Analyse
Erscheinungsdatum: 07. Dezember 2023

Der Sozialbeirat: Diskreter Rat für die Bundesregierung

23.10.2019, Niedersaechsischer Landtag, Hannover, Sitzung des Niedersaechsischen Landtages im Plenarsaal, im Bild Anja Piel Landesvorsitzende Die Gruenen bei ihrer Rede Niedersaechsischer Landtag  23 10 2019, Niedersaechsischer Landtag, Hanover, Session of the Niedersaechsischer Landtag in the Plenarsaal, in the picture Anja Piel State Chairwoman of the Greens during their speech Niedersaechsischer Landtag
Kaum jemand kennt ihn – dabei ist der Sozialbeirat das inzwischen älteste Beratergremium für Regierung und Parlament. Der Beirat schont die Regierung in seinen Veröffentlichungen nicht, aber besonders wichtig ist nach wie vor eine ganz eigene Tugend: Diskretion.

Das „älteste Beratungsgremium für die gesetzgebenden Körperschaften und die Bundesregierung“, wie es sperrig in einer Selbstdarstellung heißt, wird in diesem Jahr 65 Jahre alt. Und dennoch kennt kaum jemand den Sozialbeirat. Das könnte an zwei Dingen liegen. Zum einen tagt er diskret. Die Sitzungen sind nicht öffentlich, die Protokolle nicht einsehbar. Zum anderen hat er im Kern nur eine Aufgabe: einmal im Jahr den Rentenversicherungsbericht der Regierung zu bewerten. Jeweils bis Ende November muss der Rat Bundestag und Bundesrat sein Gutachten zuleiten.

Die Expertise fällt für die Regierung nicht immer freundlich aus. Im Gutachten von November 2022 etwa befasst sich der Rat kritisch mit der von Finanzminister Christian Lindner beförderten „Aktienrente“, die längst auch für Diskussionen in der Koalition sorgt. „Die unterschiedlichen Vorhaben zur Stärkung der Kapitaldeckung bleiben im Koalitionsvertrag vage und sind nicht direkt miteinander verknüpft“, befindet der Beirat. Parallel zur im Januar gestarteten „Fokusgruppe private Altersvorsorge“ der Bundesregierung fordert er Regierung und Parlament auf, „bald Klarheit zu schaffen", welche privaten und betrieblichen Vorsorgemöglichkeiten künftig bestehen und gefördert werden sollen.

An Kompetenz fehlt es dem Gremium nicht.Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite ist mit jeweils vier Delegierten vertreten, die Bundesbank mit einem Experten; dazu kommen drei Experten aus dem Wissenschaftsbereich. Darunter waren schon bekannte Namen wie Bert Rürup, Namensgeber der Rürup-Rente, oder die heutige Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein. Derzeit ist Anja Piel, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes, eine von zwölf Sachverständigen. Untergebracht ist die Geschäftsstelle im Arbeitsministerium.

Aktuell wichtigstes Thema: die Rente mit 67. Im Rahmen seines letzten November-Gutachtens bewertete der Beirat auch den „Bericht zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre“, den die Regierung alle vier Jahre vorlegen muss. Herausgekommen ist eine kritische Würdigung der bestehenden Regelung. Zugleich hat der Beirat aber auch Verbesserungsvorschläge: Für die Überlegung, womöglich die Altersgrenzen anzuheben, „sollten auch jene Personen in den Blick genommen werden, die die Regelaltersgrenze nicht erreichen“, heißt es da. Zudem bedürfe es „größerer Anstrengungen“, Arbeitslose über 60 Jahren „in bedarfsdeckende Beschäftigung zu vermitteln“. Soll heißen: in Jobs, die zumindest mit dem Mindestlohn vergütet werden.

Weiter beschäftigt den Beirat auch der Wegfall der Zuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten. Hier bemängeln die Experten die fehlende Absicherung für Rentner und Rentnerinnen, die noch einem Job nachgehen. Sie erinnern daran, dass es nach Erreichen der Regelaltersgrenze keinen oder nur einen verkürzten Anspruch auf Lohnersatzleistung gibt – etwa auf Kranken-, Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Obwohl diese Rentner reduzierte Sozialbeiträge zahlten, könne das für diejenigen problematisch sein, die „auch jenseits der Regelaltersgrenze auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten“.

Über die jährlich erscheinenden Berichte hinaus dürften jedoch selbst die Fachpolitiker des Bundestages nicht viel mitbekommen von ihrem Sozialbeirat. Denn dessen Mitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Über Beratungen, Unterlagen und Schriftverkehr dürfen sie keine Auskunft geben. Auf besondere Einladung immerhin können Gäste an ihren Sitzungen teilnehmen. Aber Exklusivität ist wichtig: „Die Bundesministerien sollen zu den Sitzungen des Sozialbeirats regelmäßig eingeladen werden“, heißt es in der Geschäftsordnung. Verpflichtend ist es nicht.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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