Es klingt abgedroschen und trifft doch den Kern: Als in Berlin der erste große Beschluss für den Weg in die Klimaneutralität getroffen wurde, war die Welt noch in Ordnung. Besser gesagt: Die Welt in der deutschen Hauptstadt war in ihrer alten, lange eingeübten Verfassthe it. In Deutschland regierte eine große Koalition unter Angela Merkel; Corona kannte man nur als Bier-Marke, und einen russischen Angriff auf die Ukraine hielten die allermeisten für ausgeschlossen. Dann folgte eine Pandemie, die fast zwei Jahre lang weltumspannend vieles ausbremste; es kam ein Krieg, der Europa in eine Sicherheits- und Energiekrise stürzte. Und zwischendurch wechselte auch noch die Regierung, mit einem Bündnis, das es auf Bundesebene noch nie gab: der Ampel.
Auf den klimapolitischen Aufbruch folgte die realpolitische Doppeldusche; aus dem Normalzustand wurde die Dauerausnahme. Und das Ganze traf drei Parteien, die inhaltlich und kulturell so noch nie zusammenfinden mussten. Da war es zunächst fast noch das Leichteste, mit Milliarden die Folgen der Krisen abzufedern. Doch jetzt, im Frühjahr 2023, rückt wieder in den Vordergrund, was aus nicht nur falschen Motiven über Jahre verschoben worden war: die klimapolitische Transformation. Einziges Problem: Man hat nochmal vier Jahre verloren; man müsste also noch entschiedener loslegen.
Und das wird jetzt zum Problem. Noch haben weder die Gesellschaft noch die Koalition ihre Geschwindigkeit im Umbau gefunden. Deswegen kommt die Ampel nun über Ölheizungsende und Verbrenner-Aus in die Krise. Sie steht vor der entscheidenden Frage: Wie viel Courage haben wir beim großen Umbau? Die Grünen sind mit viel Vorschusslorbeer in die Ampel gestartet, jetzt wächst der Druck auf sie, auch zu liefern. Die FDP musste früh Kompromisse machen und will jetzt Selbstbewusstsein zeigen. Und der Kanzler mag es am liebsten, wenn er sich nicht zu sehr bekennen muss, bei jedem Thema. Will die Ampel überleben, müssen jetzt drei zusammenfinden, die in dieser Frage noch nie zusammen waren.
Die Grünen sind von einem sicheren Gefühl der Stärke zuletzt in den Zustand des Gehetzten geraten. Sie starteten mit guten Umfragewerten und großem Selbstbewusstsein in die Ampel. Und sie schafften es, trotz und wegen des Krieges in der Ukraine, mit nach außen ruhigen Abwägungen und Kompromissen in der Krise Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Da tat manches weh, da war vieles schwierig. Trotzdem blieben ihre Anhänger bei der Stange, die Führung wirkte echt und authentisch beim Versuch, in schweren Zeiten das ganze Land mitzudenken. Der Vizekanzler musste nach Katar zum Gas-Kauf fahren; die Außenministerin musste für einen Kompromiss bei den Waffenlieferungen an Saudi-Arabien werben, und beide zusammen mussten die Entscheidung verteidigen, dass die Atomkraftwerke am Ende doch noch ein paar Monate länger laufen. All das schafften sie, ohne größeren Schaden zu nehmen, auch nicht bei Wahlen oder in den Umfragen.
Allerdings funktionierte das nur, weil es begleitet und getragen wurde von dem Gefühl, dass danach endlich der Aufbruch beginnen würde. Damit beruhigten sich Anhänger wie Abgeordnete und die Ministerinnen und Minister sowieso. „Wir tun das aus großer Verantwortung“, hieß es bei vielen. „Und wir tun das, um danach unsere großen Ziele umzusetzen.“
Umso verärgerter reagieren sie jetzt auf das Verhalten der Liberalen. Vorneweg ist es Robert Habeck, der Bundeswirtschaftsminister, der in diesen Tagen seinen Zorn offen zur Schau stellt. Erst bei der Pressekonferenz zum Auftakt der Fraktionsklausur in Weimar und Stunden später auch in den ARD-Tagesthemen spricht er von Vertrauensbruch, von mangelndem Mut und alten Reflexen, mit denen man nicht erfolgreich Politik machen könne. Besonders verärgert zeigt er sich über das frühe Durchstechen eines Gesetzentwurfs, der noch keineswegs fertig war, sondern dem frühen Austausch dienen sollte. Das frühe Lancieren an die Öffentlichkeit interpretiert er als Versuch, „dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“. Dadurch seien Gespräche der Koalition „mit Absicht zerstört worden – des billigen taktischen Vorteils wegen“.
Nun zählt Habeck zu jenen Politikern, die das offene Wort präferieren. So offen verärgert aber zeigt er sich selten. Der Grund für den Missmut: Nach eigenem Verständnis hatten die Grünen der FDP goldene Brücken gebaut, um sie für den Aufbruch zu gewinnen. Jetzt müssen sie feststellen, dass der Partner gar nicht die Absicht hat, über diese Brücken zu gehen. Sie hätten das schon im vergangenen Sommer ahnen können. Damals aber wollten sie ihre Hoffnung noch nicht aufgeben. Und das, obwohl sie sich düpiert führten, weil das vom Verkehrsminister seinerzeit vorgelegte Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele im Verkehrssektor beim Klima-Expertenrat der Regierung krachend durchgefallen war.
Trotzdem setzten die Grünen auf ihre Brücken. In der Debatte um das Ende von Öl- und Gasheizungen hatte sich das konkret an der Frage fest gemacht, ab wann das Verbot und wie strikt gelten sollte. Hier hatten die Koalitionäre das Wörtchen „möglichst“ eingebaut. Und beim Verbrenner-Aus war in den Verhandlungen mit der EU ein Passus integriert worden, der besagt, dass die Kommission noch einen Vorschlag machen würde, unter welchen (eher unwahrscheinlichen) Umständen auch PKWs mit E-Fuel noch gebaut werden dürften. In den Ohren der Grünen klang das wie: Das wird schon klappen, so können die Liberalen ihr Gesicht wahren. Aus Sicht der FDP aber waren es genau die zwei Joker-Karten, die sie jetzt gezogen haben. Ihr Motto zu Beginn lautete: Okay, wir gehen jetzt mal mit, aber erst ganz am Ende werden wir entscheiden, ob wir das wirklich mitmachen.
Das mag wie eine Kleinigkeit klingen. Tatsächlich ist es spätestens jetzt zu einer harten Trennlinie geworden. Das Ergebnis für die Grünen: Sie sind erst enttäuscht gewesen, und jetzt sind sie zornig. Klein beigeben wollen sie aktuell nicht. Im Haushaltsstreit ziehen sie fürs Erste eine strikte Linie durch. Ausgang: offen. Klar ist nur, dass sich dieser Stimmungswandel für kooperative Grüne wie den Vizekanzler wie eine Niederlage anfühlt. Er wollte und glaubte, dass man es in moderierendem Ton hinbekommen könnte. Jetzt muss er seine Strategie wechseln, auch weil in Partei und Anhängerschaft der Druck rasant zunimmt, endlich Vorzeigbares zu liefern.
F ür die FDP ist die Lage genau umgekehrt. Sie nahm die ersten Schritte in diese Koalition mit größter Vorsicht und wurde dann erst einmal in ihren größten Sorgen bestätigt. Der russische Angriff auf die Ukraine, dazu die Rettungsaktionen in der Energiekrise – ohne große rhetorische Erklärungen war das der eigenen Klientel schwer zu erklären. Anders als Habeck suchte Christian Lindner die großen Auftritte nicht; und so nahm er sich auch die Chance, die Ausnahmebeschlüsse wie die 100 Milliarden Sondervermögen als eigene Idee unter besonderen Umständen zu präsentieren. Stattdessen beklagten die Liberalen die allgemeine Lage und verloren bei den folgenden Landtagswahlen all jene, die von der FDP vor allem eine marktwirtschaftliche Politik erwarten, nicht einen Staat, der überall helfend einspringt. Ob man sie anders hätte gewinnen können, weiß man im Nachhinein nicht. Aber Lindner hatte nicht mal den Versuch unternommen.
Und so herrschte in der FDP nach den Wahlniederlagen in Niedersachsen und Berlin (beide Male flog sie aus dem Landesparlament) eine fast schon maximale Verunsicherung. Mit der Folge, dass sich bei Lindner und der FDP-Spitze das Gefühl durchsetzte, sie müsse sich in Tonfall und Botschaft neu erfinden. Die Signale zum Haushalt wurden schärfer; Lindner ließ allen Ministerien signalisieren, dass sie ab jetzt noch viel schärfer sparen müssten. Und Volker Wissing wurde plötzlich in einer aus FDP-Sicht zentralen Frage deutlich vernehmbar. Er stellte den festen Vorstellungen der Grünen beim Elektro-Auto sein eigenes Mantra entgegen: Über das Ziel sei man sich einig, über den Weg solle jeder für sich entscheiden dürfen.
Mit einem Mal stellte Wissing deshalb das Verbrenner-Aus in Brüssel infrage – und Lindner verlangte, dass der Gesetzentwurf für den Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen noch einmal ganz neu geschrieben werden müsse. Was für die Grünen wie eine Total-Blockade daher kam, entwickelte in den Reihen der FDP eine andere Botschaft: Wir stehen zu uns, wir wollen marktwirtschaftliche Lösungen, wir verbieten nichts, wir setzen Ziele, aber ansonsten keine Grenzen. Was vielen jenseits der FDP wie eine Provokation erschien, wurde in den Reihen der Liberalen zum neuen Mantra.
Dass das ausgerechnet Wissing verkörpert, der bei den Grünen bis dahin den Ruf eines Moderaten genossen hat, macht den Ärger für die Grünen nur größer und die innere Zufriedenheit bei Lindner und Co nur mächtiger. Wie zufrieden der Verkehrsminister mit sich selbst ist, demonstriert er am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk. Ja, man spreche jetzt „sehr konkret und sehr detailliert“ über die Nutzung synthetischer Kraftstoffe. „Das ist ein juristisch sehr kompliziertes Verfahren und bedarf der gewissen Sorgfalt.“ Man habe den Prozess in Brüssel einst nicht aufhalten wollen. Aber jetzt brauche es eben noch die Ergänzung um das Element der Technologieoffenheit. Ruhig sagt er das; er wirkt mitnichten wie ein Getriebener. Was die Stimmung bei den Grünen kaum verbessert haben dürfte.
Und die SPD? Sie hält merkwürdig still, steht quasi am Rande des Spielfelds, obwohl sich Olaf Scholz im Wahlkampf als „Klimakanzler“ präsentiert hatte. Vielleicht gerade deswegen. Und vielleicht auch, weil die Führung der Genossen sehr genau weiß, d ass sie 2018 und 2019 zwar ehrgeizige Minderungsziele (mit)beschlossen haben, die mit dem derzeitigen Instrumentarium aber nicht zu erreichen sind. Laut sagen wollen sie das aber nicht, weil sie den Zorn ihrer Klientel, der Autofahrer, Pendler, Mieter und Eigenheim-Besitzer fürchten.
Deshalb bringen sich die SPD-Spitzenleute auch nur selten inhaltlich ein. Wichtiger sind ihnen Stilfragen. „Man sollte mit dem Druck nicht so umgehen, dass man jetzt in alle Richtungen deswegen koffert", belehrte Generalsekretär Kevin Kühnert Wirtschaftsminister Habeck. Und Parteichef Lars Klingbeil mahnte: „Diese öffentlichen Auseinandersetzungen müssen jetzt aufhören."
Der gleiche Kühnert hatte 2019 – damals noch als Juso-Chef – ganz anders geredet. Damals hatte er die Frage aufgeworfen, „ob das Thema Klimaschutz geeignet ist für einen klassischen politischen Formelkompromiss“. Damals zürnte er: „Wir tun so, als sei die Klimapolitik Verhandlungsmasse.“
Am Sonntag trifft man sich zum Koalitionsausschuss. Ob dann oder doch noch ein bisschen später – der Kanzler wird sich verhalten müssen. Dass er inhaltlich der liberalen Position näher steht, ist bekannt. Aber will er sich einsortieren in die Reihe jener, die gerne neue Ziele definieren und dann erschrecken, wenn sie die damit verbundenen Konsequenzen realisieren? Leichter könnte er es seinen Kritikern kaum machen.