Analyse
Erscheinungsdatum: 17. April 2025

Die AfD im Bundestag: Zwischen Abgrenzung und Normalität

Kaum steht der Koalitionsvertrag, sorgt die AfD für neuen Streit zwischen Union und SPD. Die zentrale Frage ist: Wie soll man mit der AfD umgehen?

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD haben viele Fragen offengelassen. Ein ungelöstes Dauerproblem im parlamentarischen Alltag sorgt nun für weiteres Konfliktpotenzial: Wie geht man mit der AfD um, die nicht nur in Teilen rechtsextreme Positionen vertritt, sondern mit 152 Abgeordneten auch kraftstrotzend Ansprüche erhebt – auf Posten, auf Mittel und auf Räumlichkeiten im Bundestag? In der Unionsfraktion wächst die Zahl derjenigen, die die Rechtsaußen-Abgeordneten nicht länger exmatrikuliert sehen wollen. Die SPD hält dagegen – und in der noch nicht besiegelten Koalition wächst die Zahl der Themen, die die Differenzen zwischen den Partnern offenlegen.

Angezettelt hatte den Konflikt CDU-Fraktionsvize Jens Spahn. Zuerst in der Bild-Zeitung hatte er angemahnt, im Bundestag bei organisatorischen Fragen und Abläufen mit der AfD „wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“ umzugehen. Es gehe dabei nicht um eine inhaltliche Zusammenarbeit, aber: Man müsse anerkennen, dass Millionen Deutsche die AfD gewählt hätten. Fast empört wies er hinterher den Vorwurf zurück, er strebe eine „Normalisierung“ des Umgangs mit der AfD an, die öffentliche Debatte erschöpfe sich in „Empörungsritualen“.

Zugleich erfuhr er innerparteilich breite Solidarität. Vom sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer über Fraktionsvize Johann Wadephul bis hin zum Hamburger MdB Christoph Ploß reichte die Garde der Unterstützer. Spahn habe „zu Recht darauf hingewiesen, dass man die AfD nicht mit Geschäftsordnungsdebatten wieder unter 20 Prozent bekommen kann, sondern nur mit inhaltlichen Auseinandersetzungen“, sagte Ploß dem Tagesspiegel. Auch Karin Prien, Vize-CDU-Chefin und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, schlägt in der FAZ den Kurs einer „zivilisierten Verachtung“ vor: Eine Normalität im Umgang könne es gar nicht geben. „Dennoch: Die Abgeordneten sind demokratisch gewählt.“ Deshalb sei es wichtig, die Geschäftsordnung peinlich genau einzuhalten.

Was dem Vorgang zusätzliche Brisanz verleiht: Auch der für mehrere Spitzenämter gehandelte Thorsten Frei plädiert – vorsichtig – für eine Öffnung gegenüber den Rechtspopulisten. Man müsse das Wahlergebnis anerkennen, sagte er im Podcast Table.Today: „Das ist eine Frage des demokratischen Bekenntnisses. Und deswegen muss man sich sehr klug anschauen, wie man an dieser Stelle verfährt.“ Frei, der die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD in der Migrationspolitik Ende Januar intern mit einiger Skepsis betrachtet hatte, fügte an: „Ich würde immer davor warnen, die AfD in ihrem Märtyrerstatus zu bestätigen. Das kommt ihr nicht zu, das ist nicht richtig.“

In der SPD sorgt der Unions-Versuch, das Verhältnis zur AfD zu entkrampfen, für Empörung. Weil Spahn immer wieder mal Grenzen auslotet, begegnen ihm die Genossen ohnehin mit großem Misstrauen. Zudem hatten sich die Chef-Verhandler von Union und SPD soeben erst im Koalitionsvertrag verständigt, wonach beide Seiten „auf allen politischen Ebenen jede Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen, demokratiefeindlichen und rechtsextremen Parteien“ ausschließen. Und: „Im Deutschen Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab.“

Darauf berufen sich nun die Genossen. „Ich kann nur warnen, die AfD zu normalisieren“, sagte Bärbel Bas bei Markus Lanz. Man könne keine Partei mit der Repräsentation einer Institution betrauen, „die sie jeden Tag bekämpft“. Innenpolitiker Sebastian Fiedler sagte Table.Briefings: „Ich kann mir derzeit keine AfD-Abgeordneten vorstellen, die meine Stimme für den Vorsitz des Innenausschusses bekämen. Die rechtsextreme AfD ist ein Sicherheitsrisiko.“ Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch stellte bei RTL klar, dass „es keine Normalität geben“ könne. Die AfD stelle „in weiten Teilen die Verfassung infrage“, und das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, „dass es keinen Anspruch gibt, gewählt zu werden“.

Derweil frohlockt die AfD. Die besonders Machtorientierten malen sich schon aus, wie die Koalition zerbrechen und die AfD noch vor 2029 an einer schwarz-blauen Regierung beteiligt werden könnte. Die Reflektierteren rechnen vor, wer in der CDU eine Mehrheit für eine solche Koalition verhindern würde. Die „Lockerungsübungen von Spahn“ zeigten, dass die Abgrenzungsmechanismen der CDU nicht mehr funktionierten, dass nach der Merkel-Ära zudem eine Repräsentationslücke rechts außen zu füllen sei. „Aber Armin Laschet würde sich eher die Hand abhacken, als mit uns zu regieren“, heißt es etwa. Und die Laschets blieben eine relevante Größe in der Union.

Die AfD müsse jetzt ihre Hausaufgaben machen. So mahnen gegenüber Table.Briefings mehrere, auch hochrangige AfD-Mitglieder. „Wenn wir je eine Option für die Union werden wollen, müssen wir im Parlament hochsolide und ultraseriös auftreten“, argumentieren sie, „das wird schwer genug“. Pöbeleien, Krawall, „das Brandner-Gehabe“ – das alles müsse aufhören. An der Auftakt-Rede von Stephan Brandner zur Konstituierung des neuen Bundestages störten sich selbst Bundesvorstandskollegen. Eine wirkliche Machtoption sehen die meisten vor 2029 nicht. Und doch registrieren es die Rechtspopulisten mit großer Freude, dass nicht nur die Koalitionspartner, sondern auch die Union intern heftig streitet – und zwar, mal wieder, über die AfD.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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