Analyse
Erscheinungsdatum: 04. Januar 2024

Das Schicksalsjahr der FDP

Kurz vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen, ist die Zukunft der Partei alles andere als ausgemacht. Nach der überstandenen Mitgliederbefragung ist zwar die Frage nach dem Fortbestand der Ampel zunächst geklärt; welche Konsequenzen die Partei daraus zieht, aber noch nicht. Dabei hängt davon viel ab – auch für Parteichef Christian Lindner.

Das Jahr beginnt für die FDP ziemlich schonungslos mit einer Zahl: 13.614 – die Anzahl der abstimmungsberechtigten Mitglieder, die in einer Mitgliederbefragung gegen den Austritt aus der Ampel-Koalition und damit für die Fortsetzung der Regierungsarbeit ihrer Partei gestimmt haben. Bei 65.899 Abstimmungsberechtigten ist das gerade einmal jedes fünfte Parteimitglied. Selbstverständlich bemüht sich die Parteiführung das Ergebnis andersherum zu deuten, schließlich blieb der Anteil derjenigen, die für einen Ausstieg aus der Regierung votierten, mit 12.444 (gerade) noch darunter, bei knapp 40 Prozent Beteiligung. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai interpretiert es so: „Das Ergebnis stärkt uns den Rücken bei der Bewältigung der enormen Herausforderungen für das Land.“ Die Partei wolle eine klare liberale Handschrift in der Regierungspolitik sehen. Die FDP wolle gestalten.

Auch wenn er damit formell recht haben sollte, daraus eine Rückenstärkung zu lesen, erfordert doch erhebliches spindoctorisches Talent. Denn nun ist bezifferbar, was ohnehin offensichtlich ist. Die Liberalen sind gespalten – in einer essentiellen Frage: Wieviel „liberale Handschrift“ beziehungsweise wieviel „FDP pur“ ist nötig, um die Partei zusammenzuhalten, wieviel Kompromissbereitschaft muss Parteichef Christian Lindner gleichzeitig beweisen, um weiter regieren zu können? Ein erheblicher Anteil der Mitglieder beantwortet die Frage derzeit vollkommen anders als die Parteiführung.

„Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Auf diese einfache Formel hatte Lindner 2017 das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen mit Union und Grünen gebracht. Umringt von Mikros, Kameras und Parteimitgliedern las er seine Sätze von einem eng bedruckten Blatt ab. Innerparteilich hat sich der Parteichef damals Glaubwürdigkeit erkauft, von der er heute noch profitiert. Es war für das Selbstverständnis der Partei ein historischer Moment. So prägend, dass Ewald Grothe, der Leiter des Archivs der Friedrich-Naumann-Stiftung, bei den Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der Partei Mitte Dezember die Anekdote preisgab, dass er jüngst seinen Parteifreund eben um jenen Zettel gebeten habe, von dem der sonst fast immer frei sprechende Rhetoriker Lindner in jener Novembernacht seine nicht ganz so spontane Nicht-Regierungsrede abgelesen hatte. Dieser habe ihm dann versichert, bei Gelegenheit nach dem Artefakt suchen zu wollen.

Bei diesem also offensichtlich überlegten Auftritt des Parteichefs fiel übrigens noch ein weiterer Satz, an den die Partei in diesen Tagen ungerne erinnert wird: „Wir wissen, dass Politik vom Ausgleich lebt, und mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren.“

Das vollständige Statement des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner zum Abbruch der Jamaika-Gespräche am 20. November 2017. (Bild: ZDF/X)

Auch im aktuellen Bundestag hat die FDP kaum mehr als elf Prozent der Sitze. Von sehr viel Ausgleich oder gar Zurückhaltung, dabei den Kurs der Republik diktieren zu wollen, haben die beiden größeren Koalitionspartner SPD und Grüne im vergangenen Jahr wenig gespürt. Heizungsgesetz, Technologieoffenheit, Kindergrundsicherung – um nur Stichworte zu nennen. Acht verlorene Landtagswahlen später sieht es nicht so aus, als wolle die Partei von diesem Kurs abweichen. Djir-Sarai hat es anklingen lassen: „liberale Handschrift“.

Die Europawahl und die Landtagswahlen im Osten der Republik lassen für die Liberalen nichts Gutes erahnen. In Sachsen und Brandenburg sind die Liberalen jetzt schon nicht vertreten, in Thüringen hat man sich vom Landesverband bewusst distanziert, seit Landeschef Thomas Kemmerich sich 2020 von der AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Selbst ein Wahlsieg käme dort für die Bundespartei quasi einer Niederlage gleich. Doch bislang führte jede verlorene Wahl dazu, dass sich das Hans-Dietrich-Genscher-Haus anschließend vornahm, noch deutlicher zu machen, „wofür die FDP steht“. Auf die Diskussion, dass gerade das das Problem der Partei sein könnte, lässt sich kaum ein Parteimitglied ein.

Je tiefer man in die Ebenen der Partei absteigt, desto erbitterter wird derzeit der Kampf gegen den Bedeutungsverlust gekämpft. „Die Grünen sind der Feind!“, ist ein Satz, der im Gespräch mit liberalen Kommunalpolitikern immer wieder fällt. Djir-Sarai scheint hier mit seiner Einschätzung richtig zu liegen, seiner Partei eher mehr „Pures“ und weniger Staatsräson zu verschreiben. Doch sogar mit rund 70.000 Parteimitgliedern, die sich einig sind, lässt sich keine Wahl gewinnen, noch nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Es klingt wie eine Binse: Um langfristig relevant zu bleiben, muss die FDP sich auch um Wähler bemühen, die nicht zu ihrer Kernklientel gehören – selbst wenn diese etwas anderes wollen als die Mitglieder. JuLi-Vorsitzende Franziska Brandmann beispielsweise wiederholt seit 2021 ihr Mantra, dass junge (Erst-)FDP-Wähler sich vor allem eine neue Rentenpolitik wünschten. Damit wären sie sich sogar mit den Grünen einig. Doch auf diesem Feld ist bis dato nicht viel passiert. Ähnlich sieht es mit dem Klimageld aus, dem versprochenen Ausgleich für erhöhte CO2-Kosten. Doch nun hat Lindners Finanzministerium Probleme, die Bankverbindungen ausfindig zu machen.

In diesem Jahr entscheidet sich, zu wieviel Ausgleich die Partei noch fähig ist. Denn wie attraktiv ist in einem konsensual verfassten System eine Partei, die damit antritt, „Politik pur“ durchzusetzen? Passen in einem Dreierbündnis dogmatische Positionen zu einer liberalen Partei? Auch wenn es für Parteimitglieder möglicherweise widersprüchlich wirkt: Die derzeit hohen Umfragewerter der AfD und die Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition haben viel mit der Unfähigkeit zum Konsens zu tun. Welchen Wähler interessiert schon, was „FDP pur“ ist, wenn am Schluss etwas Vernünftiges herauskommt? Politik lebt vom Ausgleich, wir erinnern uns.

Beim traditionsreichen Dreikönigstreffen der Partei am Wochenende wird sich zeigen, inwiefern Lindner seine Worte von 2017 noch im Gedächtnis sind. Und welche Ausrichtung er seiner Partei 2024 verpassen will. Es geht auch für ihn um viel. Sollte er es nicht schaffen, dem Wähler zu erklären, warum es 2025 noch eine FDP im Bundestag braucht, wäre plötzlich Marie-Agnes Strack-Zimmermanns die mit Abstand profilierteste FDP-Abgeordnete überhaupt. Denn als FDP-Spitzenkandidatin der Europawahl ist sie von der Fünf-Prozent-Hürde verschont. Dann hätte Linder tatsächlich viel Zeit nach dem historischen Zettel zu suchen – er sollte ihn studieren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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