Am Montagvormittag werden der erste grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Stuttgarter Traditionsunternehmen Bosch besuchen. Milliardenschwer, schwäbisch, große Technologie- und Forschungsabteilung. In normalen Zeiten ein klassischer „Ich-zeige-mich-mal-Besuch". Aber die Zeiten sind nicht normal, erst recht nicht für die Grünen. Für die Partei, die im Herbst 2021 mit so viel Leidenschaft in die Regierung kam und in knapp zwei Jahren so viele Abstriche von den eigentlichen Zielen machen musste, ist der Besuch – obschon zum jetzigen Zeitpunkt eher zufällig – ein nicht zu unterschätzender Einschnitt.
Zum einen trifft Habeck auf eine alte und bislang sehr erfolgreiche Wirtschaftsstruktur, die in den letzten Jahren vor immer größere Herausforderungen gestellt worden ist. Bosch ist nicht nur, aber auch ein Autozulieferer; und Bosch gehört zu den Unternehmen im Südwesten, die zentrale Bedeutung haben, wenn es darum geht, das Industrieland in eine klimaneutrale Zukunft zu führen. Man ahnt, wie unglücklich diese Unternehmen zuletzt mit dem Zeigefinger-Gestus aus dem Berliner Wirtschaftsministerium waren. Den Umbau wird man nicht gegen, sondern nur mit diesen Unternehmen hinbekommen.
Zum anderen wird Habeck von einem Ministerpräsidenten begleitet, der das Gegenmodell zur bisherigen Grünen-Politik im Bund verkörpert. Kretschmann kam nicht mit Verve und Wumms ins Amt, um fortan allen zu sagen, was sie tun sollten. Der 75-Jährige hat über Jahre viel langsamer, aber persönlich glaubwürdig und menschlich zugänglich für einen Umbau der Wirtschaft geworben. Das hat ihm viel Kritik eingehandelt, vor allem auch bei Grünen. Zu langsam, zu gemächlich, nicht entschlossen genug – das sind seit langem die Beschwerden, die Kretschmann immer wieder zu hören bekommt. Nur: Er hat damit Veränderungen eingeleitet und angestoßen, die sich – langsam – in den Unternehmen durchsetzen. Ein Unternehmen wie Bosch, das seit 2020 CO2-neutral ist, hat sich längst mit diesem Ziel verbunden. Umso merkwürdiger wirkte auf Unternehmen wie Bosch die Verve, mit der die Grünen plötzlich in Berlin auftraten.
Nicht ausgeschlossen, dass Habeck sich all das bewusst machen wird, wenn er am Montag in Stuttgart ist. Zumal nach Wochen und zuletzt Tagen, die gerade für die Grünen keine Erfolgsgeschichte gewesen sind, sondern einem politischen Debakel gleichkamen. Der vergangene Freitag, an dem die Ampel nicht mehr genügend Abgeordnete im Bundestag aufbrachte, um das Energieeffizienzgesetz zu verabschieden, ist dabei nur das Tüpfelchen auf dem i gewesen. Noch krasser war, dass zwei Tage zuvor das Bundesverfassungsgericht die Verabschiedung des umstrittenen Heizungsgesetzes gestoppt hat. Begründung: womöglich zu wenig Zeit für eine sachgerechte Prüfung durch das Parlament. Ein Vorwurf, der die Grünen besonders trifft; ähnliche Kritik übten sie noch sehr entschieden, als sie in der Opposition waren.
Und doch war der Beschluss der obersten Richter eine Niederlage für die gesamte Ampel-Koalition, zumal es nicht nur an den Grünen lag, dass der an den Nerven zerrende Streit um das GEG so lange dauerte. Zugleich trifft es die Grünen am härtesten. Sie hatten das Tempo im Blick; sie wollten, dass es schnell geht; sie halten es im Kern klimapolitisch für überlebenswichtig, dass Deutschland endlich vorankommt. Umso bitterer ist es, dass jetzt nochmal alles eine Verzögerung erfährt.
Vielleicht aber führt all das zu dem Lernprozess, für den Kretschmann schon vor Wochen geworben hatte. Lasst Euch genügend Zeit, hatte er nach Berlin gerufen, brecht das alles nicht übers Knie, nehmt die Leute mit. Nur so sei der ganz große Umbau der Wirtschaft und des Lebens der Menschen überhaupt möglich. Kretschmann wird das Habeck auch am Montag nochmal deutlich machen. Und Habeck wird Kretschmann, so viel ist zu vermuten, sehr genau zu hören.
Zu überlegen haben die Grünen um Habeck ohnehin viel in den kommenden Wochen. Nach knapp zwei Jahren in der Regierung mussten sie viel mehr Kompromisse akzeptieren, als sie es sich je vorgestellt haben dürften. Mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine kamen plötzlich Waffenlieferungen in Krisengebiete; kurz danach wuchs der Druck auf den Wirtschaftsminister, weltweit Gas einzukaufen, um Deutschland vor Energiemangel und einem kalten Winter zu bewahren. Das war einerseits zwingend nötig, konterkarierte andererseits aber alle Bemühungen, das Land von fossilen Energieträgern unabhängiger zu machen. Und als das im Januar und Februar geschafft war und der Klimaschutz in der Agenda ganz nach oben rückte, verhagelten der Streit ums GEG und ein EU-Kompromiss zur Flüchtlingspolitik endgültig die Stimmung.
Zur Zeit hängen viele Grüne, ob in der Regierung, in der Fraktion oder als engagierte Mitglieder im ganzen Land in den Seilen. So haben sie sich das nicht vorgestellt. Und deshalb tragen die meisten längst die Frage im Herzen, ob sie das weiter mitmachen sollen oder doch besser wieder zu den eigenen Überzeugungen zurückkehren. Für Habeck gilt das bislang eher nicht; er weiß, dass die Grünen historisch jetzt die Chance haben, das Land zu verändern. Andere aber sind schwer ins Grübeln gekommen.
Viele Grüne fordern für den Rest der Legislaturperiode eine klarere Linie und mehr Entschlossenheit. Weniger Rücksichten, mehr Mut, eindeutige Botschaften – so lautet der Wunsch, der jetzt in vielen Ecken der Partei laut wird. Schaut man aber auf die Prozesse und Wirkungen rund ums GEG, dann müssten die Grünen nach dem Vorbild von Kretschmann das Gegenteil tun: ruhiger für die eigene Sache werben, cooler auf die Kritik und manchmal Störfeuer der FDP reagieren. Ja, auch wenn es schwer fällt: Sie müssten souverän und zugewandt gerade auf die Menschen zugehen, die sie zuletzt verschreckt haben. Die Zweifler und Sucher.
Einen Vorteil haben die Grünen indes: Auch wenn die persönlichen Zustimmungswerte für Habeck gefallen sind, so liegen sie als Partei immer noch bei rund 15 Prozent. Also dort, wo sie auch bei der Bundestagswahl rangierten, während FDP und SPD jeweils zwischen fünf und sieben Prozentpunkte verloren haben. Das bedeutet: Die Partei hat trotz der Streitereien und der Schmerzen eine nach wie vor ziemlich stabile Wählerbasis. Eines allerdings hat sich geändert: Während nicht wenige Wähler noch im Sommer 2021 eher mit großer Neugier auf die Grünen schauten, schallt ihnen jetzt immer mehr Zorn und Aggression entgegen. Das wird ihr Arbeiten nicht leichter machen.
Allerdings: Wenn im Herbst die nächsten Landtagswahlen in Hessen und Bayern anstehen, könnte ihnen eine Entwicklung wieder helfen: Nach allem, was bisher vorhersagbar ist, könnte der Sommer zu den heißesten weltweit werden. Während das Heizungsgesetz im vergleichsweise angenehmen Frühjahr verhandelt wurde, könnten die Wahlen im Herbst nach einem Hitzesommer in einer ganz anderen Stimmung stattfinden. Nicht, weil die Hitze fürs Klima oder die Menschen gut wäre, sondern weil die Dringlichkeit dann wieder ganz anders ins Bewusstsein gerückt sein dürfte.