Christian Lindner ist in diesen Auftritten routiniert. An Montagen nach Wahlabenden tritt der Parteichef und Finanzminister im Atrium des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses gemeinsam mit den Spitzenkandidaten vor die Presse und erklärt, warum die FDP mal wieder verloren hat. Von einem „bitteren Ergebnis“ ist dann meist die Rede. Garniert werden die Ansprachen trotzdem mit Lob für die Spitzenkandidaten, die selbst ja gar nicht viel dafür könnten.
Deren Aufgabe ist es dann, nach Erklärungen zu suchen. Auch diese klingen seit drei Jahren sehr ähnlich: Man habe mit den eigenen landespolitischen Themen nicht durchdringen können. Dabei habe die FDP doch so gute Lösungsansätze, zum Beispiel für die Missstände in der Bildung. Doch der Streit in der Ampel und die großen Themen Ukraine-Krieg und Migration hätten alles überschattet.
Zehn Landtagswahlen haben seit der letzten Bundestagswahl stattgefunden. Bei neun von ihnen hat die FDP Verluste eingefahren; viermal flog sie aus dem Parlament. Nur im Saarland, im März 2022, gab es leichte Zugewinne, die aber für den Einzug ins Landesparlament nicht reichten. Mittlerweile sind die Liberalen so Niederlagen-geplagt, dass sie die 5,2 Prozent bei der Europawahl im Juni mit nur 0,2 Prozent Verlust im Vergleich zu 2019 feierten, als hätten sie ihr Ergebnis verdoppelt.
Von Lindner und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist nach den Wahlen außerdem zu hören, dass es so nicht weitergehen könne. Die Bundesregierung müsse endlich mehr handeln und den Menschen zeigen, dass sie in der Lage sei, ihre Probleme zu lösen. Die schlechte Performance der Ampel-Regierung wird als Hauptgrund für die Wahlniederlage genannt. „ Die FDP befindet sich in einer Defensive aufgrund der Beteiligung an einer Bundesregierung, die äußerst unbeliebt ist“, sagt Lindner auch an diesem Montagmorgen.
Die Analyse der Liberalen ist also klar. Nur folgen daraus bislang kaum Konsequenzen. Allen Niederlagen zum Trotz setzt die Partei ihre Strategie seit ihrem Eintritt in die Ampel-Koalition unbeirrt fort. Sie macht die Einhaltung der Schuldenbremse und Wirtschaftswachstum zur obersten Maxime ihres Regierungshandels – auch wenn dies bedeutet, Vorhaben zu blockieren und die Koalitionspartner gegen sich aufzubringen. Wenn man überhaupt eine Reaktion nach Wahlniederlagen erkennen kann, dann ist es immer die gleiche: erst wird erklärt, dass man die eigenen Positionen noch stärker artikulieren müsse, unterfüttert mit unzähligen Interviews des Parteivorsitzenden und verschiedenen Viel-Punkte-Papieren, die montags im Präsidium beschlossen werden, nachdem sie bereits am Wochenende zuvor in großen Medien lanciert wurden.
Infrage gestellt hat diese Strategie in den knapp drei Jahren seit dem Start der Ampel-Koalition in den Führungsgremien der Partei kaum jemand. Unruhig wurde es einmal kurz vor Ende des vergangenen Jahres, als die Initiative „Weckruf“ per Mitgliederentscheid den Austritt aus der Ampel-Koalition erwirken wollte. Nur etwa ein Drittel der Parteimitglieder beteiligten sich daran. Von ihnen stimmten 52,24 Prozent für den Verbleib in der Koalition. Eine überzeugende Mehrheit war das nicht, doch die internen Ampel-Kritiker verstummten. Zumindest vorübergehend.
Denn am Montag nahm die Basisinitiative einen neuen Anlauf. In einem Schreiben, über das der Spiegel berichtet, fordern sie den Ausstieg aus der Ampel-Koalition oder den Rücktritt Lindners. „Wir respektieren und achten ihren Einsatz für die Rückkehr der FDP in den Bundestag“, heißt es an den Parteichef gerichtet. „Wenn Sie nun aber nicht erkennen, dass Sie uns mit einem Fortführen dieses Trümmerkurses wieder hinausführen, bitten wir Sie zu gehen.“ Eine Alternative schlagen sie auch vor: „Bijan Djir-Sarai, unser Generalsekretär, ist eine Person der Mitte, eine Person, die die unterschiedlichen Strömungen in unserer Partei zusammenführen kann.“
Der Brief der Basisinitiative wurde unter hochrangigen Parteimitgliedern am Montagnachmittag demonstrativ gelassen aufgenommen. Ein Rücktritt Lindners können sich selbst diejenigen, die die Arbeit der Bundesregierung am kritischsten sehen, kaum vorstellen. Dass die Autoren des Briefs zugleich ausgerechnet Djir-Sarai als möglichen Nachfolger ins Spiel bringen, wurde von dem einen oder anderen sogar mit einem Schmunzeln aufgenommen. Denn die Arbeit des Generalsekretärs wird von vielen in der Partei ebenfalls kritisch gesehen.
Auch ein Austritt aus der Koalition soll in der Vorstandssitzung am Montag kein Thema gewesen sein, wie Table.Briefings aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Lindner habe einen entschlossenen und kämpferischen Eindruck gemacht, heißt es. Bereits am Abend zuvor hatte er in einer internen Nachricht an die Parteigremien vor neuen Richtungsdebatten gewarnt. Er erinnerte daran, dass der Brandenburger Landesverband noch eine Wahl vor sich habe. „Meine Bitte ist daher, dass wir bei öffentlichen und internen Einordnungen Rücksicht nehmen“, schreibt Lindner. Allerdings fügt er an, dass danach „Entscheidungen zur weiteren Strategie ab 2025“ anstünden.
Doch diese Debatte ist längst im Gang. Am Montag wollte dies zwar noch niemand im größeren Rahmen artikulieren. Doch auch unter Abgeordneten, die die Koalition lange verteidigten, wachsen die Zweifel, ob man wirklich noch ein Jahr in dem Bündnis ausharren solle. „Wir müssen in den nächsten Tagen eine klare Antwort darauf finden, ob unserem Land mit der Ampel-Koalition wirklich noch geholfen ist“, schrieb die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen auf Instagram.
Parteivize Wolfgang Kubicki hatte sich bereits am Sonntagabend auf X klar geäußert: „Die Ampel hat ihre Legitimation verloren“, schrieb er dort. Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft ihr in diesem Ausmaß die Zustimmung verweigere, müsse das Folgen haben. „Die Menschen haben den Eindruck, diese Koalition schadet dem Land. Und sie schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei “.
In der Präsidiums- und Vorstandssitzung am Montag war Kubicki nicht persönlich anwesend. Der Bundestagsvizepräsident weilt derzeit noch in New York. Und der zweitgrößte Querulant, Maximilian Mordhorst, ist im Führungsgremium nicht vertreten. Doch ab Mittwoch kommt die Fraktion für drei Tage in Hamburg zur Klausur zusammen. Dort dürfte die Diskussion um den Verbleib in der Ampel geführt werden. Dass die Fraktion damit – wie von Lindner gewünscht – bis nach der Brandenburg-Wahl wartet, glauben die Wenigsten.