Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Juni 2023

Die Grünen nach dem GEG-Kompromiss: Zwischen Versöhnung und Sinnkrise

(Bild: IMAGO / Jacob Schröter)
Kurz vor dem Bergfest der Ampel-Koalition haben die Grünen sich so verhakt wie lange nicht. Unmut über Asylkompromiss und Gebäudeenergiegesetz spalten die Partei. Das Spitzenpersonal bemüht sich darum, trotzdem versöhnt zu wirken. Nur Maske oder echte Krisen-Solidarität?

„Jetzt streckt mal alle eure Hände in die Luft, damit man sieht, wie viele Abgeordnete wir sind“, ruft Britta Haßelmann am Dienstagabend von der Bühne. Ein Appell, den sie bereut haben dürfte. Der Saal ist voll, 800 Gäste hat die Partei zur Feier ihres 40. Jubiläums in die Berliner Wilhelm Studios geladen. Hände erheben sich nur einzeln aus der Menschenmenge. Trotz pompösen Rahmens und prominenten Gästen bis zum Bundeskanzler: Nicht alle Abgeordneten identifizieren sich gerade gern mit der Partei.

Das, was vom Gebäudeenergiegesetz am Dienstag übrig bleibt, empfinden viele als Niederlage, als Einknicken vor der FDP. Zentrale Ziele sind verschwunden, das Kernthema Klima leidet unter dem Kompromiss.

Öffentliche Uneinigkeit bis in die höchste Partei-Ebene hatte zuvor schon die Einigung der EU-Innenminister auf eine Asylreform ausgelöst. Ricarda Lang und Omid Nouripour äußerten sich damals ebenso konträr zueinander wie Katharina Dröge und Britta Haßelmann; Familienministerin Lisa Paus kritisierte die Einigung, die Annalena Baerbock und Robert Habeck verteidigten.

Dröge erklärte hinterher, all das sei abgesprochen gewesen. „Es ist ja das erste Mal, dass wir als Bundesspitze gesagt haben: Wir äußern unterschiedliche Haltungen in einer so zentralen Frage“, sagt sie. „Wir tun es aber im unfassbaren Respekt und gegenseitiger Wertschätzung.“ Sie sei „total froh“, sich den Fraktionsvorsitz mit Haßelmann zu teilen, könne sich „keine bessere Zusammenarbeit vorstellen.“ Dabei habe es durchaus „intensive Debatten“ gegeben. „Wir werden als Spitzen-Grüne nicht so tun, als wenn wir nicht zwei Meinungen hätten“, sagt Dröge und versichert: „Wir haben Respekt vor der Entscheidung der oder des anderen.“

Während das Spitzenpersonal versucht, ein heiteres Durchhalten im Sturm zu demonstrieren, machen andere Parlamentarier ihrem Ärger offen Luft. Der Asylkompromiss verbessere absolut gar nichts, sagt ein Grüner, er bewirke im Gegenteil sogar, dass künftig noch mehr Menschen im Mittelmeer ertränken. Heuchelei werfen besonders scharfe Kritiker Teilen ihrer Fraktion vor, stellen infrage, wie viel Empathie sie wirklich für Flüchtende empfänden. Manch Grüne stürzt der Asylkompromiss in eine Sinnkrise: Kann ich mich mit der Partei noch identifizieren? Vertritt sie noch die Werte, für die ich angetreten bin? Kann ich weiter machen? Die Grüne Jugend legt längst nach, fordert für den Länderrat am Samstag, dass die Partei ihren Asylkurs grundlegend korrigiert.

Andere Grüne werben um Gelassenheit. Man hätte Schlimmeres erlebt in den 40 Jahren seit Erst-Einzug in den Bundestag. Härteren Streit, größere Krisen. Ärgerlich sei eher, dass die Grünen den Konflikt in ihre Reihen tragen, obwohl kein Grüner die Asyl-Reform verhandelt hat. „Typisch grün“ sei das, Probleme immer auf den eigenen Tisch zu ziehen. Lieber hätten sie geschlossen gegen Faeser und die SPD kommunizierten sollen. Gegen die Ministerin, die in Brüssel verhandelt hat. Deren Partei äußert viel leiser und rarer Kritik an der Reform.

Die Verhandlungen zum Gebäude-Energiegesetz waren am Dienstag so schwierig, dass sie weit länger dauerten als angesetzt. Am Ende gaben die Grünen der FDP weitgehend nach, um das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden zu können. Ein Hintergrundpapier soll das Ergebnis rechtfertigen und die Fraktion davon überzeugen, dass der Entwurf auch in stark reduzierter Form besser sei als gar keiner. Die „oft verzerrte Debatte“ habe bei vielen Menschen Zweifel und Sorgen ausgelöst, vor Überforderung. Dem wirke man nun „mit einem klaren, pragmatischen und praxistauglichen Gesetz“ entgegen.

Dass sich der Umstieg auf erneuerbare Wärme immer wieder verzögert hat „und von Teilen der Opposition erbittert, ohne eigene Lösungen infrage gestellt wurde“, habe unnötige Unsicherheit über wirtschaftliche Risiken hervorgerufen. „Mit einem baldigen Beschluss schaffen wir diesen Sommer Klarheit über die zukünftige Rechtslage.“ Ein Appell, den einige kritisch sehen. Das Jubiläumsfest verbringt mancher Grüne abseits des heiteren Gewimmels, erklärt stattdessen intensiv, was alles falsch und FDP-gezeichnet sei am neuen GEG.

Es geht dabei nicht nur um Kritik an der Sache. Bei einigen Grünen herrscht sehr grundlegend Skepsis gegenüber der Kompetenz ihrer Spitze. Dem Verhandlungstalent. Dem Durchhaltevermögen. Der Treue zu den eigenen Werten und Überzeugungen. Auch bei früheren Entscheidungen im Sinne der Ampel haben sich einige auf die Lippen gebissen und waren doch vom Vertrauen in ihre Führung getragen, haben ihrer Empfehlung nach abgestimmt. Dieses Grundvertrauen aber hat einen Knacks bekommen. Die Gruppen-wirksamen Feelgood-Zeiten aus den Jahren vor der Ampel – sie scheinen immer weiter weg zu sein.

Beim Länderrat am Samstag in Bad Vilbel werden die Grünen erneut über Klimaschutz diskutieren. Und über „moderne und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik“, einen entsprechenden Antrag hat der Bundesvorstand am Montag aktualisiert. Drei Wochen durchhalten bleiben der Partei, ehe sie über die Sommerpause den Versuch unternehmen kann, die eigenen Reihen zu versöhnen – und sich zu verzeihen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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