Analyse
Erscheinungsdatum: 22. Mai 2023

Graichen-Nachfolger Philipp Nimmermann: Erfahrener Finanzmanager aus Hessen

Frankfurter Buchmesse 2021. Philipp Nimmermann am 19.10.2021 auf der Frankfurter Buchmesse. 20211019MWI12155 *** Frankfurt Book Fair 2021 Philipp Nimmermann on 19 10 2021 at the Frankfurt Book Fair 20211019MWI12155
Philipp Nimmermann heißt der neue Patrick Graichen. Er ist – wie der Kanzler-Vertraute Jörg Kukies – Banker und Volkswirt und war als Kieler Staatssekretär einst Retter in der HSH Nordbank-Not. Ob der Hesse auch Energiepolitik kann, muss er noch beweisen.

Das wich tigste Kriterium, das Wirtschaftsminister Robert Habeck intern für die Nachfolge von Patrick Graichen als Energie-Staatssekretär aufgestellt hatte, erfüllt Philipp Nimmermann voll und ganz: Er ist kein Teil der eng verwobenen Energie-Szene, die Graichen zum Verhängnis wurde. Im Gegenteil: Mit dem Thema Energie hatte der 57-jährige Ökonom bisher allenfalls am Rande zu tun. Dementsprechend hatte den Namen im Vorfeld kaum jemand auf dem Zettel.

Aus dem Umfeld des Ministers heißt es allerdings, Nimmermann sei keineswegs zweite Wahl, weil andere gehandelte Kandidaten wie der Netzagentur-Präsident Klaus Müller nicht zur Verfügung standen. Habeck kennt ihn aus der Regierung in Schleswig-Holstein, wo Nimmermann Staatssekretär im Finanzministerium war, während Habeck dort Landesumweltminister war – und er vertraut ihm offenbar sehr. Nimmermann sei „ein erfahrener Verwaltungschef“, „seit vielen Jahren Staatssekretär“ und „ein guter Ökonom“, sagte Habeck am Montag – sichtlich erleichtert, das Thema vom Tisch zu haben.

Die fehlende energiepolitische Erfahrung sieht Habeck dabei offenbar nicht als Problem, sondern eher als Chance. Nimmermann werde „mit einem frischen Blick nochmal auf die Prozesse schauen“, sagte der Minister. Tatsächlich sind viele der verbleibenden Großprojekte – vom Heizungsgesetz über die Wind- und Solarpakete bis zu Industriestrompreis und LNG-Terminals – bereits weitgehend ausgearbeitet; die verbleibende Arbeit betrifft vor allem das Management von politischen Prozessen und die Kommunikation. Und dass er das beherrscht, hatte der promovierte Volkswirt in der Vergangenheit wiederholt unter Beweis gestellt.

So gilt Nimmermann als Architekt eines Deals, der Hamburg und Schleswig-Holstein Milliarden erspart hat. Deren gemeinsame Landesbank, die HSH Nordbank, hatte die höchste Quote an faulen Krediten „außerhalb von Griechenland und Zypern“ angehäuft, wie Nimmermann 2014 als frisch berufener Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Finanzministerium zu Protokoll gab. Dreieinhalb Jahre später, genau elf Stunden vor Ablauf der von der EU eingeräumten Verkaufsfrist für die verschuldete Bank, war Nimmermann froh über den „Fotofinish“. „Wir haben es geschafft, eine existenzielle Krise abzuwenden“, lobte ein erleichterter Olaf Scholz, damals Bürgermeister der Hansestadt.

Den Öko sieht man dem Volkswirt nicht an. Der Frankfurter wirkt im Gegenteil von den Lederschuhen bis zur Glatze stets wie frisch poliert, trägt gern Krawatte, Dreiteiler, sogar mal einen extravaganten Gehrock. Doch seine Prägung in einem der ersten antiautoritären Kinderläden im linksalternativen Stadtteil Nordend hat der schlanke Mann nur äußerlich hinter sich gelassen.

Nimmermann ist in internationalem Steuerrecht promoviert. Bis zu seiner Promotion 1998 arbeitete er fünf Jahre an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zum Länderfinanzausgleich und zur Europäischen Integration und Regionalentwicklung. Anschließend wechselte er in die BHF Bank AG, wo er zum Chefvolkswirt aufgestiegen war, als ihn die damalige grüne Finanzministerin Monika Heinold nach Kiel holte. Von der Waterkant aus hat Nimmermann Vorlagen für das seit 2020 geltende Gesetz zur Anzeigepflicht von grenzüberschreitenden Steuermodellen geliefert. Vorlagen, die das damals von Scholz geführte Bundesfinanzministerium gerne aufgriff.

Mit „Stehlen“ sei das Wort „Steuern“ nicht verwandt, gehört zu Nimmermanns Bonmots. Das Wort komme vom Mittelhochdeutschen „stiure", und bedeute „stützen“. Dass der Staat sich durch Steuermodelle wie „Cum Ex“, aber auch durch Immobilienkonstrukte wie die berüchtigten „Share Deals“ habe ausbeuten lasse, gefährdet aus seiner Sicht das Gemeinwohl. Wenn er dieser Linie treu bleibt, dürften es die mächtigen Lobbys, die es auch im Energiesektor reichlich gibt, auch künftig nicht leichter haben als unter Graichen.

Bei einem anderen Thema dürfte es dagegen ausdrücklich erwünscht sein, dass sich Nimmermann von Graichen absetzt. Bei der BHF-Bank, seinem bisherigen Arbeitgeber, so wird aus dem Ministerium ausdrücklich betont, kümmerte sich der künftige Staatssekretär unter anderem um die Einhaltung von Compliance-Regeln.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!