Analyse
Erscheinungsdatum: 05. Juni 2024

Die Grünen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen: Zwischen Kampfgeist und Frust

Während die Bundes-Grünen gerade vor allem auf Europa gucken, schweift der Blick aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg längst zu den Landtagswahlen im Herbst. Alle drei Länder sind mit schwierigen Situationen konfrontiert, manche noch mehr als andere. In einigen breitet sich der Wunsch nach mehr Unterstützung vom Bund aus.

Ricarda Lang nestelt nach Kabelbindern, presst ein Plakat an einen Pfahl in Dresden-Löbtau. „Ein Wahlplakat ist zerstörbar, unser Einsatz für die Demokratie ist es nicht“, prangt fett in Weiß und Grün darauf. Ein Tross aus Presse und Kollegium mustert die Handgriffe der Bundes-Chefin. „Glaube, Ricarda hat das noch nicht so oft gemacht“, sagt ein Dresdner Grüner. „Vorführ-Effekt“, beschwichtigt eine andere. Polizei rahmt das Event, das Kampfgeist demonstrieren soll – und, dass Berlins Bundesspitze an die Länder, die Kommunen denkt.

Anna Cavazzini, Sachsens Grüne für Europa, klimmt schließlich auf eine Leiter, hilft Lang beim Festzurren. Auf Instagram zeichnen Posts der Aktion ein Bild von anpackenden Frauen, die sich behaupten und im Angesicht der vielen Angriffe auf Grüne „jetzt erst recht“ signalisieren. Sie zeigen nicht, dass eine Grüne die Kollegin Cavazzini auf der Leiter etwas zynisch fragt, wann sie zuletzt in Absatzschuhen plakatiert hat. Oder das Raunen eines anderen über die Bundesgeschäftsstelle: „Nur Bundespresse hier – das kommt davon, wenn man die Landesgeschäftsstelle vor solchen Terminen nicht einbindet.“

Den Fotos, dem Termin, den Kampfgeist-Gesten Unehrlichkeit zu unterstellen, wäre falsch. Es mangelt ihnen schlicht an Vollständigkeit. Längst mischt sich für einige Grüne in den Ländern, die im Herbst wählen, Spannung in die Solidarität zur Bundesriege. Der Druck auf die Partei ist schon ohne die Länder denkbar groß, auf ruhiger See schippert kaum ein Ressort der Grünen. Dass Lisa Paus die Kosten ihres Großprojekts Kindergrundsicherung zwischenzeitlich nicht benennen konnte, lässt einige in den Ländern bis heute frustriert Köpfe schütteln. Noch stärker beeinträchtigt ausgerechnet höchste Grünen-Prominenz die regionale Wählergunst.

An Robert Habeck haftet weiter das Heizungsgesetz. Besonders in Sachsen hat das nicht nur der AfD, sondern auch der CDU ein maximal willkommenes Argument gegen die Grünen verzehrbereit serviert. Christdemokraten etikettieren die Grünen nicht mehr nur als Verbotspartei, sondern als eine, die in Privatraum dringen will. Auf früherem DDR-Gebiet sitzt die Angst vor Übergriffen durch den Staat besonders tief, gräbt innerste Ängste frei.

Die Unterstützung der Grünen für die Ukraine und für Waffenlieferungen tragen die Landesverbände weitgehend mit, sähen das Thema aber lieber auf kleinerer Flamme besprochen – auch die Diskussion um Krieg und Frieden birgt heftiges Spaltpotenzial, befeuert Angst, war die Kriegs-Option zu DDR-Zeiten doch viel präsenter, viel bedrohlicher. Nicht nur Michael Kretschmer weiß darum und greift es auf, stellt sich gegen das Gros der Bundes-CDU, wenn er Verhandlungen mit Vladimir Putin fordert; Sahra Wagenknecht wirbt auf Plakaten mit „Krieg oder Frieden“ – inszeniert ihr Bündnis als Partei des Friedens, Grüne als Kontrast dazu.

Während Parteien wie die AfD selbst im Kommunalen mit nationalen Themen werben, will man sich bei den Grünen auf Landesebene genau davon gerne lösen, nicht für das Heizgesetz von Habeck stehen, lieber auch nicht zu sehr für Außenpolitik – doch bis zur Europawahl ist das selbstredend illusorisch.

Beim Länderrat in Potsdam hat Habeck am Samstag eine flammende Rede gehalten, in der er die Union scharf für die Abhängigkeit Deutschlands zu Russland angriff. Sie sei „verantwortlich für die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten“, sagte er; „energiepolitisch eine Geisterfahrerpartei“, die „nie wieder“ Verantwortung übernehmen dürfe. Noch emotionaler äußerte sich Annalena Baerbock, als es um die Geiseln der Hamas ging, um hungernde Kinder in Gaza, um die Raketen Israels. Teile der Grünen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen wünschten sich mehr Aufmerksamkeit für ihre regionale Situation.

In allen drei Ländern gehen die Grünen seit Anbeginn vergleichsweise schwach aus Wahlen hervor. In allen drei Ländern ist das Spitzenpersonal trotz Ministerämtern eher unbekannt geblieben. Bei einer Umfrage der Sächsischen Zeitung gaben je rund 70 Prozent an, Justizministerin Katja Meier und Umweltminister Wolfram Günther nicht zu kennen. Brandenburgs Kabinettsmitgliedern geht es ähnlich, von Thüringen ganz zu schweigen.

Einer Mona Neubauer in Nordrhein-Westfalen oder einer Katharina Schulze in Bayern ist es gelungen, weit mehr Popularität zu erlangen – letzterer sogar aus der Opposition. Grüne auf allen Ebenen räumen ein, dass es der Partei dringend gelingen müsse, ihre Gesichter über einzelne Bundes-Leute hinaus zu popularisieren.

In allen drei Ländern haben die Grünen während der laufenden Legislaturperiode als kleinere Partner mitregiert. Und überall gelingt es den Dreier-Regierungsbündnissen gerade so, sich durchzuschlagen. Kretschmer in Sachsen wird nicht müde, sich über die Grünen als Partei der Ideologie zu empören, mit der sich nicht regieren ließe. Obgleich zwischenmenschlich sehr wohl Dialog gelingen kann, kalkuliert er, dass sein potenzielles Wahlpublikum die Grünen eher missbilligt. Der AfD-Erzählung vom Grünen-Verbündeten Kretschmer, der nur rechts antäusche und dann doch links abbiege, begegnet er oft mit maximaler Distanzierung vom Regierungs-Partner.

Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, deren CDU-Ministerpräsidenten ihre Kooperationen mit Grünen als Erfolge loben und bewerben, ließen sich schlicht nicht mit Sachsen vergleichen, erklären hohe CDU-Funktionäre Sachsens. Wer AfD-Geneigte zur CDU ziehen will, müsse Stimmung gegen Grüne machen, ihre Abscheu bedienen. Angriffe gegen Grüne, vor allem mit Fokus auf Ampel-Politik, ist eine der zentralen Wahlkampfsäulen für die CDU. Auch in Berlin empfindet man die Zusammenarbeit mit Kretschmer als besonders schwer.

Mario Voigt in Thüringen, so heißt es, sei wenigstens geradlinig, während man sich bei Kretschmer auf fast nichts verlassen könne, oft gar nicht klar werde, was er eigentlich will. In Thüringen und Brandenburg geht die CDU weniger massiv gegen die Grünen vor, doch auch dort versprechen Wahlplakate gerade unter anderem „lieber zehn Gebote als Grünen-Verbote“. Und das Regieren im Kenia-Bündnis sorgte in Brandenburg ähnlich häufig für Streit wie bei den Sachsen.

Sächsische Grüne sehen sich auch mit einer besonders aggressiven Stimmung durch Rechtsradikale konfrontiert. Die „Freien Sachsen“, deren Personal sich unter anderem aus Holocaust-Leugnern, Neonazis, früheren NPD-lern speist, mobilisieren seit Jahren so erfolgreich, dass kaum ein größeres Wahlkampf-Event friedlich bleibt. Von einer „Ressourcenschlacht“ sprechen außerdem manche Grüne. Sie könnten gar nicht so viel nachplakatieren, wie Gegner abreißen. Polizeischutz ist ständig nötig, erst kürzlich haben mutmaßlich Rechtsradikale grüne Wahlkämpfer zu Boden geprügelt.

In Brandenburg gibt es zwar keine vergleichbar ausmobilisierte Gruppe rechtsextremer Störer wie die „Freien Sachsen“, doch auch dort meiden die Grünen manche Gegend im Südosten eher, weil Wahlkampf angesichts der aggressiven Stimmung kaum realisierbar ist. Als Trumpf empfinden einige Annalena Baerbock, die in Brandenburg lebt und viel Unterstützung zugesagt hat.

Thüringens Grüne sind in den Reden von CDU und AfD weniger der auserkorene Hauptgegner, eher die Linke um Bodo Ramelow; dort taumeln die Grünen in Umfragen aber seit Monaten entlang der Fünf-Prozent-Schwelle und bangen um ihren Wiedereinzug in den Landtag. Dass es sich oft genug auf Voigt gegen Björn Höcke zuspitzt, hilft der Partei auch nicht. Thüringen fehlen Faktoren, wovon Grüne in Brandenburg und Sachsen profitieren. Zwar beherbergt es gerade in Jena und Weimar viele Studierende mit grüner Neigung, doch mangelt es wirklich an Metropolen und damit größerem Wählerpotenzial. Brandenburg profitiert von der Nähe zu Berlin, dem Speckgürtel; Sachsen beheimatet zwei Großstädte mit starken Grünen. In Dresden wurden sie bei der Kommunalwahl 2019 mit 20,5 Prozent stärkste Kraft, in Leipzig mit 20,7 zweitstärkste nach der Linken.

Aus der Kommunalwahl in Thüringen Ende Mai gingen die Grünen als Verlierer mit geknickten Flügeln hervor, was viele als besorgniserregendes Vorzeichen lesen; verbunden mit der bitteren Erkenntnis, dass massenweise Menschen beim Straßen-Wahlkampf gegen Grünen pöbeln, aber selten wirklich reden wollen – und mit einer Zustimmung für extreme Positionen, die manchen Demokratiefeind in Stichwahlen verhalf. Der bekannte und bekennende Neonazi Tommy Frenck etwa darf derzeit noch auf den Landrats-Posten hoffen.

In Thüringen hat der Abgang der früheren Umweltministerin Anja Siegesmund große Unruhe in die Partei gebracht, einige warfen ihr Unehrlichkeit vor, zeigten sich schwer enttäuscht. „Denen ist danach das ganze Personaltableau zusammengekracht“, kommentiert ein Grüner aus einem anderen Landesverband die Situation. Als einer der kleinsten Landesverbände hat Thüringen die denkbar größten Flügelkämpfe geführt: So sieht man es in Berlin. Die Kämpfe sind behoben, inzwischen herrscht weitgehend Frieden bei den Grünen im Freistaat. Folglich zieht aber ein neues, ziemlich unbekanntes Spitzenduo in den Wahlkampf.

Leichte Sommermonate und Spitzenergebnisse erwarten Grüne in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nicht. In manchem Landesverband ist der Kampfgeist stärker, in manchem etwas eingeknickt. Man müsse sich auf ein Wählerpotenzial von 15-20 Prozent fokussieren, schwört manche Landes-Spitze ihre Leute ein. Die anderen, die vielen Hassenden, seien ohnehin unerreichbar. Aus manchem Landesverband ist Enttäuschung zu hören. Darüber, dass die Bundesebene nicht längst die Landtagswahlen forciere; dass Bundesgrüne immer wieder passen müssen, wenn es um Initiativen aus den Ländern geht, sich nicht damit beschäftigt haben. Dass manche Termine versprochen und dann nicht eingehalten worden seien.

Habeck wolle er trotz Heizgesetzes viel im Wahlkampf sehen, sagt ein Grüner aus Sachsen: Habecks Niedrigschwelligkeit verfange bei den Menschen; seine Fähigkeit, Fehler einzugestehen, überzeuge Leute. Auch Claudia Roth würde begeistern, trotz aller Vorwürfe der vergangenen Monate zu ihrem Umgang mit Antisemitismus. Bestimmte Parteikreise reiße sie besonders mit. Und Cem Özdemir – auch weil er selbst aus einem strukturkonservativen Land komme – finde den richtigen Ton. Über Unterstützung freue man sich natürlich generell, sagen die meisten; mancher fügt an, dass eine Lisa Paus oder eine Steffi Lemke aber weniger überzeugten als andere.

Es sei bekannt und offensichtlich, heißt es aus den Ländern, dass Lang und Omid Nouripour sich darauf geeinigt hätten, Lang zur Frau für „Ostdeutschland“ zu küren. Ihr hält man zugute, dass sie sich durchaus interessiere. Manche Grüne ärgert gleichwohl schon das Etikett der „Ost-Wahl“, von der viele Bundes-Grüne sprechen. Würden Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wählen, sei auch nicht die Rede von „West-Wahlen“, argumentieren die Frustrierten – die Verallgemeinerung zeige den Unwillen, sich mit den Ländern zu befassen, lasse Ernstnehmen vermissen, transportiere ein Herabschauen aus Berlin.

Es gibt auch Grüne, die das Etikett der Ost-Wahl befürworten, weil es den Fokus besonders auf die Gefahr durch Rechtsradikale lege. Der Kampf gegen Rechts vereint die Landesverbände, mehr noch als bei der CDU. In Thüringen ist nach der Kommunalwahl die Angst besonders präsent, die AfD könnte im Herbst mehr als ein Drittel der Parlamentssitze gewinnen und damit Zwei-Drittel-Entscheidungen verhindern. Auch in den anderen beiden Ländern schwören Partei- und Fraktionsvorsitzende ihre Leute darauf ein, dass es jetzt ums Ganze gehe; um die Verteidigung des demokratischen Deutschlands, im Angesicht eines Wahlkampfs, der oft Beschimpfungen oder Gewalt mitbringen dürfte.

Ein einheitliches Wahlkampf-Narrativ verfolgen die drei Landesverbände nicht. Themen ähnelten sich teilweise, schieben befragte Grüne nach. Neben Klimaschutz beschäftigt Sachsen und Brandenburg der Strukturwandel, weg von der Kohle. Außerdem die oft miserable Anbindung der Dörfer an öffentlichen Nahverkehr, die gesundheitliche Versorgung.

Ricarda Lang kann nur kurz in Dresden verweilen, nachdem sie das Plakat aufgehängt hat. Ein paar Statements und ein paar Fotos, danach muss sie weiter nach Erfurt. „Wir haben alles umgelegt, damit wir kommen können“, schwärmt ein Dresdner Grüner, während er Selfies mit Lang macht. „Es ist so schön, dass du da bist, Ricarda.“ Eine andere Grüne raunt: „Man hängt Plakate auf, damit man Plakate aufhängt. Und nicht, damit man schöne Fotos kriegt.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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