

Der Missmut des Bundeswirtschaftsministers war am Dienstagnachmittag mit Händen zu greifen. Er sehe inzwischen einen großen Schaden für Deutschland, sagte Robert Habeck vor Beginn der Klausur der Grünen-Fraktion in Weimar. Der Streit mit der EU-Kommission über ein Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor belaste Deutschlands Glaubwürdigkeit in Brüssel. „Wir verlieren Debatten, wir kriegen zu wenig Unterstützung für unsere Projekte.“ Es waren nur ein paar Sätze, aber der Adressat war klar: FDP.
Deren Chef Christian Lindner hat es auf diesen Konflikt gleichwohl angelegt. Und offenkundig auch auf einen Knalleffekt. Erst kurz vor Beginn des Treffens der Euro-Gruppe am vergangenen Montag informierte der Bundesfinanzminister seine Kollegen aus den anderen EU-Staaten darüber, er werde die gemeinsame Erklärung zur Reform der Fiskalregeln so nicht mittragen. Die meisten anderen Minister wurden davon überrumpelt, schließlich hatte die Bundesregierung auf Ebene der Staatssekretäre und der EU-Botschafter dem Text noch zugestimmt.
Lindners Manöver schlug in Brüssel einige Wellen. Und genau darauf schien der FDP-Chef es auch angelegt zu haben. Es ist die Rolle, in der sich die Liberalen derzeit augenscheinlich gefallen, ob auf der heimischen Bühne in Berlin oder in Europas Hauptstadt Brüssel. Sie wollen diejenigen sein, die ganz besonders entschieden für ihre Überzeugungen kämpfen – selbst wenn Koalitions- oder EU-Partner wütend protestieren. Verkehrsminister Volker Wissing sorgt so mit seinem späten Nein zum Verbrenner-Aus 2035 seit drei Wochen für Schlagzeilen.
Spürbar sein, weh tun – das geht offenbar nur über Provokationen
Dahinter steht eine harte Abwägung. Die letzten Wahlniederlagen in Niedersachsen und Berlin haben weh getan; dazu kommen fortwährend schlechte Umfragewerte, die seit Monaten um die Fünf-Prozent-Hürde herum schwanken. Deshalb hat die Parteispitze in Berlin eine Entscheidung getroffen: Sie will dafür sorgen, dass die FDP erkennbar wird. Sie muss spürbar sein, im Zweifel muss sie weh tun. Und das funktioniert nun mal am ehesten mit Provokationen, die auch als solche wahrgenommen werden.
In der Abwägung spielen die Gepflogenheiten des Brüsseler Betriebes, die für das Funktionieren der EU-Kompromissmaschinerie wichtig sind, offenkundig eine untergeordnete Rolle. „Es geht um Selbstbehauptung“, sagt ein langjähriger FDP-Abgeordneter, der vor der großen Niederlage 2013 schon dabei gewesen ist. Da sei in der Prioritätenliste der Überlebenswille größer als die Sensibilität für Brüssel, so der Liberale.
Die Kritik etwa vonseiten der Grünen oder aus Paris dient in dieser Strategie eher der eigenen Profilierung als dass sie schadet. „Im Moment nimmt die deutsche Politik und auch die Interessenvertretung Deutschlands Schaden“, warnte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gestern. „Wir verlieren Debatten, wir kriegen zu wenig Unterstützung für unsere Projekte.“
„Unsere Position erfährt Unterstützung von verschiedenen Seiten“
Der europapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Link, hält dagegen: „Natürlich gibt es Kritik von jener Seite, die eine andere Meinung zum Verbrenner haben“, sagt er. „Aber ich kann nicht erkennen, dass Deutschland daraus ein Ansehensschaden entstanden wäre, im Gegenteil, unsere Position erfährt Unterstützung von verschiedenen Seiten.“ Deutschland trage als größter Mitgliedstaat immer eine besondere Verantwortung, sich für die Konsensbildung in der EU einzusetzen. Das gelte aber ebenso für die Kommission – und die habe keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, wie vereinbart einen Vorschlag zu E-Fuels vorzulegen.
Es ist allerdings beileibe nicht das erste Mal, dass die FDP-Minister die Entscheidungsprozesse in Europa-Themen eigenhändig und spät ins Stocken brachten.
- Schon im vergangenen Frühjahr intervenierte Wissing erst, nachdem sein Ministerium die Zustimmung zum Verbrenner-Aus in der Bundesregierung über Wochen und Monate mitgetragen hatte.
- Bei der Richtlinie über Frauen in Führungspositionen war es Justizminister Marco Buschmann, der spät in die Speichen des Räderwerks griff. Die Bundesregierung hatte dem Verhandlungsergebnis des Triloges nach einigem koalitionsinternem Hin und Her unter Vorbehalt zugestimmt. Während der anschließend sprachjuristischen Prüfung versuchte das Justizministerium laut EU-Diplomaten aber, weitere, teils neue Punkte einzuspeisen. Die höchst unübliche Intervention blieb fruchtlos, verzögerte aber den gesamten Prozess.
- Bei der Richtlinie für bessere Arbeitsbedingungen von Plattform-Arbeitern verständigten sich die Koalitionäre zunächst auf eine gemeinsame Position, die Bundesregierung verhandelte monatelang aktiv mit im Rat. Dann aber kündigte die FDP-Seite – offenbar auf Druck Lindners – die Verständigung plötzlich auf. Im Rat musste sich Berlin daher enthalten, sehr zum Ärger der anderen beteiligten Häuser und der Mitgliedstaaten, die bis dato am gleichen Strang gezogen hatten.
Bei anderen Mitgliedstaaten gilt Berlin daher inzwischen schon als wenig verlässlich und schwer berechenbar. „Die Probleme in der Koalition werden so zu einem europäischen Problem“, sagt ein EU-Diplomat. Daher sei es an der Zeit, dass Kanzler Olaf Scholz einschreite. „Europa ist Chefsache, aber der Chef ist nicht da.“
Auch der Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland, Bernd Hüttemann, warnt: „Wenn man rückwirkend Vereinbarungen nach eingeübten Verhandlungen wieder in Frage stellt, kann das in der Sache verständlich sein, doch hat es fatale Folgen für die Glaubwürdigkeit deutschen Regierungshandelns in der EU.“
Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß mahnte bereits vor Monaten in einem internen Drahtbericht, die Abstimmungsschwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung minderten den Einfluss Deutschlands auf EU-Ebene. Dabei hatte sich die Ampel-Koalition vorgenommen, die europapolitische Koordinierung innerhalb der Bundesregierung zu verbessern. Abstimmungsrunden auf unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen sollen sicherstellen, dass strittige Fragen geklärt werden und sich Berlin so frühzeitig positionieren kann.
Die Moderaten sind in der Defensive in diesen Tagen
Doch das Ansinnen scheiterte in den ersten 15 Monaten der Koalition mehrfach. Ob es demnächst besser wird, ist fraglich. Mehrere zentrale Akteure der deutschen Europapolitik verlassen demnächst ihre Posten: Der zuständige Staatssekretär im Finanzministerium, Carsten Pillath, geht in den Ruhestand, sein Nachfolger Heiko Thoms hat deutlich weniger Erfahrung EU-Erfahrung. Im Auswärtigen Amt geht Staatssekretär Andreas Michaelis als Botschafter nach Washington, seine Nachfolge ist noch nicht entschieden. Und auch EU-Botschafter Clauß steht nach fünf Jahren in Brüssel im Sommer vor dem Absprung.
Ein politischer Streit wie um den Verbrennermotor lasse sich ohnehin nicht durch eine gute Koordinierung auf Beamtenebene lösen, argumentiert FDP-Politiker Link. Er sei Ausdruck eines „tiefgreifenden Dissenses zwischen Grünen und Liberalen beim Thema Technologieoffenheit“.
Doch so entschieden und klar das klingt – in den Reihen der Liberalen gibt es trotzdem nach wie vor zwei Gruppen, die sich bei ihrem Blick auf die Politik nahezu diametral gegenüberstehen. Die einen halten viel von vertrauensvoller Zusammenarbeit in der Ampel – für sie ist das Funktionieren einer Koalition ein Wert an sich. Bei schlechten Umfragen freilich werden ihre Karten schlechter gegenüber jenen, die nach Profilierung und eigenen Schlagzeilen trachten. Diese zweite Gruppe ist es, die derzeit den Ton angibt – und sich bestätigt fühlen dürfte, da die FDP in aller Munde ist. In Brüssel wie in Berlin.