Es war in der letzten Sitzungswoche im vergangenen Jahr, und es ging weitgehend unter im vorweihnachtlichen Parlamentsbetrieb: Da beauftragte eine Unterkommission des Ältestenrates die Bundestagsverwaltung, eine Machbarkeitsstudie für ein elektronisches Abstimmungssystem im Bundestag vorzulegen.
Normalerweise arbeitet die elfköpfige IuK-Kommission (Kommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und -medien) unter ihrer Vorsitzenden Yvonne Magwas (CDU) eher an Themen wie Datensicherheit, Betriebssystemen oder Ausgestaltung von IT-Arbeitsplätzen in der Bundestagsverwaltung. Ihre Vorschläge sind zumeist eher für den Innenbetrieb von Belang.
Nun allerdings will sie auch im Reichstag vorantreiben, was anderswo längst selbstverständlich ist, etwa in Spanien oder auch im Europaparlament in Brüssel. Selbst im bayrischen Landtag ist das digitale Abstimmen inzwischen Alltag.
In einem Entschließungsantrag begründen die Ampel-Vertreter Johannes Fechner (SPD), Emilia Fester (Grüne) und Manuel Höferlin (FDP) ihren Vorstoß mit den bisher üblichen „erheblichen Verzögerungen im Sitzungsverlauf“ bei namentlichen Abstimmungen – „in der Regel 20 bis 30 Minuten für eine einzige namentliche Abstimmung“. Bei mehreren aufeinanderfolgenden Abstimmungen multipliziere sich der Zeitbedarf entsprechend. Zum Vergleich: Bei der EU in Brüssel seien dank des etablierten elektronischen Systems innerhalb von 60 bis 90 Minuten Dutzende namentlicher Abstimmungen möglich.
Abstimmen per Knopfdruck auf dem Handy oder mit Hilfe eines anderen digitalen Endgeräts? Es würde das traditionelle Bundestags-Procedere mit Hilfe von Stimmkarten revolutionieren. Bisher ist das Abstimmungsverfahren im Deutschen Bundestag mitunter überaus zeitraubend. Die Abgeordneten müssen in der Lobby des Reichstages Stimmkarten in Urnen werfen, die müssen einzeln ausgezählt und schließlich vom Präsidium verkündet werden. Wenn miteinander verbundene Abstimmungen angesetzt sind, sind Sitzungsunterbrechungen die Regel, Pausen sind fällig und Zeitpläne wirbeln durcheinander. Was niemand schätzt, der einen eng getakteten Terminkalender hat.
Die Diskussion wabert schon länger, doch nun haben es die Abgeordneten eilig: Sie setzten der Bundestagsverwaltung eine knappe Frist – das Ergebnis der Machbarkeitsstudie soll bis Ende Februar vorliegen. Dass die IuK-Kommission nun ein solches Tempo vorlegt, hat auch mit einem gewachsenen Misstrauen gegenüber der Parlamentsverwaltung zu tun.
Denn dass ein elektronisches Verfahren kommen soll, ist eigentlich schon länger Konsens. Doch immer wieder hatte die Verwaltung Bedenken vorgetragen. Die Elektronik im ehrwürdigen Sitzungsaal einzubauen, sei nicht darstellbar. Mal wurden die Kabelwege durchs Kellergeschoss des Reichstages als kaum überwindbares Hindernis aufgeführt, mal die Vereinbarungen, die angeblich mit dem Architekten Sir Norman Foster getroffen worden seien. Immerhin, eine Lösung mit Abstimmungssäulen im Foyer des Parlaments konnte sich die Fachabteilung schließlich vorstellen.
Johannes Fechner, SPD-Justiziar und Mitglied der IuK-Kommission, bat auf Fraktionskosten IT-Fachleute aus Brüssel in den Reichstag. Deren Befund: Die Elektronik ins Plenum zu verlegen, sei kein größeres Problem. Architekt Foster schickte aus seinem Londoner Büro zwei seiner Experten nach Berlin. Auch die kamen zu dem Ergebnis: Natürlich sei ein elektronisches Stimmverfahren im Reichstag umsetzbar, ohne die Innenarchitektur ernsthaft zu beeinträchtigen.
Weil die IT-Experten der Verwaltung im vergangenen Jahr der IuK-Kommission gegenüber erklärt hatten, eine Machbarkeitsstudie innerhalb weniger Wochen vorlegen zu können, setzte diese nun eine Frist bis Ende Februar. Auch Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD), so hört man, erwartet zeitnahe Antworten von ihren Mitarbeitern.
Noch ist unklar, welches Verfahren am Ende Einzug halten wird. Denkbar wären tragbare Endgeräte (wie etwa in Bayern), fest verbaute Systeme, die in die Sitze des Plenums eingelassen sind, oder auch ein Verfahren per App, das dann ein Abstimmen per gewöhnlichem Handy ermöglichen würde. Vor allem die FDP favorisiert das App-Modell, andere befürchten Missbrauch. Grundsätzliche Einigkeit besteht immerhin darin, dass möglichst nur vom Plenarsaal aus und keinesfalls von Mitarbeitern abgestimmt werden soll.
Ist das System erst einmal installiert, würde nicht nur das Abstimmungsprozedere deutlich beschleunigt werden, das Ergebnis könnte auch in Sekundenschnelle auf großen elektronischen Tafeln im Plenum angezeigt werden. Damit wäre nicht nur der digitale Fortschritt im Parlament angekommen – es wäre neben dem Zeitgewinn auch ein Beitrag zu mehr parlamentarischer Transparenz.
Kleiner Funfact am Rande: Sir Norman Foster und seine Leute hatten schon beim Umbau des Reichstags Mitte der 90er-Jahre empfohlen, gleich die Vorbereitungen für ein elektronisches Abstimmungsverfahren mitzuverbauen. Die Abgeordneten lehnten damals mehrheitlich ab. Die Begründung: Dann sei womöglich ihr Abstimmungsverhalten nachvollziehbar.