Analyse
Erscheinungsdatum: 14. März 2023

„Es gibt eine Tendenz in Deutschland, mit sich selbst zu reden“

Kaim_Markus_0465   ausgesuchtes Motiv
Am Donnerstag kommt Israels Premier Benjamin Netanjahu nach Berlin. Für Deutschland ist das keine einfache Visite. Vom erhofften Friedensprozess keine Spur; stattdessen streben rechtsextreme Partner Netanjahus nach Kontakten zur AfD. Der Israel-Experte Markus Kaim warnt aber davor, das überzubewerten. Und erinnert daran, dass Israel längst „in einer Art Schattenkrieg“ mit dem Iran steckt.

Berlin.Table: Das deutsch-israelische Verhältnis war immer komplex. War es schon mal so kompliziert?

Markus Kaim: Wir erleben die Zuspitzung einer bekannten Dilemma-Situation – die Bundesregierung möchte Aspekte der israelischen Politik kritisieren, kann dies angesichts der pro-israelischen Festlegung der deutschen Außenpolitik aber nur schwer. Es gab auch bei früheren Regierungen unter Benjamin Netanjahu Konflikte, die jetzt wieder obenauf liegen, das gilt vor allem für die Siedlungspolitik. Aber jetzt kommt eine gewisse Radikalisierung der Positionen hinzu, weil die Koalition teilweise am rechtsextremen Rand angesiedelt ist. Das macht den Umgang noch schwieriger.

Es gibt Berichte über wachsenden Druck auf den israelischen Botschafter in Berlin, auch Kontakte zur AfD aufzunehmen. Aus der Koalition in Jerusalem. Was hieße das?

Man mag das in der Sache vielleicht bedenklich finden und vor allem eine Allianz der Rechtsextremen fürchten. Es steht doch aber jeder politischen Kraft im deutschen beziehungsweise israelischen Parlament frei, sich die Akteure auszusuchen, mit denen man im jeweils anderen Land sprechen möchte. Dementsprechend kann ich auch israelischen Parlamentariern oder Regierungsmitgliedern nicht verbieten, sich mit AfD-Vertretern zu treffen.

Wäre es trotzdem eine qualitative Veränderung?

Man könnte auch von einer gewissen Normalisierung sprechen. Vielleicht wird es schlicht üblich, dass das gesamte politische Spektrum des einen Landes mit dem gesamten Spektrum des anderen Landes Kontakte pflegt. Auch wenn es zu Kontakten kommt, die auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen mögen.

In Israel tobt eine harte Auseinandersetzung um eine Justizreform, die die Macht der Gerichte massiv beschneiden würde. Nun hat der israelische Präsident und in seinem Gefolge auch das deutsche Staatsoberhaupt die Regierung dafür kritisiert. Kann das was bewirken?

Ich finde, der Bundespräsident sollte gut überlegen, ob er nicht seine Möglichkeiten überschätzt. Wem dient das? Glaubt er allen Ernstes, dass sich bestimmte Regierungsmitglieder oder Parlamentarier davon beeindrucken lassen? Es gibt eine Tendenz in Deutschland, mit sich selbst zu reden – und nicht mit den anderen. Wir lesen die Worte des Bundespräsidenten und sagen: Gut, dass er das gesagt hat. Aber wir stellen gar nicht die Frage, an wen er das eigentlich adressiert. Ich kann mit dieser Symbolpolitik vergleichsweise wenig anfangen.

In der neuen Welt, in der spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Bedrohungen immer größer werden, hofft Deutschland auch auf die israelische Raketenabwehr Arrow 3. Verändert das strategisch etwas gegenüber Israel?

Ja, ich denke, man kann den Bogen sogar weiter spannen. Es gibt plötzlich ein größeres Verständnis für die Sicherheitslage Israels in der Region. Insbesondere mit Blick auf den Iran und seine Drohnenproduktion für Russland. Vielen in Deutschland ist der Iran als revisionistischer und aggressiver Akteur jetzt stärker ins Bewusstsein gekommen. Und das könnte in beide Richtungen Rüstungskooperationen weiter erleichtern.

Gibt es eine Zweiteilung? Der Bundespräsident kritisiert die Entwicklungen in Israel, der Kanzler aber agiert hart pragmatisch, nach dem Motto: Ihr gebt uns die Waffen, die wir brauchen; wir geben Euch, was Ihr benötigt?

Ich bin zurückhaltend mit der Personalisierung von Politik. Aber hier scheint mir die Perspektive passend: Wenn man ein bisschen auf die Handschrift des Kanzlers in der Außen- und Sicherheitspolitik schaut, dann drängt sich der Eindruck auf, dass er einen gewissen Pragmatismus zur Leitlinie seines Handelns gemacht hat. Er ist nicht der große Moralisierer, nicht der große Appellierer. Olaf Scholz beherzigt das, was in der Vergangenheit häufig vermisst worden ist: eine Fokussierung und Orientierung an deutschen Interessen. Dementsprechend würde es mich wundern, wenn sich der Bundeskanzler zur innenpolitischen Lage in Israel deutlich äußern würde. Für ihn wird beim Besuch wichtiger sein, welche Rüstungskäufe interessant sind, wo das iranische Nuklearprogramm steht und was für eine Eskalationsgefahr es im Nahen und Mittleren Osten gibt.

Welche Gefahr ist am größten?

Israel befindet sich längst in einer Art Schattenkrieg mit dem Iran. Das wird hier in Deutschland kaum beachtet. Aber wenn man sich mal anschaut, was allein im Februar an iranischen Militäranlagen explodiert und im Gegenzug an Angriffen auf von Israel gecharterten Tanker geflogen worden ist, dann ist das zwar unterhalb der Schwelle, die wir offiziell Krieg nennen würden. Aber eine gewisse militärische Auseinandersetzung hat längst begonnen.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Welt verändert – diese Einsicht hat sich durchgesetzt. Aber das hat nicht nur in Europa Konsequenzen. Jetzt gibt es Berichte, dass China zwischen den alten Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien vermittelt. Wo führt das hin?

Wir stellen fest – im größeren Kontext –, dass wir eine Geopolitisierung der europäischen Nachbarschaft erleben. Vor zwanzig, dreißig Jahren hat sich die EU noch als einziger ordnungspolitischer Akteur engagiert. In der europäischen Nachbarschaft, aber auch im Nahen und Mittleren Osten. Damals war niemand anderes da, der konkurrierend aufgetreten wäre. Diese Zeiten sind vorbei. Das China-Beispiel ist sehr treffend. Russland ist ebenfalls in der Region präsent mit dem Engagement in Syrien und seiner engen Kooperation mit dem Iran. Das illustriert, dass Aspekte wie „An wen fällt die Region?“ oder: „Wollen wir diesen Einfluss zurückdrängen“ längst zu sehr relevanten Fragen für die deutsche Außenpolitik geworden sind.

Ist Deutschland auf all das angemessen vorbereitet?

Wir reduzieren den Begriff Zeitenwende oft auf die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr. Aber für die Köpfe brauchen wir eine ganz andere Dimension: eine Art mentale Zeitenwende. Im Sinne von: Kümmern wir uns um die internationalen Konflikte? Wie berühren sie uns? Müssen wir auf sie reagieren? Was können wir tun? Können wir überhaupt etwas tun? Das ist die politische Dimension der Zeitenwende, und die hinkt der finanziellen noch deutlich hinterher.

Die Koalition in Israel will von einer Zwei-Staaten-Lösung nichts mehr wissen, während die deutsche nach wie vor dafür eintritt. Was soll die Bundesregierung tun?

Die Bundesregierung ist gebunden, allein schon durch das Völkerrecht. Was soll sie anderes tun; sie fühlt sich dem Völkerrecht besonders verpflichtet. Es gelten die entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Dahinter kann die Bundesregierung schlecht zurück. Aber ich glaube, allen Beteiligten in Berlin ist auch klar, dass das im Moment kein gangbarer Weg ist im Umgang mit dieser israelischen Regierung.

Hat Deutschland überhaupt einen Einfluss auf das Geschehen in Israel?

Ich sehe das eher nicht. Die deutsche Geschichte – Stichwort Holocaust – hat die Frage der politischen Konditionalität umgekehrt. Üblicherweise könnte man erwarten, dass ein Land, das in diesem großen Umfang Rüstungsexporte von Deutschland empfangen hat und noch empfangen wird, zum Beispiel sechs U-Boote, die die nukleare Zweitschlagskapazität Israels sichern, empfänglich sein müsste für Bitten oder Forderungen des Geberlandes. Aber die deutsche Geschichte ist nicht wegzudiskutieren, und da Israel nach dem Diktum von Angela Merkel ein Teil der deutschen Staatsräson ist, hat sich diese Perspektive umgedreht.

Hat umgekehrt Israel einen Hebel auf Deutschland?

Mindestens die übliche Überlegung – Deutschland gibt etwas und bekommt im Gegenzug ein politisches Entgegenkommen dafür – funktioniert hier nur schwer. Dementsprechend sehe ich kaum, wie Deutschland Einfluss auf Israel nehmen könnte.

Es gab eine Phase, in der Deutschland bei Israelis wie Palästinensern höchstes Ansehen genoss. Nicht bei Netanjahu, aber bei vielen anderen. Hat Deutschland es damals versäumt, positiv auf beide Seiten einzuwirken?

Ich glaube nicht, dass es an Geld und gutem Willen fehlt, wenn sich die Gelegenheit bieten würde, einen neuen Friedensprozess aufzusetzen. Mir scheint, die Bundesregierung wäre glücklich, sich außenpolitisch auf diesem Feld profilieren und etwas präsentieren zu können. Aber realistisch betrachtet ist das Fenster der Gelegenheit im Moment nicht offen, sondern geschlossen.

Lesen Sie hier ein Porträt von Markus Kaim.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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