Analyse
Erscheinungsdatum: 17. Januar 2023

Erst positive Neugier, dann spitze Zweifel

Industriekonferenz 2022 in Berlin Aktuell, 29.11.2022, Berlin, Dr. Robert Habeck, Bundesminister fuer Wirtschaft und Klimaschutz, Prof. Dr. Siegfried Russwurm, Praesident BDI und Joerg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall gemeinsam auf der Pressekonferenz im Rahmen der Eroeffnung der Industriekonferenz 2022 im EUREF-Campus in Berlin. Bei der Industriekonferenz 2022 diskutieren Spitzenvertreterinnen und -vertretern aus Industrie, Wirtschaftsverbaenden, Gewerkschaften, Wissenschaftseinrichtungen, Politik und Botschaften ueber aktuelle industriepolitische Herausforderungen und Entwicklungen. Berlin Berlin *** Industry Conference 2022 in Berlin Current, 29 11 2022, Berlin, Dr Robert Habeck, Federal Minister for Economic Affairs and Clim
Seit einem Jahr führt Robert Habeck das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium. Wie schauen die Unternehmen und ihre Verbände auf das aktuell wichtigste Ressort der Ampel? Was gefällt ihnen? Wo machen sie sich Sorgen? Eine kleine Zwischenbilanz.

Siegfried Russwurm ist gut gelaunt, als er am Dienstagmorgen zur Jahresauftakt-PK des BDI auf die Bühne tritt. Noch macht nur das Gerücht die Runde, dass Boris Pistorius neuer Verteidigungsminister werden soll, da nutzt Russwurm den Moment für einen ersten Gag. „Eines kann ich Ihnen sagen: Ich werde es nicht“, scherzt der BDI-Präsident. „Und Wirtschaftsminister?“, fragt ein Journalist. Auch damit sei nicht zu rechnen, so der mächtige Verbandspräsident: „Der sah, als ich ihn das letzte Mal traf, nicht amtsmüde aus.“

Was sicher nicht heißen soll, dass Russwurm sich nicht für den besseren Minister halten würde. Auf seiner Pressekonferenz jedenfalls gibt sich der BDI-Präsident so selbstbewusst wie spitz gegenüber dem Wirtschaftsministerium. Sein grundsätzliches Lob für den Amtsinhaber Robert Habeck schränkt er immer wieder ein: „Wir werden gehört“, sagt der Funktionär, fügt aber sofort hinzu: „Ob das dann auch so umgesetzt wird, wie wir es dringend empfehlen, das ist unterschiedlich.“

Russwurm lobt den „anständigen Tonfall“, den er im Ministerium erlebe, und betont, dass er dort Menschen begegne, „die einfach aus ihrer Biografie hinaus wenig Erfahrungen haben“, aber eine „große Bereitschaft zu lernen“ mitbringen würden. Wer möchte, könnte das als Lob bezeichnen. Wer sagt, dass das ziemlich gönnerhaft daher kommt, liegt sicher auch nicht ganz falsch.

Zumal Russwurm und seine Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner gekommen sind, um auch inhaltlich die Erfolgsbilanz ein bisschen geradezurücken, die der Minister jüngst verkündet hat. Dass Deutschland entgegen vieler Warnungen ohne Gasmangellage durch den Winter komme, sei „kein Grund zur Entwarnung“ und weniger ein Verdienst der Politik als das Ergebnis eines bislang ziemlich milden „Vorfrühlings“, wie Russwurm sagt. Ohnehin halte er es „für keine besonders beruhigende Vorstellung“, dass ein Industrieland wie Deutschland bei der Energieversorgung „vom Wetter abhängig ist“.

Der BDI-Präsident spart zwischen einigen höflichen Worten nicht mit Sticheleien gegen Habeck und sein Ministerium. So erinnert er an Habecks Ankündigung vom Dezember, dass er 2023 zum „Jahr der Industrie“ machen wolle, und antwortet darauf trocken, er wisse noch nicht, „ob das Versprechen oder Drohung war". Eines fürchten Russwurm und Gönner dabei offenkundig besonders: mehr Regeln und Auflagen für die Unternehmen. Hier spüre man im Ministerium „ein bisschen die Attitüde: Man kann diesen Unternehmen nicht trauen und man muss auf die aufpassen, wie ein Schießhund“.

Misstrauen ist für den BDI ein Stichwort, und das hat in der Wirtschaft, bei Unternehmen und Verbänden, offenkundig zugenommen. Wohl deshalb haben sich Russwurm und Gönner vorgenommen, auf der Bühne recht deutlich zu werden. Sie dürften damit widerspiegeln, was in der Breite der Wirtschaft derzeit als Gefühl vorherrscht. Vor allem, das wird deutlich, würden sie sich vom Ministerium insgesamt mehr Vertrauen in die Unternehmen und ihre Verbände wünschen.

Fragt man hinter der Bühne solcher öffentlichen Auftritte nach der Stimmung, fällt das Bild etwas differenzierter aus. Ob es führende Leute der Industrie- und Handelskammer, des BDI oder auch der Familienunternehmen sind – die meisten teilen das erste Jahr mit dem neuen Wirtschaftsministerium in drei Phasen: eine erste Phase neugieriger Offenheit. Eine zweite, in der sich erste Zweifel mit der Erkenntnis mischen, dass das Jahr 2022 auch für das Ministerium eine riesige Belastung werden würde. Und eine dritte, in der sich aus Sicht der Unternehmen ein mulmiges Gefühl breit machte, weil viele den Minister und seinen Staatssekretär Michael Kellner als zugewandt und lösungsorientiert erleben. Andere Akteure in Habecks Haus hingegen wie die Staatssekretäre Sven Giegold und Patrick Graichen haben bei vielen erst Stirnrunzeln und dann Ärger ausgelöst.

Dabei – das erzählen durchgängig alle – ist die erste Phase gut gewesen. Mit Neugier für den Neuen und tatsächlich mit dem Gefühl, dass es kein Schaden sein müsse, wenn statt eines Christdemokraten mal ein Grüner das Ministerium führt. Besonders positiv aufgefallen ist zum Start vor allem, dass Habeck anders als andere zum Antrittsbesuch nicht nach Paris oder Brüssel gefahren ist, sondern zur DIHK nach Schleswig-Holstein. Prompt setzte sich ein erster Eindruck fest: „Der ist aufgeschlossen, hört zu, ist höflich im Umgang und zeigt große Neugier“. So erzählt es einer aus der Handelskammer.

Außerdem, das räumen sie zum Beispiel beim BDI ein, wussten sie nach Start der neuen Regierung selbst, dass es einen Kursschwenk in der Energiepolitik würde geben müssen. Aus diesem Grund hatte Habeck einen Startvorteil: Auch die Unternehmen wollten im Ministerium einen, der die Energiewende verlässlicher organisieren, vorantreiben und durchsetzen würde. So gesehen habe man „den Neuen mit offenen Augen und Ohren in Empfang genommen“, heißt es beim BDI.

In einer zweiten Phase allerdings wuchsen erste Zweifel, ob Habeck und sein Haus die große Krise, ausgelöst durch den russischen Krieg gegen die Ukraine, tatsächlich würde bewältigen können. Irgendwann sei klar geworden, dass auch Habeck „nicht über Wasser laufen kann“. Hauptgrund für die aufkeimende Kritik ist laut Unternehmen der Beschluss und das lange Festhalten an der Gasumlage gewesen, obwohl früh abzusehen gewesen sei, dass das nicht funktionieren würde. „Natürlich ist das eine extrem schwierige Situation gewesen, aber manchmal überschätzt er sich auch“, heißt es heute beim DIHK rückblickend.

Zwei Fragen sind deshalb immer drängender geworden, die das gute Bild vom Start etwas verschleiert haben. Die eine: „Verstehen die nicht, wie Märkte funktionieren?“ Und die zweite: „Wer hat ihm das denn aufgeschrieben?“ Beim BDI wie in anderen Unternehmensvertretungen sind zur Mitte des Jahres erste Zweifel gewachsen, ob Habeck tatsächlich der große Helfer für die Sicherung der Zukunft sein kann.

Im Herbst dann kam offenkundig der Eindruck dazu, dass es aus dem Wirtschafts- und Klimaministerium immer häufiger zwei Botschaften gebe: eine strenge, scharfe, eher von Misstrauen geprägte, ausgelöst von Giegold und Graichen. Und eine zugewandte, um Vertrauen und Zusammenarbeit bemühte, die vom Minister ausgehe. „Wir fragen uns dann schon dann und wann: Kann er sich nicht durchsetzen?“, heißt es aus den Reihen des DIHK.

Ob das eine Strategie des Ministeriums oder eher zufällig so entstanden sei, wisse man nicht, heißt es. Aber das eine sei nicht besser als das andere. „Wir wissen nicht, ob da zwei unterschiedliche Kräfte wirken oder eine Art doppeltes Spiel gespielt wird“, sagt ein prominenter Vertreter des BDI. „Aber das Ergebnis ist klar: Bei uns ist zum Jahresende das Misstrauen gewachsen.“

Befeuert wurden die Zweifel offenkundig durch die China-Strategie des Ministeriums, die beim BDI wie beim VDA und dem DIHK viele problematisch finden. „Wir können nicht 20 Prozent der Weltbevölkerung einfach vom Radar nehmen“, heißt es beim DIHK. China sei einfach ein Riesenabsatzmarkt. Außerdem sollten die Unternehmen künftig Berichte über jedes China-Geschäft schreiben. „Das sorgt schon für Frust.“ Auch die angekündigten Kürzungen bei den Investitionsgarantien seien schmerzhaft: „Das sind für uns harte Schläge.“

Ein endgültiges Urteil allerdings hat niemand in der Wirtschaft gefällt. Zum einen, weil sie alle die Kooperation mit dem Habeck-Haus brauchen; zum anderen, weil sie wissen, dass das Jahr 2022 für alle – für Unternehmen, für die Wirtschaft und für das Ministerium – ein Stressjahr war. Deshalb betonen durch die Bank alle Verbände, sie seien schlicht neugierig, wie sich die Botschaften, Beschlüsse und Machtverhältnisse im Ministerium in diesem Jahr schütteln werden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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