die SPD 30 Prozent errungen, da wirken die aktuell rund 20 Prozent schon wie eine Niederlage.

Und Faeser machte Fehler in Berlin. Der wahrscheinlich größte: Ihr Umgang mit dem ehemaligen BSI-Präsidenten Arne Schönbohm. Als Nancy Faeser Anfang August 2022 in der Behörde in Bonn vorbeikam, versprach sie, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik weiter zu stärken. Das BMI zeigte ein gemeinsames Foto mit Arne Schönbohm.

Am Abend des 07. Oktober 2022 lief im Fernsehen die Sendung ZDF Magazin Royale des Satirikers Jan Böhmermann. Die Redaktion des Satirikers hatte einige Wochen zuvor Kontakt aufgenommen - zum Innenministerium, zum BSI, anderen Akteuren. Der Hauptvorwurf, den Jan Böhmermann erhob: BSI-Präsident Schönbohm wahre nicht ausreichend Distanz zu russischen Nachrichtendienstkreisen. Noch am Wochenende, kurz nach der Sendung, wurde es hektisch im BMI. Presseanfragen hagelten auf das Haus ein. Am Morgen nach der Sendung musste die für die Sicherheit der Kritischen Infrastrukturen verantwortliche Nancy Faeser nach dem Debakel um die Nordstream-Sprengungen ein weiteres Sicherheitsthema verarbeiten: Mit nur zwei durchtrennten Glasfaserkabeln wurde die Bahn in Norddeutschland außer Gefecht gesetzt. Deutschland wirkte akut bedroht. In Antworten auf Presseanfragen ließ das Ministerium ausdrücklich offen, was mit Arne Schönbohm passieren würde. Die Ministerin sagte: Es seien ernstzunehmende Vorwürfe, die würden geprüft und dann entsprechende Schritte eingeleitet.

Schönbohm wollte BSI-Präsident bleiben. Am 13. Oktober 2022 schickt BSI-Vizepräsident Gerhard Schabhüser einen Brief an den zuständigen beamteten Staatssekretär im BMI, Markus Richter, und den Abteilungsleiter Cyber- und Informationssicherheit, Andreas Könen. Darin wurde detailliert dargelegt, warum die öffentlich genannten Vorwürfe allesamt nicht zutreffend seien. „Weiter wird in der Öffentlichkeit die Vertrauenswürdigkeit des BSI und seiner Leitung in Frage gestellt“, hieß es in dem Brief: „Dem wird, angesichts des bereits jetzt ganz erheblichen Reputationsschadens und Vertrauensverlustes in die Arbeit des ganzen BSI durch das BMI bislang wenig entgegengetreten.“

Das BSI selbst durfte öffentlich nicht sprechen: Das Innenministerium verbot der Behörde, zur Sache Stellung zu nehmen. So wie sie auch Arne Schönbohm selbst ein Schweigegebot auferlegte. Doch die Argumente des BSI wurden vom BMI auch weiterhin nicht aktiv in die Öffentlichkeit getragen. Am Abend des 17. Oktober bat Arne Schönbohm um die Einleitung eines Disziplinarverfahrens, damit die Vorwürfe formal geklärt werden. Er wollte sich freisprechen lassen, ganz offiziell. Anders konnte er sich nicht verteidigen. Im Bauch des großen BMI-Apparats rumorte es da bereits gewaltig. Am Folgetag rief BMI-Staatssekretär Markus Richter bei Arne Schönbohm an: Er solle den Stift fallen lassen. Das BMI untersagte Schönbohm mit sofortiger Wirkung die Führung der Amtsgeschäfte. Der Spiegel erhielt die Begründung noch vor dem BSI-Präsidenten. Faesers Haus schrieb: Es sei „in der Öffentlichkeit das Vertrauen in die Amtsführung nachhaltig beschädigt“ und „auch das Vertrauen der Ministerin“ in die Amtsführung sei „irreparabel gestört“. Alles in Folge der Böhmermann-Sendung.

Schönbohm kämpfte um Amt und Ruf, reichte Klage beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Untersagung der Amtsgeschäfte ein. Im November musste Dennis Rohde für die SPD im Haushaltsausschuss durchbringen, dass der Posten als Präsident der Bundesakademie für die Öffentliche Verwaltung (BAkÖV) künftig so hoch dotiert ist, dass Schönbohm dorthin versetzt werden kann. Otto Fricke (FDP) und Sven-Christian Kindler (Grüne) spielten mit. Ein frühes Eingeständnis, dass in einem Disziplinarverfahren gegen Schönbohm kein belastendes Ergebnis erwartet wird. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde mit Schönbohms Versetzung gegenstandslos. Zeit für Faeser, durchzuatmen. War sie jetzt die vielen lästigen Fragen los und konnte sich auf das vorbereiten, was sie sich für 2023 vorgenommen hatte? Zunächst schien es so. Im Hintergrund liefen die Vorprüfungen zum Disziplinarverfahren weiter.

Im Februar dieses Jahres ließ Faeser sich offiziell zur Spitzenkandidatin in Hessen küren – und wollte Innenministerin bleiben. Nach Wiesbaden gehe sie nur als Ministerpräsidentin: „Oppositionsführerin war ich schon.“ Kopfschütteln habe das bei Olaf Scholz ausgelöst, berichtete Die Zeit. Ab jetzt war klar, was sie anstrebte: In einem Amt reüssieren, um das andere zu erobern. Allein: Die Schönbohm-Krise wollte nicht verschwinden.

Am 2. März 2023 schrieb Jörg E., der Unterabteilungsleiter Z1 im BMI, der schon die Untersagung der Dienstgeschäfte ausgefertigt hatte, einen Vermerk. Abteilungsleiter Martin von Simson hatte sich mit der Ministerin zu den Vorprüfungen eines disziplinarrechtlichen Verfahrens besprochen. Die Ministerin sei „sichtlich unzufrieden“ gewesen mit dem, was ihr vorgelegt wurde. Erneut solle man „beim BfV abfragen“. Von Simson wolle der Ministerin zudem die „überzeugendere“ Langversion des Vermerks vorlegen, schrieb E. Am 6. März 2023 paraphierte Abteilungsleiter von Simson, dass er die Langfassung „der Ministerin unmittelbar z. K. gegeben“ habe. Erst sechs Wochen später, Ende April, informierte von Simson dann Schönbohm, dass die Untersuchung abgeschlossen sei und er sich auf die Fortsetzung der begonnenen erfolgreichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit freue.

Im Juli kam Claudia Plattner, die lang erwartete neue BSI-Präsidentin, von der EZB. Als die Ministerin sie Anfang Juli 2023 in der Bundespressekonferenz vorstellte, sah man Nancy Faeser an, dass sie hoffte, das Thema nun endlich abgeräumt zu haben. Faeser wollte Wahlkampf in Hessen machen können. Doch sie irrte.

Denn Arne Schönbohm nutzte den Sommer anders als die Ministerin und bereitete Klagen vor. Ende August ging er in die juristische Offensive. Erst ließ er den Anwalt Markus Hennig, einen Spezialisten für derartige Fälle, vom ZDF 100.000 Euro Schadenersatz fordern. Die Sendeanstalt in Mainz wies die Forderung kurz vor Fristende zurück. Kurz darauf wurde bekannt, dass ein anderer Anwalt für Schönbohm gegen die Bundesrepublik Deutschland klagt. Gemeint sind damit: Nancy Faeser und das Bundesinnenministerium als Dienstherr des Beamten. 5.000 Euro will Schönbohm aufgrund von Fürsorgepflichtverletzungen des BMI - aber vor allem will er schwarz auf weiß haben, dass das Ministerium unsauber gespielt hat. Ein Beamter darf vieles nicht, was normale Angestellte dürfen. Im Gegenzug muss der Dienstherr aber auch besonders sorgfältig mit seinen Beamten umgehen.

Unterlagen aus dem Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln mit dem Aktenzeichen 15K4797/23 gelangten an die Presse. Unter anderem der Vermerk, in dem der Vorgang von März bekannt wird. Die Unionsabgeordneten beantragen Innenausschuss-Sondersitzungen. Hat Faeser gar das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Schönbohm gezielt angesetzt? Die Ministerin ließ den Innenausschuss letzte Woche zweimal auflaufen.

Und blies zum Gegenangriff: „In diesem Haushalt geht es viel ums Sparen. Was wir uns aber vor allen Dingen sparen sollten, ist Theaterdonner. Ich verstehe ja, dass Sie in den kommenden Wochen alles tun werden, um mich mit Dreck zu bewerfen “, polterte Faeser in der Haushaltsdebatte zum BMI-Etat in Richtung der Unionsfraktion. Sie habe keine nachrichtendienstlichen Mittel gegen Schönbohm einsetzen lassen, das Ministerium habe eben gründlich geprüft und sie habe das BSI gestärkt. „Bleiben Sie bei den Fakten, und überlassen Sie es doch der CDU in Hessen, Wahlkampf zu führen.“ Angriff als Verteidigungsstrategie?

Der Dreckvorwurf könnte auf Faeser zurückfallen. Hat nicht vielmehr ihr BMI unterlassen, frühzeitig das BSI und Arne Schönbohm in Schutz vor unberechtigter Kritik zu nehmen und deren Möglichkeiten zur Selbstverteidigung minimiert?

In ihrer Bundestagsrede könnte sie den nächsten Fehler begangen haben. Denn plötzlich sollen die Böhmermann-Vorwürfe doch keine Rolle gespielt haben. „Ich mache meine Arbeit, und anders als Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, ist mir die Cybersicherheit in diesem Land wichtig“, sagte Faeser. „Denn ich habe das BSI angesichts der aktuellen Bedrohung gestärkt und das werde ich auch weiter tun. Dafür war eine Neuaufstellung an der Spitze notwendig.“

Faeser kam ohne großes eigenes Netzwerk nach Berlin. Zu Amtsbeginn verkündete sie intern, dass sie bei den Spitzenpositionen erst einmal hinschauen und zuhören werde. Manche würden ausgetauscht, andere bleiben. Ein Muster war nicht erkennbar. Bis heute hat Faeser nur wenige Vertraute im BMI. Früh wird sie als „Kokon-Politikerin“ bezeichnet: eine, die sich nur von einem sehr engen Kreis beraten lässt. Vorneweg Bastian Fleig, „Arbeiter im Weinberg der Demokratie“, wie er seine Rolle sieht, ihr Abteilungsleiter Planung und Kommunikation. Den brachte Faeser aus Wiesbaden mit. Ihren Chefpressesprecher Maximilian Kall, erfahren im Geschäft, holte sie aus dem BMFSFJ, wo der Jurist zuletzt für Christine Lambrecht sprach, für die er vorher auch schon im BMJV tätig war. Mit Martin von Simson ernannte Faeser einen BMI-Insider mit SPD-Parteibuch zum Leiter der Zentralabteilung. Ein wichtiger Posten, denn dort entscheidet sich die interne Organisation des BMI. Die „Z“ ist die Schaltstelle der Macht. Unter BMI-Beamten galt die Ernennung des Hauseigenen als guter Schachzug: Von Simson gilt – obwohl er Vorsitzender der SPD-Betriebsgruppe war – selbst in Unionskreisen als überaus korrekter Beamter.

Und doch: In einem politisch so abgebrühten Haus wie dem BMI wird ein Kokon gefährlich, wenn man das Haus nicht auf seine Seite zieht: Dem Apparat ist relativ egal, wer unter ihm im Ministerbüro sitzt. Die Beamten haben keine Eile – aber dafür das Prozesswissen. Faeser wird in der Koalition immer wieder dafür kritisiert, dass wichtige Vorhaben nicht schnell genug vorankommen.

Zugleich beklagen Beamte aus ihrem Ministerium, Faeser sei bekannt für ihre Schnellschüsse. Und sie schreiben zum Selbstschutz Aktenvermerke. Beim Vorgehen des BMI gegen Arne Schönbohm wurden im Schießschartenbau am Spreebogen viele Vermerke verfasst, die nun in der heißen Wahlkampfphase hervorgezogen werden. Der vorerst letzte ist an diesem Dienstag bekannt geworden. Darin heißt es: Was Schönbohm, wenn überhaupt, vorzuwerfen sei, sei entweder zu lang her oder geringfügig. Die Einleitung eines Verfahrens werfe „erneut die Frage nach der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bzw. den Hintergründen der Abberufung … auf.“ Und dann steht da noch: „Das Ziel der Abberufung des Herrn Schönbohm als P(räsident) BSI wurde erreicht.“ Wer dieses Ziel ausgegeben hat, ist nicht vermerkt. Es spricht viel für die Leitungsebene.

Die Zeichen für Faesers Wahlkampf stehen derzeit nicht sonderlich gut. Faeser hat der Union viel Munition für weitere Vorwürfe geliefert. Ja, sie kann sich wehren, anders als der von ihr geschasste Arne Schönbohm. Wie sehr ihr der Vorgang trotzdem auf die Füße fallen kann, dürfte Faeser unterschätzt haben. Wenn am 8. Oktober in Hessen gewählt wird, entscheidet sich ihre weitere politische Karriere. Sollte sie die Wahl verlieren, könnte es auch für einen Verbleib im Innenministerium eng werden.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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