Analyse
Erscheinungsdatum: 22. Januar 2023

„Das macht mich wütend“

Bijan Djir-Sarai - FDP - Generalsekretär  fotografiert in der Bundesgeschäftsstelle der FDP i Berlin-Mitte (Foto: IMAGO/Christian Kielmann)
In Teheran geboren, in Grevenbroich aufgewachsen und bei den Liberalen zu Hause. Bijan Djir-Sarai ist seit 23. April 2022 Generalsekretär der FDP. Uns gibt er Einblick in seine persönliche Beziehung zum Iran, reagiert auf Vorwürfe des Bundeswirtschaftsministers und äußert sich zum aktuellen Diskurs um Waffenlieferungen an die Ukraine.

Berlin.Table: In Deutschland, in Europa, in der westlichen Welt tobt eine heftige Debatte zur Frage, warum Deutschland noch keine Kampfpanzer an die Ukraine liefert. Wo stehen Sie da? K önnen Sie das Verhalten von Bundeskanzler Scholz nachvollziehen?

Bijan Djir-Sarai: Ich habe Verständnis dafür, dass der Kanzler sorgfältig abwägt. Es wäre aber nicht gut, wenn bei der Ukraine und den Verbündeten der Eindruck entstünde, Deutschland zögere notwendige Entscheidungen hinaus.

Wie sollte sich Deutschland hinsichtlich der Ukraine jetzt verhalten?

Der Krieg in der Ukraine ist in einer entscheidenden Phase. Die Ukraine braucht dringend weitere militärische Unterstützung. Wer nicht will, dass die Ukraine diesen Krieg verliert, muss handeln.

Sind Sie für oder gegen die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine? Jetzt oder später?

Ich glaube, dass wir gut daran täten, in dieser Frage stärker auf die Verbündeten aus Osteuropa zu hören.

Was ist das Schönste an der Ampel-Koalition?

Dass wir trotz unterschiedlicher Vorstellungen nach intensiven Debatten stets zu guten Lösungen kommen. Und das, so denke ich, wird auch so bleiben.

Was ist das Schwierigste?

Wir alle müssen Dinge tun, die so nicht in unseren jeweiligen Parteiprogrammen stehen. Als wir den Koalitionsvertrag gemacht haben, dachten wir, die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Pandemie würden die größten Herausforderungen sein. Dass dann der Kriegsausbruch in der Ukraine kommen würde, ahnte niemand. Dass sich die Welt, in der wir leben, so dramatisch verändert – dafür gab es kein Drehbuch.

Sie haben das Jahr 2023 zum Jahr der Mitte erklärt. Was soll das heißen?

Damit meinte ich die hart arbeitende Mitte unseres Landes, die unseren Staat und die sozialen Sicherungssysteme trägt. In Deutschland wird oft so getan, als hätten wir nur Bürgergeld-Empfänger und Superreiche in diesem Land. Aber das ist falsch. Dazwischen ist auch etwas. Die Menschen, von denen ich spreche, wünschen sich weniger Belastung etwa durch Steuern und Bürokratie, dafür mehr Freiheit, bessere Bildungschancen und eine moderne Infrastruktur. Daran wollen wir als FDP arbeiten.

Die SPD ist unter Scholz auch in die Mitte gerückt. Die Grünen tun es auch. Wird es da nicht langsam eng?

Wenn eine Partei inmitten einer Wirtschafts- und Energiekrise noch höhere Steuern und Abgaben fordert, von denen auch die Mitte betroffen wäre, klingt das für mich eher nach linker Politik. Auch bei den Grünen kommt das Verteilen regelmäßig vor dem Erwirtschaften. Dass wir trotzdem keinen Linksruck erleben, ist im Wesentlichen ein Verdienst der FDP.

„Altlasten von zehn Jahren CSU-Führung”

Robert Habeck kritisiert, dass der Verkehr beim Klimaschutz hinterherhinkt. Warum steht das Verkehrsministerium nicht besser da?

Die Kritik übersieht, dass der zuständige Minister mit den Altlasten von zehn Jahren CSU-Führung im Verkehrsbereich zu kämpfen hat. In anderen Ressorts, etwa im Bereich Bauen und Wohnen, sind die Herausforderungen ähnlich groß. Ausgerechnet die Grünen, die sehr stark dafür verantwortlich sind, dass wieder mehr Braunkohle in Deutschland verstromt wird, sollten sich zurückhalten mit Kritik. Steigende Emissionen im Energiesektor sind eine direkte Folge des politisch erzwungenen Atomausstiegs. Auch deshalb bleiben wir als FDP offen für eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen AKW.

Trotzdem hinkt der Verkehr beim Klimaschutz hinterher.

Volker Wissing ist erst seit gut einem Jahr Minister und hat bereits vieles auf den Weg gebracht: Denken Sie etwa an das 49-Euro-Ticket oder die Sanierung der sogenannten Hochleistungskorridore bei der Bahn. Die Zahl der Ladesäulen und E-Autos steigt im Rekordtempo. Er tut auch eine Menge für die Planungsbeschleunigung. Die halte ich übrigens für absolut essenziell, damit wir eine moderne und saubere Infrastruktur bekommen.

Dazu gehört für Sie auch der Bau von Autobahnen.

Wir unterscheiden nicht zwischen böser und guter Infrastruktur. Wenn Menschen permanent auf Autobahnen im Stau stehen, dann ist das kein sinnvoller Beitrag für den Klimaschutz. Wichtig ist doch, dass wir Autos emissionsfrei machen, anstatt den Verkehr auszubremsen. Wir brauchen funktionsfähige Straßen und Brücken, wir brauchen neue Radwege, wir brauchen mehr Schienen. Wir müssen in allen Sektoren der Infrastruktur und des Verkehrs besser werden in Deutschland.

Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass es vor allem die FDP ist, die beim Klimaschutz bremst.

Der Eindruck ist falsch. Wenn wir erfolgreich Klimaschutz umsetzen wollen, können wir das nicht gegen die Menschen in diesem Land machen. Wir müssen sie mitnehmen. Deswegen rate ich von Symbolpolitik ab, die spaltet und von den Menschen nicht verstanden wird. Wir setzen auch beim Klimaschutz auf den Markt und auf technische Innovation. Und wir lehnen eine Klimaschutzpolitik ab, die auf staatliche Bevormundung setzt, auf Verbote, was man zu essen hat, wie schnell man fährt, wie oft man in den Urlaub fahren darf.

Wie sieht Ihr Klimaschutz-Sofortprogramm aus?

Neben dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien würden wir – um es ganz klar zu sagen – die Kernkraftwerke in Deutschland länger laufen lassen. Dann müssten wir weniger auf Braunkohle mit ihren enormen CO2-Emissionen setzen. Das ist einfach Physik. Wenn wir es ernst meinen mit Klimaschutz, muss die Kernenergie länger laufen.

Hat dieser Gedanke, dieses große Umschwenken, in der Koalition eine Chance?

Ich bin mir sicher, dass die drei AKWs nicht mehr am Netz wären, wenn die FDP nicht Teil dieser Bundesregierung wäre. Und wir bleiben der Meinung, dass die verbliebenen Meiler für eine saubere, sichere und bezahlbare Energieversorgung gebraucht werden. Wohin die Reise gehen wird, ist schwer zu beurteilen. Natürlich ist das eine Herausforderung. Aber wir mögen Herausforderungen.

Sie sind in Teheran geboren, in Grevenbroich aufwachsen, haben in Köln studiert. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Ganz klar in Deutschland. Der Iran von heute ist definitiv nicht meine Heimat. Das hat natürlich mit der politischen Situation im Iran zu tun, mit dem Mullah-Regime. Aber auch sonst würde ich den Iran nicht als meine Heimat bezeichnen. Zu Hause fühle ich mich im Rheinland.

Was heißt Heimat für Sie?

Heimat ist dort, wo die Erinnerungen sind. Dort, wo die Menschen sind, mit denen man gerne Zeit verbringt. Letztendlich dort, wo man sich wohlfühlt. Und ich fühle mich in Deutschland wohl. Wenn ich heute im Iran wäre, würde ich mich mit Sicherheit nicht wohlfühlen.

Was erzählt Ihnen Ihre Familie, die noch im Iran ist?

So gut wie nichts. Denn im Iran am Telefon über Politik zu reden, davon würde ich abraten. In der Islamischen Republik weiß man ganz genau, wer alles mithört.

Sind Sie im Fokus der Revolutionsgarden?

Man kann es nicht ausschließen. Wer glaubt, dass die Revolutionswächter nur im Iran aktiv sind, der täuscht sich. Die Revolutionswächter sind auf der ganzen Welt aktiv, besonders in den benachbarten Regionen des Irans, aber auch in Europa. Wir dürfen nicht vergessen: Auch hier hat es Anschläge gegeben. Der Anschlag im Restaurant Mykonos in Berlin, bei dem Oppositionelle ums Leben kamen, geht auf das Konto des iranischen Regimes.

Wie erleben Sie die aktuellen Berichte aus dem Iran?

Das bewegt mich sehr. Ich verfolge diese Dinge sehr aufmerksam und habe große Bewunderung für die Menschen, die gerade auf der Straße sind und seit vielen Monaten für ein besseres Leben und für ihre Freiheit demonstrieren. Die Botschaft dieser Menschen ist eindeutig: Sie wollen keine punktuellen Veränderungen oder Reformen, sie wollen die Abschaffung des bestehenden Systems. Sie wollen die Abschaffung der Islamischen Republik. Diese Menschen haben die volle Unterstützung und Solidarität der internationalen Gemeinschaft und der westlichen Wertewelt verdient. Es sind auch unsere Werte, für die diese Leute demonstrieren: Freiheit und Demokratie.

Wie dicht sind Sie da dran an den Geschichten der Protestierenden?

Mir schreibt man sehr viel, auch aus dem Iran. Auch mit der verzweifelten Bitte, nach dem Motto: Tun Sie was, Sie sind doch in der deutschen Politik. Machen Sie doch irgendwas. Sie haben doch Einfluss. Das gilt auch für andere iranischstämmige Abgeordnete. Diese Erwartung, diese pure Verzweiflung: Dass Politikerinnen und Politiker diese Emotionen auch als Menschen erleben, wird oft nicht gesehen.

„Das macht mich wütend.”

Was macht diese Hilflosigkeit und Machtlosigkeit mit Ihnen?

Das macht mich wütend. Die iranische Zivilgesellschaft wird von uns alleine gelassen. Denn in der Tat könnten wir ja auch in Deutschland mehr machen. Sowohl Deutschland als auch die Europäische Union setzen letztendlich darauf, dass die Lage sich wieder beruhigt und man anschließend wieder zum Atomabkommen zurückkehren kann. Und das ist aus meiner Sicht sehr enttäuschend. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass es keine Rückkehr zum Atomabkommen geben kann. Das wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler.

Fehlt aus Ihrer Sicht bei uns das richtige Verständnis für den Iran?

Wir sind wieder einmal nicht in der Lage, weltpolitische Veränderungen richtig einzuschätzen. Wie oft habe ich jetzt in den letzten Monaten gehört, „wir haben Russland falsch eingeschätzt“ oder „wir brauchen jetzt eine andere Chinapolitik“. Aber genau das passiert jetzt wieder. Ich bin überzeugt davon, dass die EU, Deutschland und die deutsche Außenpolitik den Iran falsch einschätzen. Mit so einem Regime wird man niemals verhandeln können oder gar nachhaltige Ergebnisse erzielen können.

Was sollte die Bundesregierung tun?

Wenn man sieht, was die Kanadier machen, was die Amerikaner machen, was Großbritannien macht, dann macht Deutschland definitiv zu wenig. Ein wichtiger Punkt wäre jetzt, die Revolutionswächter auf die sogenannte Terrorliste der Europäischen Union zu setzen. Es wäre so wichtig, jene zu sanktionieren, die die gesamte Wirtschaft, die gesamte Politik des Irans dominieren. Aber diesen Schritt geht die EU nicht. Hier wäre eine deutsche Initiative dringend geboten.

Warum gehen die EU und Deutschland diesen Schritt nicht?

Weil die EU zum Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren will. Das ist der Kardinalfehler. Wir brauchen eine neue Iran-Strategie. Aber das ist in der Europäischen Union noch nicht verstanden worden. Auch unsere Außenministerin geht noch nicht den richtigen Weg.

Inwiefern?

Wo ist denn die deutsche Initiative? Im Iran sind vor allem junge Frauen auf der Straße, die für ihre Rechte demonstrieren. Sie stehen auf und wehren sich gegen die Unterdrückung durch die Islamische Republik. Wir schulden den Menschen mehr als große Reden über Menschenrechte und Freiheit.

„Das liegt an einer gewissen Naivität der deutschen Außenpolitik.”

Sie haben gesagt, Deutschland sei nicht in der Lage, andere Länder richtig einzuschätzen. Woran liegt das?

Das liegt an einer gewissen Naivität der deutschen Außenpolitik. Wir sind in Deutschland sehr mit uns selbst beschäftigt Das führt dazu, dass wir die Welt, in der wir leben und die sich gerade dramatisch verändert, nicht mehr verstehen.

Wie verstehen Sie diese veränderte Welt?

Wir haben viel zu lange gedacht, dass wir so was wie eine richtige Armee gar nicht brauchen. Unser Glaube war: Wir leben in einer sicheren Welt, wir sind nur umgeben von freundlichen Nachbarn. Und sollte sich das ändern, dann werden das schon die Amerikaner regeln. Wir als Deutsche werden das höchstens moralisch begleiten. Dieser überhebliche Vulgärpazifismus ist spätestens im vergangenen Jahr an der Realität zerschellt. Die meisten haben seitdem verstanden: Wir brauchen eine moderne Armee mit Kapazitäten zur Landes- und Bündnisverteidigung. Und wir müssen uns eingestehen, dass das Geld kostet. Deshalb haben wir das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr auf den Weg gebracht.

Das klingt nicht gerade nach feministischer Außenpolitik.

Ich halte sehr viel davon, dass wir – vor allem, wenn wir über Länder wie Iran reden – in der Außenpolitik die besondere Rolle von Frauen zur Kenntnis nehmen und uns für ihre Rechte und ihre faire Repräsentation einsetzen. Die stärkste Oppositionsbewegung im Iran ist die Frauenbewegung. Und für die Impulse dieser Revolution sind Frauen ausschlaggebend gewesen. Frauen, die sagen, dass sie sich das nicht mehr gefallen lassen.

Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Wir sollten diese Frauen, überhaupt diese jungen Menschen unterstützen, die gerade sehr, sehr viel riskieren. Wenn wir permanent sagen, wir stehen für Menschenrechte, für eine werteorientierte Außenpolitik, dann müssen wir auch auf diese Veränderungen reagieren. Aber in Deutschland verwechselt man sehr oft werteorientierte Außenpolitik mit moralisierender Außenpolitik. Das ist nicht das Gleiche.

Wo haben Sie Silvester gefeiert?

Ich war Silvester in Berlin.

„Bombennächte in Teheran”

In Neukölln?

Nein, dort nicht. Bei mir ist das so: Ich habe in meinem Leben Krieg erlebt. Ich kann mich noch sehr stark erinnern an die Bombennächte in Teheran, sowohl Anfang der Achtzigerjahre als auch Mitte der Achtzigerjahre. Deswegen kann ich mit dieser Knallerei in der Silvesternacht nicht viel anfangen. In den ersten Jahren in Deutschland war es schrecklich. Inzwischen ist viel Zeit vergangen und ich kann damit leben. Aber ich muss nicht mitmachen.

Wie haben Sie die Bilder aus der Silvesternacht wahrgenommen?

Die Bilder sind schockierend, und die Politik und die Verantwortlichen müssen sich jetzt sachlich und nüchtern mit der Frage beschäftigen, was da passiert ist und wie wir so etwas in Zukunft verhindern. Wir tun das in der FDP, aber nicht wie die Linken, die manches nicht sehen wollen oder tabuisieren. Wir sind bereit, über Defizite in der Integrations- und der Zuwanderungspolitik zu reden. Aber wir werden die Debatte definitiv nicht so führen wie einige aus der Union – mit Vorurteilen und Ressentiments. Liberale fragen nicht nach Vornamen. Unsere Perspektive ist eine rechtsstaatliche.

Hat Friedrich Merz Unrecht, wenn er von „kleinen Paschas“ spricht?

Solche Begriffe sollte man nicht benutzen. So etwas vergiftet nur die Diskussionskultur in diesem Land und lenkt von den Sachthemen ab.

Sie verwenden den Begriff Clankriminalität. Der ist aber auch nicht unumstritten.

Das ist etwas anderes. Für mich beschreibt der Begriff schlicht ein reales Problem. Clankriminalität existiert. Nicht nur in Berlin, sondern genauso auch da, wo ich herkomme, in Nordrhein-Westfalen. Über die Art der kriminellen Strukturen muss man doch ganz offen reden, sonst fallen die Gegenmaßnahmen unrealistisch aus. Wir sollten nicht naiv sein, sondern realistisch.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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