Analyse
Erscheinungsdatum: 06. Februar 2025

Gesundheitswesen: Warum ein Top-Thema im Wahlkampf keine Rolle spielt 

Trotz realer Bedeutung für die Menschen, durch steigende Krankenkassenbeiträge oder Finanzprobleme von Pflegeeinrichtungen, scheint Gesundheitspolitik nicht sexy genug für den Wahlkampf. Gesundheitspolitiker erklären, woran das liegt.

Um den Jahreswechsel lag das Schreiben bei einem Großteil der gesetzlich Versicherten in den Briefkästen: Die Zusatzbeiträge für die 58,4 Millionen beitragszahlenden GKV-Mitglieder steigen drastisch, durchschnittlich von 1,7 auf 2,5 Prozent. Für das aktuelle Medianeinkommen von 43.750 Euro brutto im Jahr ergibt das eine Erhöhung von rund 175 Euro.

In ihren Briefen an die Versicherten schossen die Krankenkassen oft mit markigen Worten gegen die Politik. „Die Bundesregierung hat die Krankenkassen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gezwungen, Rücklagen abzubauen“, schrieb etwa die BKK VerbundPlus. „Ohne diesen politischen Zwang hätten wir nun auch nicht den Zusatzbeitrag erhöhen müssen.“

Dennoch spielt die Gesundheitspolitik im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Der Vorstoß von Robert Habeck, auch auf Kapitalerträge Sozialbeiträge zu erheben, sorgte für lautstarke Kritik der politischen Konkurrenz. Doch auch in den Wahlprogrammen anderer Parteien sucht man vergeblich nach konkreten und zielführenden Vorschlägen, um den Anstieg der Krankenkassenbeiträge zu stoppen.

„So richtig gezielte und durchdachte Vorschläge hat keine Partei“, konstatiert Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im Interview mit Table.Briefings. „Das mag daran liegen, dass es dort keine ausgewiesenen Gesundheitsexperten gibt, oder Gesundheit nur ein Nebenthema ist“, meint Gassen. Gesundheitspolitik sei „unsexy“ und kompliziert und könne nicht „mit markigen Schlagworten behandelt werden“.

Ähnlich sieht es Georg Kippels, Obmann der Unionsfraktion im Gesundheitsausschuss. „Unser Gesundheitssystem ist extrem komplex“, sagt er Table.Briefings. „Die Patientinnen und Patienten wollen einfach mit ihrer Karte zum Arzt gehen können und sind froh, wenn sie einen Termin bekommen.“ Doch das System dahinter mit Preisgestaltung, Vergütung und Zuständigkeiten bleibe ihnen verborgen und interessiere sie auch nicht. Deshalb sei eine Diskussion darüber in der breiten Öffentlichkeit schwierig zu führen.

Diese Erfahrung hat auch Claudia Moll (SPD) mit der Pflegepolitik gemacht. „Das Thema Pflege ist für viele Menschen sehr weit weg, solange es sie selbst nicht betrifft“, sagte die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Table.Briefings. Dabei ist die Situation in der Pflege nicht besser. Die Kassen warnen vor Finanzierungsproblemen; die Eigenbeiträge für Pflegeeinrichtungen steigen immer weiter. Laut einer aktuellen Auswertung des Verbands der Ersatzkassen kletterte die durchschnittliche Eigenbeteiligung binnen eines Jahres von 2.687 auf 2.984 Euro pro Monat.

Ein weiterer Grund für die geringe Popularität der Gesundheitspolitik ist aus Sicht von Janosch Dahmen die geringe Unterscheidbarkeit der Parteien. „Auf der Schlagwortebene fordern alle dasselbe: Bessere Bedingungen für die Beschäftigten, weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung“, sagte der gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen Table.Briefings. Doch für viele zähle am Ende nicht die „politische Ritualdebatte“, sondern die Verlässlichkeit und Finanzierbarkeit der Versicherungsbeiträge.

Aus Gassens Sicht schadet es allerdings auch nicht, dass die Gesundheitspolitik nicht zu den großen Wahlkampf-Themen gehört. Auf die Frage, welche Partei aus seiner Sicht das beste Rezept habe, antwortet der Kassenärzte-Chef, er sei fast geneigt, die CSU zu nennen – da in ihrem Wahlprogramm am wenigsten zur Gesundheit drinstehe. Das sei ihm jedoch lieber als „völlig unsinnige Vorschläge wie eine Termingarantie, wie sie jetzt die SPD propagiert“. Dann könne man nach der Wahl „in aller Ruhe die Sachen mal abarbeiten“.

SPD und Grüne wollen perspektivisch eine Bürgerversicherung. Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm ein Primärarztsystem, das die freie Arztwahl einschränken würde. Wie Gassen die Vorschläge beurteilt und was er sich von der künftigen Bundesregierung wünscht, lesen Sie im Interview des Berlin.Table.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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