Analyse
Erscheinungsdatum: 18. Februar 2024

Die Freien Wähler und die Brandmauer zur AfD

Dass sich die Freien Wähler jetzt klar von der AfD abgegrenzt haben, hat auch viel mit ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger zu tun. Gesagt hat das auf dem Bundesparteitag aber niemand.

Als das Abstimmungsergebnis verkündet wird, springen Stephan Wefelscheid und seine Mitstreiter aus Koblenz begeistert von ihren Stühlen auf. Der Bundesparteitag hat soeben mit einer Mehrheit von gut 92 Prozent der 445 Delegierten ein Kooperationsverbot mit der AfD auf alle politischen Ebenen beschlossen. „Wir haben hier heute die Sicherung reingehauen“, freut sich Wefelscheid. Die roten Linien zur AfD seien jetzt endgültig gezogen worden.Wefelscheid ist Landesvorsitzender der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz, dem zweitstärksten FW-Landesverband nach Bayern. Außerdem ist er parlamentarischer Geschäftsführer der sechsköpfigen Fraktion der Freien Wähler im Mainzer Landtag. In der Hierarchie der Partei steht er also weit oben.Aber ob ihm die Delegierten bei seinem Anti-AfD-Antrag, den er mit seinen örtlichen Parteifreunden eingebracht hatte, auch folgen würden, war keineswegs ausgemacht. Denn der Mann gehört seit längerem zu den parteiinternen Kritikern des alles dominierenden Bundes- und bayerischen Landeschefs Hubert Aiwanger.

Als im vergangenen Herbst die Affäre um das antisemitische Flugblat t, das einst im Schulranzen Aiwangers gefunden worden war, hochkochte, hatten die Freien Wähler aus Rheinland-Pfalz volle Aufklärung von Aiwanger gefordert. In Bayern hatten sich die eigenen Parteifreunde dagegen geschlossen hinter Aiwanger gestell t, auch wenn manche dabei Bauchgrimmen hatten. Die Gefechtslage vor der Abstimmung war also ziemlich offen.

Außerdem wollte sich der Parteitag eigentlich mit dem Europawahlprogramm beschäftigen und nicht mit der heiklen AfD-Frage. Auch bei den Freien Wählern gibt es einige, die zumindest auf kommunaler Ebene, wo es vermeintlich nicht um die großen politischen Streitfragen geht, offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD gewesen sind. Das gilt vor allem im Osten. Auf dem Parteitag haben die Delegierten aus dem Osten geschwiegen. Aber am Tag danach erklärte der sächsische Landesverband, dass er den Beschluss des Parteitages nicht unterstützen werde. Eine Brandmauer sei nicht hilfreich, wenn es um das Lösen konkreter Probleme gehe, so der sächsische FW-Chef Thomas Weidinger. Erkennbar hat er einen ganz anderen Blick auf die Lage als sein Kollege aus Rheinland-Pfalz. Wefelscheids Antrag freilich hat nicht nur damit zu tun, dass es solche Strömungen gibt, sondern auch viel mit Hubert Aiwanger. Er rückte seine Partei zuletzt mit derben Äußerungen immer wieder ins rechtspopulistische Zwielicht. Bei den Bauernprotesten war er überall dabei, aber bei den großen Demonstrationen der vergangenen Wochen gegen den Rechtsextremismus hat er sich nicht sehen lassen, die hält er für linksextrem unterwandert. Viele Anhänger und Mandatsträger der Freien Wähler sind dagegen mitmarschiert. „Das war die Mitte der Gesellschaft, das waren auch unsere Wähler“, sagt Wefelscheid über den Demonstrationen in vielen deutschen Städten.

An der Parteibasis, vor allem in Bayern, wo die Freien Wähler auf kommunaler Ebene zahlreiche Mandatsträger stellen, sind viele irritiert über Aiwangers Verhalten und seine brachiale Rhetorik. Aber offen gesagt hat das in Bitburg niemand. Zum Anti-AfD-Antrag hat er tagelang geschwiegen. Aiwanger hat sich weder sofort geäußert, obwohl er sich sonst zu praktisch allem äußert, noch hat er seinem Kollegen Wefelscheid persönlich seine Unterstützung zugesagt. Erst auf Fragen von Reporten hat er sich positioniert und den Vorstoß befürwortet – und in seiner Parteitagsrede dann um breite Zustimmung für ihn geworben. Das weitere löste die Parteitagsregie. Sie sorgte dafür, dass Wefelscheids Antrag zusammen mit dem zweiten Antrag, der sich gegen jede Form von Extremismus wendet, als erstes beraten wurde. Vermutlich eine Reaktion auf den großen Medienandrang. Ein Gegenantrag, das Kooperationsverbot von der Tagesordnung zu nehmen, wurde ebenso mit deutlicher Mehrheit abgelehnt wie der Versuch, eine geheime Abstimmung zu erzwingen. Damit wäre nicht mehr erkennbar gewesen, wer wie abgestimmt hat. Die bayerische Landtagsabgeordnete Gabi Schmidt kanzelte in der Debatte die Befürworter einer geheimen Abstimmung unter großen Beifall ab: „Wenn ihr Euch nicht abgrenzen wollt, dann habt wenigstens den Arsch in der Hose und zeigt Euch“. Aiwanger selbst trat für seine Verhältnisse gemäßigt auf. Zwar gab es die üblichen Attacken auf die Ampel, aber zugleich immer wieder die Beschwörung, dass die Freien Wähler eine Partei der Mitte seien, „demokratisch bis in die letzte Haarfaser“. Den Delegierten rief er zu: „Wir sind die großen Zusammenführer, die großen Integrierer.“

Gleichzeitig schlüpfte er aber auch und wieder in die Opferrolle. Er verbitte sich, dass immer wieder versucht werde, „uns in irgendeine Ecke zu stellen“. Man werde sich „von niemandem etwas ans Bein binden lassen“.In der Debatte wurde deutlich, dass die Delegierten durchaus von dieser Angst umgetrieben werden. Wenn man sich nicht klar und deutlich abgrenze, bestehe „die Gefahr, dass wir ebenfalls die Scheiße an den Schuh genagelt bekommen“, sagte einer der Redner. Am Schluss aber stand eine große Mehrheit für die klare Kante gegen die AfD. Eines aber bekam Wefelscheid nicht: einen einstimmigen Beschluss, den man in dieser heiklen Lage durchaus auch hätte erwarten können. Unter den 20 Delegierten, die am Ende nicht für Wefelscheids Antrag stimmten, waren ausgerechnet vier Abgeordnete der rheinland-pfälzischen Landtagsfraktion. Tenor der Abtrünnigen: Der Antrag sei überflüssig, man arbeite ja ohnehin nicht mit der AfD zusammen. Sie sind damit ihrem eigenen Landeschef in den Rücken gefallen und haben die Tragweite der Frage offenbar nicht erkannt. Ohne ein klares Bekenntnis gegen die AfD hätte den Freien Wählern ein Exodus gedroht, vermutlich hätten nicht wenige die Partei verlassen. Und in Bayern hätte die Koalition mit der CSU womöglich vor dem Aus gestanden. Denn wie hätte Markus Söder, der sich bei jeder Gelegenheit hart von der AfD abgrenzt, mit einem Partner weiterregieren können, der diese Abgrenzung verweigert?

Es ist nicht ohne Ironie, dass Wefelscheid mit seinem Mut, eine Richtungsentscheidung zu erzwingen, seinem Widersacher Aiwanger einen unschätzbaren Dienst erwiesen hat. Und seiner Partei auch. Aus Bayern kamen Glückwünsche der Erleichterung. Dort gärt es an der Basis schon länger, in zwei Jahren finden Kommunalwahlen statt, sie sind das politische Lebenselixier der Freien Wähler. Wenn man das Etikett einer rechten Partei angeheftet bekäme, so die Befürchtung, werde es schwierig werden, geeignete Kandidaten für die Kommunalparlamente zu finden.Im Moment vernetzen sich in Bayern gerade Leute, die Aiwangers Brachial-Rhetorik mit großem Unbehagen betrachten. Dass er sich dauerhaft mäßigt, glauben nur wenige. Auch Bitburg hat gezeigt, dass Aiwanger noch immer auf einer Woge der Euphorie schwimmt, die ihn selber berauscht. Am Schluss seiner frei gehaltenen Parteitagsrede huldigten ihm die Delegierten mit stehenden Ovationen und „Hubert, Hubert“-Rufen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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