Emotionen haben vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster am Donnerstag eine beinahe so präsente Rolle gespielt, als wäre es ein Familien- oder Strafgericht. Die Klägerin zeigte sich „schockiert“ und „bestürzt“, sprach von „traurigen Höhepunkten“. Wie so häufig bei anderen Gelegenheiten arbeitet die AfD auch vor Gericht mit Emotionen. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) fühlt die Partei sich ungerecht behandelt und wähnt eine Verschwörung mit staatlichen Mitteln gegen sich. Konkret klagt sie gegen Einstufungen als gesichert und verdächtig rechtsextrem auf verschiedenen Ebenen.
„Die AfD beobachten, weil sie uns politisch stört“ sei die Maxime von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang gewesen, nachdem er an die Stelle seines Vorgängers Hans-Georg Maaßen getreten ist, argumentiert der Anwalt der Partei von der Kanzlei Höcker, die unter anderem auch Erdoğan gegen Jan Böhmermann verteidigt hatte. Das Narrativ sei ihm früher selbst wie eine Verschwörungserzählung vorgekommen. Heute sei er so überzeugt, dass er bereit sei, das Narrativ „hier vorzutragen“.
Die AfD versucht zwar auch nach der rund einmonatigen Pause im Prozess weiterhin, ihn zu verzögern, etwa durch 457 neue Beweisanträge, und bot dem BfV außerdem einen Vergleich an. Wenn es aber dann ums Inhaltliche geht, stellt sie Strategie, Motive und Kriterien des Verfassungsschutzes infrage.
Vertreten war die Partei am Donnerstag auch durch Bundesvorstand Peter Boehringer und Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Boehringer zeigte sich bestürzt, Krah teilweise belustigt darüber, dass sie und ihre Partei nicht als differenzierte Kritiker wahrgenommen werden, sondern als Feinde von Islam und Parlamentarismus. Boerhinger forderte, die AfD an ihrer Programmatik zu messen. Es habe keinen Rechtsrutsch gegeben, sondern stilistische Differenzen zu den Ex-Vorsitzenden. Die inhaltlichen Gräben bei der AfD seien immer kleiner gewesen als bei vielen anderen Parteien. Auch dass Menschen ihn als „schlimmen Rechtsextremen“ bezeichnen, findet Boehringer absurd. Er sei liberal, und das sei weder links noch rechts. Dabei verbreitete Boehringer in der Vergangenheit unter anderem Ideen von einer elitären Weltverschwörung zur Schaffung einer neuen Weltordnung.
Auch Krah, derzeit im Fokus diverser Vorwürfe wie der Korrumpierbarkeit durch Russland, klagt, wie falsch verstanden er sich fühle. „Das Leben ist bunt und das Leben ist Vielfalt“, sagte der Abgeordnete und frühere Anwalt vor Gericht. Als er vor zwei Jahren vor einer Burschenschaft im eher intimen Rahmen sprach, klang das noch anders: „Bunt und vielfältig ist jede Müllhalde“, sagte er damals. „Ich bevorzuge aber durchaus auch mal eine gepflegte hellere Wandfarbe.“
Er verlange von niemandem, was er selbst nicht leisten wolle, nämlich privates Brauchtum und Religion in einem anderen Land aufzugeben. Dass Krah sich als differenziert gegenüber der muslimischen Community geben möchte, überrascht gar nicht so sehr; auch er selbst erzählte von Gericht, dass er in ihnen eine relevante Gruppe für die nächste Wahl sehe. Nicht nur sich, sondern auch seine Partei sieht Krah als differenziert mit Blick auf den Islam. Hans-Thomas Tillschneider zum Beispiel: der Islamwissenschaftler schrieb früher manchmal Kolumnen für die FAZ, galt später aber als Höcke-Vertrauter und enger Verbündeter der rechtsextremen Identitären Bewegung. Tillschneider sagte unter anderem, dass der Islam seine Heimat nicht in Deutschland habe, sondern woanders. Aber Tillschneider liebe „den Orient“, so Krah, hätte früher immer gern in Damaskus Urlaub gemacht.
Für Bundesvorstand Boehringer zählen ohnehin nicht die Aussagen von Mitgliedern, um die Partei zu beurteilen, sondern lediglich offizielle Positionen. Der Verfassungsschutz argumentiert unter anderem mit den vielen Beispielen islam-, menschen- oder demokratiefeindlicher Aussagen von AfD-Mitgliedern für eine Einstufung der Partei. Sachsens Landeschef Jörg Urban etwa forderte: „Warnt eure Mädchen eindringlich vor jedem Kontakt mit muslimischen Jungs und Männern.“ Sachsens AfD-Sprecher Andreas Harlaß wollte die Religion gar als terroristische Vereinigung einordnen lassen. Immer wieder musste die Verteidigung des Verfassungsschutzes auf Wunsch der Richter unterbrechen; die vielen Zitate seien bekannt, hieß es, und das richterliche Besprechungszimmer durch ihre Sammlung in Akten sogar schon geschrumpft.
Nach AfD-Auffassung gehen ihre Aussagen ohnehin kaum über die von anderen Parteien hinaus. Da Nancy Faeser anlässlich der Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2023 den Anstieg von Migration mit dem Anstieg von Kriminalität in Verbindung gebracht hat, müsste sie sich nach AfD-Auffassung selbst beobachten. Neben dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit argumentierten Kläger und Beklagter auch über den der Parlamentarismus- respektive Demokratiefeindlichkeit.
Vom Vorsitzenden Richter Gerald Buck war immer wieder zu hören, dass er die Argumente gehört und verstanden habe, sie, die Richter müssten noch darüber befinden. Bis das abgeschlossen ist, wird es mutmaßlich noch eine Weile dauern. Am Donnerstag zeichnete sich ein Urteil noch lange nicht ab. Nach den ersten beiden Verhandlungstagen im März hat das OVG vorsichtshalber 13 weitere Termine angesetzt, die bis in den Juli hinein reichen.