Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Juni 2023

Entwicklungszusammenarbeit in Afrika: „Wir sind Gefangene eines Ernährungssystems“

Kaffeeernte auf der Mubuyu Farm in Sambia. (Imago / ZUMA Press)
Die AGRA ist ein landwirtschaftliches Programm für Afrika aus dem Westen. Es sorgt seit langem für Unmut, weil es viele Kleinbauern nicht aus der Armut herausholt, sondern sie im Gegenteil abhängig macht von teuren Importen, etwa von Düngemitteln. Bringt der Krieg in der Ukraine für den globalen Süden die Wende in der Agrarpolitik?

Der Krieg in der Ukraine ist in Ruanda angekommen. Der Preis für fossilen Import-Dünger hat sich fast verdreifacht – und mit ihm sind die Lebensmittelpreise explodiert. Essen ist so teuer, dass die Regierung notfallmäßig in die Regulierung der Preise eingegriffen hat. „Das zeigt, wie verletzlich unser Ernährungssystem ist“, sagt der Agrarexperte Jean-Marie Irakabaho am Telefon in Kigali. „Wir, Bauern und Konsumenten, sind Gefangene eines Systems, das uns abhängig gemacht hat – nicht zuletzt von fremdem Saatgut.“ Denn das importierte Hybrid-Saatgut lasse sich nicht vor Ort nachzüchten.

Für dieses Ernährungssystem steht AGRA. Der Name ist die Abkürzung für „Alliance for a Green Revolution in Africa" und wurde zuletzt umgetauft in „Sustainably Growing Africa's Food Systems“. Vielleicht soll die Umbenennung den Ruf der Sache retten. Denn die hehren Ziele der 2006 von der Bill-und-Melinda-Gates- und der Rockerfeller-Stiftung initiierten AGRA scheinen ferner denn je: Die Ernährungsunsicherheit in 20 Ländern zu halbieren, das Einkommen der Kleinbauern zu verdoppeln und die Anpassung an den Klimawandel zu erleichtern. Schon 2020 zeigte eine Studie, dass AGRA gescheitert ist. Rund eine Milliarde Dollar war in Afrikas Böden gepumpt worden – aber das Ergebnis, so die Autoren, war mehr Hunger in den 13 Hauptförderländern und eine höhere Verschuldung der Kleinbauern.

Pünktlich zum G20-Gipfel der Entwicklungsminister in Indien haben fünf NGOs – FIAN, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brot für die Welt, Inkota und das Forum Umwelt und Entwicklung Svenja Schulze und das BMZ eindringlich dazu aufgerufen, die Förderung von AGRA einzustellen. Ihr Positionspapier basiert pikanterweise auf einer Evaluierung, die das BMZ selbst in Auftrag gegeben hatte. Die Evaluierung und mehrere Vorgängerstudien haben in den AGRA-Projekten in Burkina Faso und in Ghana viel Kritikwürdiges gefunden: Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit, aber auch den Einsatz von Pestiziden, die in Deutschland verboten sind sowie von den Bauern beobachtete Umweltschäden.

Das BMZ hat gegenüber Table.Media den Ausstieg aus der AGRA-Förderung in Aussicht gestellt. Nur die bestehenden, von der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanzierten Vorhaben würden noch zu Ende geführt. Neue Förderungen der AGRA seien nicht geplant. Aktuell unterstützt Schulzes Haus über KfW-Mittel in Höhe von 15 Millionen Euro Länderprogramme in Burkina Faso und Nigeria. Die Laufzeit dieses Projekts erstreckt sich von 2020 bis 2025. Ein weiteres Vorhaben über zehn Millionen Euro soll in diesem Monat auslaufen.

Die Bundesministerin selbst ist zur jetzt tagenden G20-Entwicklungsministerkonferenz im indischen Varanasi mit dem Versprechen gefahren, künftig den Hunger der Welt mit ökologischen Agrarsystemen, also mit Kreislaufbewirtschaftung zu bekämpfen. Kompost solle den teuren Importdünger ersetzen, sagte Svenja Schulze, trockenheitsresiliente, lokale Getreidesorten wie Hirse oder Teff den könnten den Anbau von Monokulturen wie Weizen, Mais und Reis substituieren.

Die Frage ist, ob der Krieg in Osteuropa und die damit einhergehende Knappheit von Erdgas-basiertem Dünger die Agrarwende weltweit vorantreibt – oder ob der eingeschlagene Weg jetzt erst recht beibehalten wird. Der Agrarexperte Stig Tanzman von Brot für die Welt ist skeptisch. Aus dem BMZ kämen zwar neue Töne, aber noch viel zu wenig Taten. Felix Prinz zu Löwenstein, vormals Vorstand des Öko-Verbands BÖLW und neuer Beiratsvorsitzender von Misereor, ist optimistischer. „Spätestens 2022 hat sich gezeigt, wie fatal die Abhängigkeit der Kleinbauern des Südens von den teuren Betriebsmitteln aus den Chemiefabriken des Nordens sind“, sagt Löwenstein. „Im BMZ wird immer klarer, dass Agrarökologie der Schlüssel zu Ernährungssouveränität und -sicherheit ist.“

Dass das nicht nur Worte sind, erlebten die Mitglieder des Agrarausschusses des Bundestags auf einer Exkursion nach Kenia und Sambia im Herbst. So viele Komposthaufen wie dort habe er selten gesehen, sagte der Ausschussvorsitzende Hermann Färbe r (CDU) kürzlich nur halb im Scherz. Tatsächlich handelte es sich dabei um Kompost-Demonstrationen des vom BMZ mit 170 Millionen Euro allein in Afrika geförderte GIZ-Vorhaben „ProSoil“, zu deutsch: Bodenschutz und Bodenrehabilitierung für Ernährungssicherung.

„Die Frauen können in Afrika die Zukunft sichern – wenn man sie lässt“, war das Fazit von Susanne Mittag, Agrarsprecherin der SPD-Fraktion. Ihr Reisebericht gibt davon einen lebendigen Eindruck: „Die Bäuerinnen werden praktisch geschult: Was braucht es zur Ernährung und was muss ich dafür anbauen?“ Mais allein führe zu Mangelernährung, in Sambia seien die Kinder kleiner als sie altersmässig sein sollten. In den GIZ-Projekten würden Bäuerinnen Blattgemüse anbauen, um das Essen vitaminreicher zu machen, Obstbäume auf Beete pflanzen, um die Sonne abzuhalten, Beetreste kompostieren und sie in Flüssigform in jede Saatrille gießen. Dass sie in ihrem eigenen Garten kompostiere, aber in Kenia das Knowhow dafür fehle, hat Mittag gewundert. „Warum ist das neu dort? Weil es bislang genügend Regen gab, es konnte mehrfach geerntet werden. Das Wissen ist verloren gegangen.“

Ein Problem sei freilich, dass die Gelder oft an die männlichen Landbesitzer ausgezahlt würden – während die Landarbeit selbst typischerweise von deren Frauen und Töchtern geleistet würde. Ein weiteres Problem sei, dass in Afrika viele Organisationen aus unterschiedlichen Ländern des Nordens Entwicklungsprojekte betrieben und diese oft nicht gut genug aufeinander abgestimmt seien.

Jean-Marie Irakabaho in Kigali ist als Berater ein Freelancer. Viele Kaffee-Kooperativen suchen seine Expertise, aber auch ein Projekt, das das BMZ fördert, das „Knowledge Centre for Organic Agriculture“ in Ruanda. Dass das BMZ nicht mehr AGRA-Projekte födern will, ist für ihn eine sehr gute Botschaft. In Ruanda habe der Einfluss der AGRA nämlich für die kuriose Situation gesorgt, dass Bio-Kooperativen eine Steuer zahlen müssen für Pestizide, um ihren Kaffee exportieren zu dürfen – obwohl sie gar keine Pestizide genutzt haben. „Der ruandische Staat subventioniert den Bauern Pflanzenschutzmittel und Dünger", sagt Irakabaho. Bio-Bauern gingen dagegen leer aus.

Sein Wunsch an Deutschland: die Förderung von Bio in Afrika. Also zum Beispiel von Agroforsten, in denen Kaffee unter Obstbäumen gedeiht und sich Humus durch die fallenden Blätter immer wieder neu aufbaut. Irakabaho rechnet vor: „Wenn man am Anfang ausreichend fördert, braucht man nach fünf Jahren nur noch die Hälfte der Gelder zu geben.“ Nach zehn Jahren stünden die Bio-Anbauer dann auf eigenen Füßen, könnten neues Saatgut und Düngemittel selbst herstellen. Auf fruchtbaren, wasserhaltigen Böden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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