Analyse
Erscheinungsdatum: 04. September 2024

Die Grünen: Zwischen Absturz und Kampfgeist

Die Landtagswahlen waren eine Niederlage sondergleichen für die Grünen, wenn auch mit Ansage. Während es auf Landesebene einigen Missmut in Richtung Bundesspitze gibt, richtet die den Blick klar auf die Bundestagswahl. Kampfgeist und klare Botschaften sollen ein Desaster verhindern.

Der frühere Multi-Bundesminister Thomas de Mazière hat mal eindrücklich geschildert, dass es Wochen dauert, bis Politiker nach Wahlniederlagen erkennen, dass sie selbst Fehler gemacht haben. So gesehen ist verständlich, dass die Grünen nach den schweren Schlappen in Sachsen und Thüringen noch immer vor allem enttäuscht sind. Trotzdem werden sie sehr bald gezwungen sein, sich auf das vorzubereiten, was in großen Schritten näherkommt: die nächsten Wahlen. Spätestens Anfang nächsten Jahres muss die Partei bereit sein.

Bei den Grünen wiesen die Blicke zuletzt allen aufeinander. Robert Habeck, Annalena Baerbock und die Fraktions-Chefinnen schreiten nach Tag eins ihrer Klausurtagung durch klimaanlagengekühlte Luft auf eine Bühne. Alle drehen sich zum jeweils sprechenden Mitglied um. Man möchte demonstrativ zusammenstehen bei den Grünen, so scheint es, umso mehr nach dem so bitteren Wahlsonntag.

Thüringens Grüne haben ihr Ergebnis mit 3,2 Prozent halbiert, seit sie 1990 erstmals zur Landtagswahl angetreten sind – damals zogen sie mit 6,5 Prozent in den Landtag ein. Die nächsten drei Legislaturperioden gelang ihnen der Sprung ins Erfurter Parlament zwar nicht mehr, 2009 zogen sie dafür mit 6,2 Prozent wieder ein und konnten ab 2014 sogar zehn Jahre mitregieren. Das ist jetzt vorbei.

Nicht ganz so bitter trifft es Sachsens Grüne: Ihnen ist der Wiedereinzug mit 5,1 Prozent denkbar knapp gelungen. Damit sind aber auch sie exakt auf ihr Ergebnis von vor 20 Jahren zurückgefallen. Und das, obwohl sie zwischenzeitlich von Zweistelligkeit träumen durften – bei der Landtagswahl 2019 zogen sie trotz einer auch damals schon starken AfD mit 8,6 Prozent in den Landtag ein, erhielten dort zwölf Sitze. Geblieben sind jetzt sieben.

Über die Bitterkeit dieser Ergebnisse ist man sich auf Landes- und Bundesebene einig. Auch, dass der Unmut über die Ampel-Regierung viele Menschen vor den Grünen hat zurückschrecken lassen, sieht man ähnlich; ebenso wie den Einfluss von landesspezifischen Faktoren: Gerade in Sachsen war die Zuspitzung von Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Dauerfeuer gegen den eigenen Koalitionspartner sicherlich nicht hilfreich.

In Thüringen klappte das Personal-Tableau zusammen, nachdem Anja Siegesmund sich aus dem Kabinett verabschiedet hatte; die Partei zog mit zwei weitgehend Unbekannten in den Wahlkampf. In beiden Ländern standen die Grünen stabiler als alle anderen für Waffenlieferungen an die Ukraine und für klare Kante gegen Putin, was oft Unverständnis bis offene Wut auslöste.

Abgesehen davon differieren die Erkenntnisse, die man auf Landes- und Bundesebene aus den Landtagswahlen am vergangenen Wochenende zieht, stark.

Während auf Bundesebene von der tollen Mobilisierung im Wahlkampf die Rede ist, weil Mitglieder aus dem ganzen Land zur Hilfe eilten, grummelt man im Land noch darüber, dass die Spitzenleute erst so spät anrückten, während sich die Prominenz anderer Parteien längst Klinken in Hände drückte. Wenn Spitzenleute da waren, hätten sie teilweise zwar das Euphorie-Gefühl früherer Wahlkämpfe wieder aufflammen lassen – gerade Robert Habeck, der mit seiner Art auch Townhalls voll Hunderter begeistert habe. Gleichwohl wären Spitzengrüne in den Ländern mitunter launisch und selbstgerecht aufgetreten, hätten Fakten nicht parat gehabt und alle Events nur indoor abgehalten, aus Sicherheitsbedenken, während andere Parteien sich draußen auf großen Bühnen der Öffentlichkeit zeigten.

In Berlin sieht man bis jetzt wenig eigene Schuld für die schlechten Ergebnisse, bei gleichzeitig vielen Erklärungsansätzen. Die Ansprache an so viele verschiedene Wählergruppen sei kompliziert, der Wahlkampf polarisiert, die Themenlage schwierig gewesen. Das Sachsen-Ergebnis bezeichnen manche Spitzen-Grüne in Berlin noch immer als stabil, obwohl sie sich nur 0,1 Punkte über die Fünf-Prozent-Hürde hieven konnten. In Thüringen habe es einen Abwärtssog gegeben: Weil die Grünen schon Wochen vorher in Umfragen bei drei Prozent landeten, hätten die Menschen ihre Stimme als verschwendet gesehen, wenn sie Grüne wählen; hätten dann lieber auf eine andere Partei gesetzt. Dass auch die Sachsen-SPD dieses Jahr schon bei drei Prozent lag und letztlich auf 7,7 Prozent kam, ist nur einer von vielen Fakten, die Zweifel an der Erzählung nähren.

In Sachsen und Thüringen wünschen sich einige, dass die Bundesebene wenigstens jetzt m Demut eigene Fehler erkennt. Zu Berlin-, West- und Großstadt-zentriert sei die Partei, ihre Geschäftsstelle zu homogen besetzt: Zu jung, zu Berlinerisch, zu gerade erst studiert seien die Leute dort, heißt es von mancher Spitzen-Grünen aus den ostdeutschen Verbände.

Auch die Bundes-Grünen sind über den Sommer in die Einkehr gegangen. Künftig wollen sie Wähler-Gruppen spezifischer adressieren, statt alle mit derselben Botschaft auf einmal anzusprechen – etwa den ländlichen und städtischen Raum. Man wolle alltagsnäher und selbstbewusster kommunizieren, auch mit Blick auf die Ampelpartner. Zu lange hätten sie versucht, wieder einen gemeinsamen Kommunikationsstil zu finden, heißt es – glaubwürdig sei das nicht mehr. Einen Vorgeschmack auf die Kommunikation dürfte Omid Nouripour gegeben haben, als er von einer Übergangskoalition sprach.

„Jeder kämpft für sich allein“, sagte ein Grüner Table.Briefings während der Klausur. Seine Partei wolle nicht mehr bedröppelt der Kritik widersprechen und versichern, sie seien doch die Guten. Nicht mehr nur Themen erst nehmen, sondern klare Botschaften senden: Mit den Grünen wäre die E-Mobilität bei VW weiter und Stellen könnten gehalten werden; mit den Grünen wäre Energie sicherer und unabhängiger; mit den Grünen gäbe es mehr Fachkräfte aus anderen Ländern, die Deutschland so dringend braucht.

Trauer über die Stärke der Rechtsradikalen in Sachsen und Thüringen beschäftige sie natürlich auch, bekräftigen verschiedene Grüne in Berlin. Doch der Kampfgeist überwiege. Dass sie die Kanzlerfrage inzwischen so klar mit Habeck beantworten können, helfe sehr. Seinen Wahlkampf soll wohl Franziska Brantner anführen, derzeit Staatssekretärin in seinem Ministerium.

Die Grünen wenden ihre Blicke nun nach vorne. Sie richten sich jetzt ganz klar auf die Bundestagswahl, sagt eine Spitzen-Grüne auf der Klausur. Nach vorne, nicht zurück. Ach so, außer natürlich noch kurz nach Brandenburg, schiebt sie dann nach. Die Landtagswahl, eher ein kleines Hindernis auf der Straße. Ein kleiner Zwischenhalt. Das Ziel der Route scheint halbwegs klar zu sein.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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