Analyse
Erscheinungsdatum: 30. Juni 2024

Deutsch-polnisches Verhältnis: Warum Warschau die Nähe zu Berlin sucht 

Polens Ministerpräsident Donald Tusk sucht den Schulterschluss mit Deutschland. Dabei spielt auch das mögliche Wegbrechen anderer Verbündeter in Frankreich und den USA eine Rolle.

Wenn das Bundeskabinett an diesem Montagabend zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Warschau aufbricht, könnte das eine Zeitenwende im Verhältnis beider Länder markieren. Aus verschiedenen Gründen: Schon in seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident zwischen 2007 und 2014 hatte sich Donald Tusk um bessere Beziehungen zu Berlin bemüht – und um eine Revitalisierung des Weimarer Dreiecks, das Vorgänger Lech Kaczyński ziemlich hatte schleifen lassen. Daran will Tusk nun anknüpfen, zumal sich die Sicherheitslage für Polen seither dramatisch verschlechtert hat.

Hinzu kommt: Tusk ist ein überzeugter Europäer, nicht erst seit seiner Zeit als EU-Ratspräsident. Mit dem ehemaligen EU-Parlamentarier Radoslav Sikorski hat er einen europaaffinen Außenminister an seiner Seite. Umso besorgter schaut er an diesem Wochenende nach Frankreich, wo die Idee eines starken Weimarer Dreiecks einen jähen Rückschlag erleiden könnte. Denn beim ersten Wahlgang an diesem Sonntag kam das Ressamblement National laut erster Hochrechnung mit 34 Prozent die meisten Stimmen; wenn sich dies bei der Stichwahl am kommenden Sonntag bestätigt, würde das den Prozess sehr erschweren. Zu autoritär ist Marine Le Pen strukturiert, zu EU-feindlich ist sie unterwegs, zu moskaufreundlich hat sie sich präsentiert, als dass sie für Polen eine verlässliche Partnerin abgeben könnte. Le Pen bekämpft starke EU-Institutionen, genau das, worauf Tusk und Sikorski hinarbeiten. Selbst Kompromisse bei der Reform des Einstimmigkeitsprinzips kann sich die neue Regierung in Warschau vorstellen.

Umso wichtiger wird für die Polen die Beziehung zu Berlin. Nicht zuletzt, weil seit dem russischen Überfall auf die Ukraine Sicherheitsaspekte höchste Priorität haben. Derzeit wird die Grenze zu Weißrussland massiv ertüchtigt, die neue Regierung setzt auf eine neue Nähe zu EU und Nato. Zugleich bereiten sich die Polen bereits auf einen möglichen Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Wahlen im November vor. Sie erwarten, dass die US-Unterstützung für die Ukraine dann drastisch zurückgefahren werden dürfte – mit der Folge, dass verlässliche Unterstützer für Polen dann umso wichtiger würden.

Auch deshalb sucht Tusk die Nähe zu EU und Nato – und zu den Deutschen. Die EU ist für sie auch eine Sicherheitsgemeinschaft, die Bundesregierung ein Garant für die eigene Freiheit. Seit dem Regierungswechsel Anfang des Jahres sei ihm in allen Begegnungen hohe Aufgeschlossenheit begegnet, berichtet der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan. Das durchgängige Motto der Nachbarn: „Wir wollen mehr mit euch machen.“ Die Enttäuschungen früherer Jahre – das deutsche Ignorieren polnischer Sicherheitsbedürfnisse, die überhörten Warnungen vor dem russischen Imperialismus, das Festhalten an Nord Stream II, auch das zögerliche Verhalten des Kanzlers gegenüber Russland – sind abgehakt.

Und die Forderung nach Reparationen für die Schäden und Verluste im Zweiten Weltkrieg? Sie sind nicht ganz verschwunden, aber in den Hintergrund gerückt. Nietans Interpretation der polnischen Perspektive: „Sie wollen keine Reparationen; aber sie erwarten von Deutschland Gesten der Wiedergutmachung und der Verantwortung gegenüber Polen, die zeigen: Wir schätzen und verstehen euch.“ Dazu gehört ein erkennbares Verständnis für die polnische Sorgen. Das könnte die Bereitschaft beinhalten, die Nato-Ostflanke weiter zu sichern oder aber, die Polen noch nachhaltiger als bisher und durchaus über die Nato-Verpflichtungen hinaus in ihrer Luftverteidigung zu unterstützen. Nietans Analyse: „Diese polnische Regierung ist eine Chance für die EU – und ein Geschenk für Deutschland.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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