Was ist mit der FDP los?
Die FDP ist auf dem Weg zur Selbstzerstörung. Sie hat mit der D-Day-Affäre ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt. Das ist die Lage.
Was muss passieren?
Das wichtigste und absolut notwendige Signal, das Christian Lindner ausstrahlen müsste: Wir haben verstanden. Die Partei muss alles tun, um Vertrauen zurückzugewinnen. Bei den Mitgliedern und den Wählern. Mit Integrität. Mit einem umfassenden Freiheitsbegriff, der die soziale Verantwortung beinhaltet.
Passt dazu, dass Lindner gerade Milei und Musk nennt, an denen man sich mehr orientieren solle?
Überhaupt nicht. Was haben wir Liberale mit diesen Leuten zu tun.
Was empfehlen Sie der FDP-Spitze?
Die Partei muss sich neu aufstellen. Und zwar schnell. Mit einer ganz anderen personellen Breite. Ein neuer Generalsekretär? Das reicht bei weitem nicht. Wir brauchen neue Gesichter im Präsidium. Zeit bleibt nur bis Weihnachten. Für Eitelkeiten gibt es keinen Raum.
Geht es vor allem um neue Gesichter?
Nein. Wir brauchen noch dringender eine breitere inhaltliche Ausrichtung: Wo bleibt die außenpolitische Kompetenz? Wer sind wir in der Europapolitik? Wo bitte kämpfen wir für Freiheit im liberalen Sinne? Warum gibt es niemanden, der darauf eine Antwort geben kann? Der größte Fehler war: Es gab nie eine Aufarbeitung von Fehlern, Schwächen, Wahlniederlagen. Es gibt keine Überlebensstrategie. Der Generalsekretär war doch nicht an allem schuld?
Welche Inhalte fehlen ihnen?
Unser politisches Angebot ist unverantwortlich verengt worden. Was würde Genscher heute tun, um Europa stärker weltpolitisch ins Spiel zu bringen? Es war ein riesiger Fehler, dass liberale Europaabgeordnete Frau von der Leyen nicht mitgewählt haben gegen den Rechtsruck im Europaparlament. Das brisante Thema „Schutz der Frauen“ zum Beispiel ist für die FDP-Führung kein Thema. Warum? Wir brauchen eine weltoffene Definition von Freiheit, die im wirtschaftlichen den Menschen Richtung gibt und Kreativität auslöst – und im außenpolitischen deutlich macht, was heute auf der Welt auf dem Spiel steht.
Wo sehen Sie den größten Mangel?
Liberale Politik muss geleitet sein von einem Verantwortungsgefühl für die ganze Gesellschaft. Stattdessen hat die FDP-Spitze alles auf die Schuldenbremse und den Haushalt verengt. Eine Partei mit einem Prozent Sachkompetenz und vier Prozent Wähleranteil. Schlimmer noch: Sie hat eine Koalition und ein ganzes Land in Geiselhaft genommen. Da stimmt keine Relation mehr. Freiheit ist unlösbar verknüpft mit Verantwortung. Mit Schutzaufträgen für Schwächere und Minderheiten. Mit einer offensiven Verteidigung unserer liberalen Verfassung.
Welche Rolle spielt für die FDP der Klimaschutz?
Ja, der Klimaschutz. Der ist doch kein Selbstzweck, sondern Notwendigkeit. Wieso konnten wir den Eindruck zulassen, dass uns das nicht ganz so wichtig ist. Gerade an ihm macht sich fest, ob unser wirtschaftlicher Erfolg in die Zukunft gerettet werden kann. An ihm macht sich fest, ob liberale Politik Kreativität auslöst.
Wir erklären Sie sich den Fokus auf die Schuldenbremse?
Die Versteifung auf die Schuldenbremse gegen starken Widerstand und bei zweifellos wachsenden Staatsaufgaben – das war unerträgliche Überheblichkeit. Es geht um viel mehr. Die Frage des gerechten Anteils am wirtschaftlichen Ertrag, im besten Fall an der Ertragssteigerung der Wirtschaft – das ist nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Sie ist die Freiheitsfrage schlechthin.
Ist die FDP noch zu retten?
Ich kann es nur hoffen. Die FDP braucht inhaltlich einen überzeugenden Neuanfang, ob mit oder ohne Christian Lindner – und zwar vor Weihnachten auf einem Sonderparteitag. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, werden wir verschwinden. Viele Jahre haben meine Freunde und ich der FDP die Treue gehalten. Die Republik braucht eine liberale Partei – eine Partei mit dieser Freiheitsdefinition der Revolution von 1848. Gerade heute. Die Parteiführung sollte darüber nachdenken, ob sie noch überzeugt nach so vielen Wahlniederlagen, die sie zu verantworten hat. Ich habe viele Krisen erlebt. Sie haben mich eher motiviert, zu bleiben, um sie zu lösen.
Denken Sie über einen Rückzug nach?
Überhaupt nicht.