Analyse
Erscheinungsdatum: 09. Juni 2024

Die Skandal-Resistenz der Rechtsaußen-Partei

Während alle anderen Parteien sich seit 2019 entweder verschlechtern oder unter den Erwartungen bleiben, gewinnt die AfD trotz Skandalen, Verfahren und mutmaßlichen Geldgeschenken hinzu – und blickt selbstbewusst auf die Landtagswahlen im Herbst.

Die AfD darf aus der Europawahl eine Lehre ziehen, die politischer Konkurrenz, Zivilgesellschaft und demokratischen Institutionen bitterer kaum schmecken könnte: Sie kann sich beinahe alles erlauben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Nach vorläufigem Ergebnis kommt die AfD auf 16,2 Prozent und gewinnt damit 50 Prozent seit 2019 hinzu, was 16 bis 17 Mandate bedeutet. „Super“, findet Tino Chrupalla das Ergebnis, während ein Frustrierter aus dem AfD-nahen Umfeld es gegenüber Table.Briefings als „absurd hoch“ bezeichnet. Das Ergebnis stärkt die Parteispitze. Das räumen auch jene Fraktionsmitglieder gegenüber Table.Briefings ein, deren Unmut über die AfD seit Monaten, teilweise auch seit Jahren immer weiter wächst.

Neben Berlin und Brüssel schauen auch Dresden, Potsdam und Erfurt ganz besonders genau auf die Europawahl, gilt sie doch als Stimmungstest für die Landtagswahlen im Herbst. „Wir freuen uns wie Bolle“, sagt Sachsens AfD-Sprecher Andreas Harlaß Table.Briefings. „Wenn bei einer Europawahl die AfD in sämtlichen ost- und mitteldeutschen Ländern stärkste Kraft wird, ist das ein Signal.“ Als Ziel für die Landtagswahl gibt er „mindestens 30 Prozent oder besser“ aus.

Sachsens Vize-Landtagspräsident André Wendt äußert sich im Gespräch mit Table.Briefings am Wahlabend noch euphorischer: „Wir liegen momentan bei um die 42 Prozent. Das gleiche Ergebnis bei der Landtagswahl könnte reichen, um allein zu regieren.“ Wendt fürchtet auch die Einstufung des sächsischen Verbands als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz nicht als Hindernis, sie könnte sogar eher zu einem „jetzt erst recht“-Gefühl bei den Leuten führen.

Die Selbstsicherheit reicht noch weiter: „Wir haben sowohl inhaltlich als auch personell schon darüber gesprochen, wie unsere Regierung aussehen könnte, und bereiten uns darauf vor“, sagt Wendt. Er sei als Sozialminister im Gespräch. „Ministerpräsident wäre natürlich Jörg Urban, unser Spitzenkandidat.“

Dabei pflasterten Skandale, schlechte Neuigkeiten und Widerstand gegen die Partei die erste Jahreshälfte 2024 für die AfD. Im Januar protestierten deutschlandweit Millionen Menschen, nachdem Correctiv von einem Treffen Parteiangehöriger mit bekannten Rechtsextremisten bei Potsdam berichtet hatte. Den Frühling über reihten sich Vorwürfe gegen die beiden erstplatzierten Kandidaten für Europa aneinander. Petr Bystron und Maximilian Krah stehen unter anderem im Verdacht, Geld von China und Russland angenommen zu haben, um im Interesse der Autokratien Politik zu machen. Krahs Mitarbeiter wurde wegen Spionage-Verdachts verhaftet. Im Mai folgten in Münster, Halle und Dresden Urteile zu Ungunsten der AfD.

Nachdem Krah in einem Interview SS-Angehörige von ihren Verbrechen quasi exculpiert hatte, Verbrecher zu sein, hatte auch Marine Le Pen endgültig genug von der Partei und wandte sich von ihr ab. Die AfD ging mit einem Spitzen-Kandidaten in die Wahl, der erst an seinen Zweitplatzierten appellierte, vorerst wegen der Korruptions-Vorwürfe nicht mehr im Wahlkampf aufzutreten und dann selbst von der eigenen Partei aus dem Wahlkampf genommen wurde, weil er sich derart beschädigt hatte – ein historischer Vorgang.

Und doch: Es schadete der AfD nicht. „Ich weiß nicht, inwiefern Krah dem Image der AfD geschadet haben soll“, sagt André Wendt aus Sachsen. Die Diskussion über das SS-Interview sei fehl am Platz gewesen. „Dass das Thema nicht zur Europawahl passt, ist das einzige, was man ankreiden könnte.“ Die Entscheidung der Bundesspitze, Krah und Bystron aus dem Wahlkampf zu ziehen, hat Sachsens AfD-Spitze offiziell weitgehend mitgetragen. Hinter vorgehaltener Hand verstanden nicht alle, warum das nötig sein sollte. Es gelte die Unschuldsvermutung.

Auch die vielen Wahlkampf-Pannen schadeten der AfD nicht. Die Uneinigkeit darüber, wer nun auftreten dürfe und wer nicht, störte scheinbar kaum. Auch nicht, dass der große Wahlkampfabschluss mit der Bundesspitze in Dresden ausfallen musste. Am finalen Wochenende überließ die AfD ausgerechnet in Dresden einer Gruppe aus Verschwörungsideologen und Neonazis, darunter das Holocaust-Leugner-Milieu, viele davon Freie Sachsen, das Parkett. Und das, obwohl gleichzeitig Tausende für eine Brandmauer und gegen Rechts auf der Straße protestierten. Zwar warben auf der Demo mit den Freien Sachsen (die selbst zur Kommunal- und Landtagswahl als Konkurrent antreten) manche für die AfD; deren Bundesspitze selbst machte sich gerade zum Ende hin aber eher rar.

In allen fünf ostdeutschen Bundesländern wurde sie bei der Europawahl nun sogar deutlich stärkste Kraft, und ähnlich fällt nach ersten Prognosen die parallel stattfindende Kommunalwahl aus – der angeschlagene Spitzenkandidat Krah stammt ebenso aus Sachsen wie Co-Chef Chrupalla. Während Co-Chefin Weidel der Frage im ARD-Interview auswich, ob Maximilian Krah sein Mandat annehmen oder aufgeben sollte, antwortet Sachsens AfD-Sprecher gegenüber Table.Briefings : „Kann und möchte ich nicht beurteilen. Rechtsstaatlich gilt so lange die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Wir haben gewonnen und das ist, was zählt.“ Sachsens AfD werde nun für sich genau auswerten, wo es regional besser und schlechter gelaufen ist, um Lehren für die Landtagswahl zu ziehen.

Am Montag um 10 Uhr gründet sich die Parlamentariergruppe für Brüssel offiziell. Die meisten Mitglieder sind den Kreisen um den ehemaligen Flügel der AfD zuzuordnen.Marc Jongen, bisher Bundestagsabgeordneter, gilt als Vordenker der Neuen Rechten, kritisierte unter anderem im Kontext mit KZ-Gedenkstätten, die Jugend werde zu Scham und Schuld erzogen. Christine Anderson signalisierte in der Vergangenheit unter anderem Nähe zu Pegida, Alexander Jungbluth verteidigte seinerzeit Andreas Kalbitz. Siegbert Droeses Kreisverband machte mit Autos Wahlkampf, deren Kennzeichen AH 1818 und GD 3345 lauteten, posierte mit Hand auf dem Herz vor der Wolfsschanze und beschäftigte den früheren NPD-Anhänger und späteren Deutschland-Vorsitzenden der Identitären Bewegung, Daniel Fiß, als Mitarbeiter. Vergleichbar gemäßigten AfD-Mitgliedern gelang es beim Listenparteitag in Magdeburg 2023 kaum, aussichtsreiche Plätze zu ergattern.

Auch im Bundestag verändert sich die Zusammensetzung der AfD-Fraktion. Für Bystron rückt Klaus Lang nach, der 2021 als Direktkandidat im Wahlkreis Altötting-Mühldorf angetreten war. Der Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie betreibt ein Unternehmen, dessen Adresse auf Malta liegt, wo er demnach wohl auch die Steuern dafür abführt – im maltesischen Handelsregister soll es jedenfalls eingetragen sein. Aus AfD-Kreisen heißt es, er sei dem Flügel-Spektrum rechtsaußen in der Partei zuzuordnen.

Für Jongen zieht Volker Münz nach. Er kämpfte einst massiv gegen den Einfluss von Björn Höcke und seiner Kreise in der Partei und gründete die „Christen in der AfD“.

Die Bundesspitze stärkt das Ergebnis auch mit Blick auf den Parteitag, der Ende des Monats stattfinden soll. Eine Revolte mussten Weidel und Chrupalla ohnehin nicht befürchten, schon vor dem Parteitag haben sie sich die Unterstützung mehrerer Landesverbände gesichert, vor allem der relevanten. Das Ergebnis befriedet zusätzlich. Dass Krah sein Amt freiwillig abgeben wird, bezweifelt man in der AfD. André Wendt aus Sachsen bezweifelt auch, dass die AfD nach dem Abwenden von Le Pen fraktionslos bleibt; die FPÖ etwa böte sich als Partner an.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!