Analyse
Erscheinungsdatum: 23. Mai 2023

FDP und Grüne: Der Kampf der Kulturen wird zum Kampf um die Macht

Finanzminister Christian Lindner und Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck Nach der Rede von König Charles III. im Bundestag, Finanzminister Christian Lindner und Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf der Regierungsbank Berlin Berlin GER *** Finance Minister Christian Lindner and Climate and Economic Minister Robert Habeck After King Charles IIIs speech in the Bundestag, Finance Minister Christian Lindner and Climate and Economic Minister Robert Habeck on the government bench Berlin Berlin GER

Die Ampel ist an einem Scheideweg. Jetzt wird offenbar, wie sehr sich FDP und Grüne beim Kampf gegen den Klimawandel unterscheiden. Die Liberalen wollen nur das Ziel festlegen, was die Grünen misstrauisch macht. Die Grünen wollen den Weg dorthin festklopfen, was die FDP als Angriff aufs Wirtschaftsmodell erlebt. Und das Ganze unter einem Zeitdruck, den andere zu verantworten haben.

Wer in diesen Tagen abwechselnd mit Grünen und Liberalen spricht, trifft auf zwei Welten. Eine Ampel, aber zwei Denkschulen. Und das nicht nur an einer kleinen Stelle hier oder da, sondern sehr grundsätzlich: Die einen spüren einen immensen Zeitdruck beim Klima; die anderen wollen eine Art Abgesang auf das Denken und Wirken verhindern, das aus ihrer Sicht diese Republik ausgemacht hat. Wer verstehen will, wie es an diesem Dienstag, den 23. Mai 2023, zum Clash um das Gebäudeenergiegesetz kommen konnte, der muss sich das bewusst machen: Es geht im Kampf um den richtigen Klimakurs nicht mehr um Kleinigkeiten. Es geht um ein grundsätzliches Verständnis dafür, wie man eine tatsächlich historische Veränderung des Wirtschaftens und Lebens in einer Demokratie umsetzt.

Da sind auf der einen Seite die Grünen. Sie haben Jahre darauf gewartet, endlich umzusetzen, was sie sich seit Jahrzehnten immer nur in der Opposition aufschreiben und errechnen konnten: Wie und mit welcher Technik ist das Ziel im Kampf gegen den Klimawandel überhaupt noch zu erreichen. Geht man mal einen Schritt zurück hinter die Affäre um den früheren Staatssekretär Patrick Graichen, dann kann man sehen, dass nicht böse Lobbyisten, sondern leidenschaftliche Klimaretter seit Jahren in Denkfabriken, wie sie in den USA seit Jahrzehnten üblich sind, sich auf diesen Weg vorbereitet haben. Ob Agora Energiewende, Öko-Institut oder andere Institutionen – ihnen allen ist eines gemein: die sachlich-inhaltliche Suche nach dem richtigen Weg, um trotz Verzögerung und Problemen das 1,5 Grad-Ziel von Paris noch zu erreichen.

Das bedeutet im Rückblick: Sie haben sich damit schon auseinandergesetzt, als die meisten anderen Parteien ganz andere Probleme gewälzt haben. Patrick Graichen und seine Klima-Mitstreiter saßen über Zahlen, Berechnungen, Erläuterungen von Wissenschaftlern, als die anderen mit der Euro-Krise kämpften oder sich darum stritten, wie man angemessen mit einer Großzahl an Flüchtlingen umgehen sollte. Sie drehten und wendeten jahrelang Fakten, Interpretationen und Schaubilder, um so den besten aller Wege zu identifizieren.

Nur wer sich diese Vorgeschichte bewusst macht, kann nachvollziehen, warum Robert Habecks Energie-Leute mit so klaren Ideen und festen Überzeugungen in diese Regierung starteten. Dass die Wärmepumpe dabei ins Zentrum gerückt ist, entsprang keinen wirtschaftlichen Interessen oder gar Beteiligungen an Wärmepumpenunternehmen. Es war das Ergebnis sachlicher Analysen und Abwägungen. Deshalb waren Graichen und Co sehr überzeugt davon, dass sie „das Richtige“ tun wollen und werden.

Was sie aber unterschätzten, war die Gefahr, die sich mit einer möglichen oder vermeintlich besten Lösung verbindet: dass man in einem Land der Ingenieure und Wissenschaftler den Eindruck erwecken würde, man wisse alles besser. Das hat einen Charme in die eigene Klientel hinein. Aber es kann bei allen anderen Abwehrreflexe auslösen. Und genau das ist passiert. Einerseits dort, wo das große wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahrzehnte seinen Ursprung genommen hat: in den Unternehmen, vor allem jenen des Maschinenbaus und der Automobilindustrie. Sie hat von nichts anderem so sehr gelebt wie von der eigenen Kreativität. Da musste das Grüne Bestreben auf Abwehr stoßen.

Gravierender noch ist der Widerstand, den jetzt die FDP aufgebaut hat. Noch Anfang des Jahres schienen die Liberalen geschwächt, ohne größere Erzählung und getroffen von schlechten Landtagswahlergebnissen. Doch dieses Thema, das sich in dem Wort Technologieoffenheit bündelt, ist tatsächlich zu einem neuen Kraftbrunnen geworden. In der Lesart der Liberalen verbinden sich hier der Stolz der Wirtschaft mit dem Selbstverständnis einer Partei, die auf die Kraft des Marktes setzt. Angefangen hatte es noch mit der in den meisten Medien als Panne beschriebenen Aktion von Verkehrsminister Volker Wissing, der in Brüssel quasi in allerletzter Minute eine Option für E-Fuels erzwang. Doch was auf die einen spät, lächerlich, kleinlich und unrealistisch wirkte, ist für die anderen zum Ursprung einer neuen Selbstfindung geworden.

Das wiederum muss man sich bewusst machen, will man verstehen, warum die FDP auch beim Gebäudeenergiegesetz (GEG) nun so darauf beharrt, mögliche oder vermeintliche Alternativen zur Wärmepumpe zu diskutieren. Ob das rechtfertigt, das ganze Gesetz harsch aufzuhalten, ob es sich für sie also lohnt, die Ampelpartner in einer alles auf die Spitze treibenden Machtdemonstration zu provozieren, muss die FDP für sich entscheiden. Der Grat bleibt schmal zwischen Vernunft und zerstörerischer Blockade. Zumal ihr Handeln, also die Form ihres Widerstands, spätestens jetzt auch wieder als Beleg für eine knallharte Interessenpolitik gelesen wird.

Deshalb ist nach diesem denkbar größten Affront innerhalb der Ampel nicht entschieden, wem die Öffentlichkeit das Chaos dauerhaft anlastet. Die Liberalen werden hoffen, dass sich das aktuell kritischere Bild von den Grünen bei den Menschen festsetzt. Die Grünen hingegen werden mehr und mehr darauf setzen, dass die Liberalen als Blockierer wahrgenommen werden. Das hatte der FDP in der Vergangenheit durchaus geschadet. Zumal sie aktuell nicht nur beim GEG, sondern auch an vielen anderen Stellen wenig kooperativ auftritt. Das gilt für das Provisionsverbot in Brüssel, für die Kindergrundsicherung in Berlin oder bei Themen des Landwirtschaftsministeriums, bei dem das Nein-Rufen wenig mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun hat.

Allerdings gehört zu diesem Streit eines dazu: der Zeitdruck, unter dem der Konflikt jetzt stattfindet. Ihn haben weniger diese beiden verschuldet, sondern zuallererst die CDU-geführten Vorgängerregierungen. Zu vieles im Kampf gegen den Klimawandel blieb liegen, wurde nicht angerührt oder sogar blockiert. Ausbau der Netze, Ausbau der Windkraft, Ausbau der Fernwärme – die Liste ist lang. Und jeder Monat, der jetzt noch ins Land geht, macht das Problem nicht kleiner, sondern immer größer.

Für Olaf Scholz wird das langsam aber sicher gefährlich. Nicht ausgeschlossen, dass nochmal ausführlicher daran erinnert wird, wie lange seine SPD und auch er persönlich an diesen Vorgängerregierungen beteiligt waren. Doch der Rückblick ist noch nicht mal das bedrohlichste. Das Bild, dass ihm die FDP auf der Nase rumtanzt, ist die eigentliche Gefahr, die seit diesem Dienstag lauert. Und das ausgerechnet von einer FDP, die der Kanzler zuletzt eher gestützt als kritisiert hat.

15 Monate lang gefiel sich Scholz als Schiedsrichter. Jetzt bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als Farbe zu bekennen. Und zwar Farbe in einer Frage, in der die einen in der SPD den Grünen nahe stehen, weil sie dem Klimawandel schnellstmöglich was entgegensetzen möchten – und die anderen immer mehr fürchten, dass ihnen da jemand was wegnehmen möchte. Das kann Scholz nicht länger nebeneinander stehen lassen. Jedenfalls dann nicht, wenn er diese Koalition über den Sommer hinaus behalten möchte.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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