Solche Auftritte gab es bislang eher selten. Markus Söder, Olaf Scholz und dazu auch noch Bettina Stark-Watzinger – dieses Trio zeigt sich normalerweise nicht gemeinsam. Aber: In Bayern wird bald gewählt. Und das Klima spielt als Thema eine große Rolle. Also wollten alle drei vorbeischauen, als es darum ging, in Geretsried, südlich von München, ein Projekt zur Gewinnung geothermischer Energie auf den Weg zu bringen. Erdwärme solle eine bedeutendere Rolle für die Energiewende spielen als bisher, betonte Scholz beim Besuch des Bohrplatzes. Sie sei vor allem für die Kommunen und deren Wärmeversorgung interessant. Der Bund wolle daher bis 2030 „soviel Erdwärme wie möglich“ erschließen, um „zehnmal soviel Erdwärme ins Netz einzuspeisen wie heute“.
Auch Söder ließ sich nicht lumpen und versprach, bis 2050 „einen Großteil des bayrischen Energiebedarfs aus Geothermie“ gewinnen zu wollen. Bayern sei bei den Erneuerbaren bereits führend, so der Ministerpräsident mit seinem üblichen Selbstbewusstsein. Auch wenn man sich bei der Windkraft „nur im Mittelfeld“ befinde, werde man die vom Bund geforderten Windkraft-Ausbauziele (zwei Prozent der Landfläche laut Koalitionsvertrag) erreichen. Allerdings landet Bayern nur im absoluten Vergleich mit anderen Bundesländern im Mittelfeld. 2023 wurden in dem Bundesland gerade einmal fünf neue Windkrafträder aufgestellt und gehört damit auf die hinteren Plätze.
Selbst Hubert Aiwanger, Bayerns Wirtschaftsminister, wollte nicht außen vor bleiben. Im Gegensatz zur Windenergie sei Geothermie jedoch grundlastfähig, werde unterirdisch gewonnen und sei dadurch für die Bevölkerung nicht sichtbar, sagte der Chef der Freien Wähler zu Table.Media. Daher begrüßten Söder und Aiwanger das Engagement des Unternehmens Eavor, welches die Geothermie-Anlage in Geretsried baut.
Die neuartige Anlage soll bis zu 20.000 Haushalte im bayrischen Wolfratshausen und Geretsried mit thermischer Fernwärme versorgen. Insgesamt 64 Megawatt thermische Leistung sollen nach Fertigstellung 2026 so bereitgestellt werden. Dazu kommen 8,2 Megawatt elektrische Leistung durch Restwärme. Laut Eavor werden dadurch 44.000 Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr eingespart. Erstmals Energie liefern soll die Anlage bereits im Juli 2024. Das Unternehmen setzt darauf, durch das erfolgreiche Projekt in Geretsried weitere Standorte mit der neuen Technologie zu erschließen.
Dabei wird Trinkwasser in das Bohrloch gelassen, welches sich im Untergrund auf bis zu 120 Grad aufwärmt und in einem geschlossenen Kreislauf aufsteigt. An der Oberfläche sorgt ein Wärmetauscher für die Energiegewinnung, bevor das Wasser wieder in den Untergrund geht. Anders als bei der herkömmlichen hydrothermischen Geothermie wird dem Untergrund, sobald die Löcher einmal gebohrt sind, nichts mehr entnommen. Dadurch sinkt das Erdbebenrisiko und die Anzahl potenzieller Standorte für Geothermie-Anlagen steigt. Auch eine Pumpe ist für diese Art der Geothermie nicht mehr notwendig.
Zwischen 200 und 350 Millionen Euro fließen in das Projekt in Geretsried. Knapp 92 Millionen werden aus dem Innovationsfonds der EU beigesteuert. Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer beim Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VEBW) hält diese Summe angesichts der erwarteten Resultate für angemessen. Den bayerischen Einsatz für die Energiewende sieht er seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine positiv. Das sei nicht immer so gewesen, aber „Schimpfen über Bayerns Energiewende ist momentan schwer“.
In Bayern wird deutschlandweit die meiste Solarenergie gewonnen. Auch bei der Energiegewinnung aus Biomasse ist Bayern vorne. Oberbayern habe keinen Wind, daher habe die Tiefengeothermie gute Chancen, insbesondere bei der Wärmebereitstellung über Nah- und Fernwärme in Südbayern einen relevanten Beitrag zur Wärmeversorgung zu liefern, erläutert Fischer im Gespräch mit Table.Media. Der Beitrag zur Stromversorgung werde jedoch eher klein bleiben, weshalb man dringend auch Windenergie für das von der Landesregierung angestrebte Klimaneutrale Bayern 2040 brauche.