Analyse
Erscheinungsdatum: 26. März 2023

„Das kann sich Deutschland nicht mehr erlauben“

Bild: IMAGO / Westend61

Deutschland ist im bisherigen Modus nicht schnell und innovativ genug, um die Transformation einigermaßen erfolgreich zu gestalten. Eine neue Studie des Thinktanks „Progressives Zentrum“ listet Schwächen und Versäumnisse auf – und gibt Hinweise, wo Potenzial für neue Chancen liegt.

Die Bundesregierung ist ja bemüht. Sie weiß, dass das Land vor herausfordernden Zeiten steht, dass sich Wirtschaftsprozesse und Lebensweisen ändern müssen. Sie hat die „Allianz für Transformation“ einberufen, besetzt von Vertretern aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden, gesteuert vom Bundeskanzleramt. Olaf Scholz weiß, dass Zeit und Tempo für die Veränderung entscheidende Parameter sind, und manchmal nimmt sich der Kanzler auch höchstselbst mehrere Stunden Zeit, um an den Sitzungen des Gremiums teilzuhaben.

Doch es knirscht. Die Allianz kommt nicht richtig voran, greifbar ist bisher wenig. Es knirscht darüber hinaus in den Strukturen, am Tempo, vor allem aber auch an Innovationen, die den Aufbruch in die neue digitale Welt beschleunigen könnten. Zu diesem Ergebnis gelangt jedenfalls eine Studie des Thinktanks „Progressives Zentrum“ mit dem Titel „Innovation als Schlüssel zur gerechten Transformation – Acht Impulse für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Innovationsmodells“.

Der Befund ist ernüchternd. Das Grundproblem: Es existiert keine Gesamtstrategie für Innovation, die die verschiedenen Stränge bündeln würde „und in ein konsistentes Ganzes überführt“. Stattdessen dominiere „das eingeübte Prinzip der ‚Kooperation in Abgrenzung‘ – dem in Deutschland besonders starken Ressortprinzip“. So bleibe die Zukunftsstrategie weit von ihrem selbstgesteckten Ziel entfernt, der wesentliche Kompass für Innovationen in Deutschland zu sein.

Ein weiteres Handicap: Die etablierten Netzwerke aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft zeigten Ansätze von Verkrustung und seien „zum Teil durch eine geringe personelle Durchlässigkeit zwischen den Bereichen“ geprägt. Die harte Schlussfolgerung: „Dieses Defizit kann Deutschland sich nicht mehr erlauben.“ Das System müsse personell durchlässiger werden, inklusive beruflicher Seitenwechsel und auch einfacherer örtlicher Veränderungen. Nicht allein akademische Qualität dürfe der Maßstab sein, sondern bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen müsse auch der Transfer von Wissen in die Praxis belohnt werden.

An alten Schwächen hat sich nichts geändert. Die traditionell geringe Gründerneigung der Deutschen habe seit den 2000er Jahren noch einmal messbar abgenommen. Es gebe eine „ausgeprägte Risikoaversion“. Und so gelinge es immer noch viel zu wenig, „eine dynamische Gründungskultur zu schaffen“. Erschwerend komme die mangelhafte digitale Infrastruktur im Land hinzu.

Anders als die Großunternehmen im Land schwächele insbesondere der Mittelstand im Bereich der Innovationen. Er sei gar „zu einem Sorgenkind geworden“, insbesondere im Bereich der digitalen und technologischen Innovationen gelinge der Transfer in den unternehmerischen Alltag viel zu selten.

Und auch das ist nicht neu: Es fehlt in Deutschland an Wagniskapital. Mit 0,06 Prozent des BIP liege Deutschland unter dem EU-Durchschnitt und sei dramatisch weit entfernt von Ländern wie den USA (0,63 Prozent) oder auch Israel (0,27). Für die Frühphase stehe oft noch Kapital zur Verfügung, das dann jedoch häufig vor dem Markteintritt oder in der Phase des Hochskalierens knapp werde.

Immerhin listet die Studie auch einige Stärken des deutschen Innovationssystems auf: Dazu gehören etwa die enge Vernetzung von Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Industrie. Oder auch große, durchaus innovative Industrieunternehmen, die viel Geld in ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen investieren. Auch die lebendige Startup-Szene in mehreren Großstädten, teilweise eng vernetzt mit Hochschulen und lokalen Unternehmen, ist ein Standortvorteil.

Und doch, auch die allgemeine Wahrnehmung entspricht den Analysen der Studie. 78 Prozent der Deutschen sind nach einer begleitenden Civey-Umfrage der Meinung, die Regierung tue nicht genug für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft. Nur 13 Prozent halten die EU in Konkurrenz mit China und den USA für den innovativsten Wirtschaftsstandort. Für China votierten 40 Prozent, für die USA 30 Prozent.

Unter privaten Entscheidern in Industrie, Produktion und Verarbeitung sind ebenfalls knapp 78 Prozent der Meinung, die Bundesregierung tue zu wenig für die Rahmenbedingungen, um Unternehmen auch Innovationen zu ermöglichen. Bitter ist auch das Urteil der Entscheider über die Gründe der fehlenden Innovationen. 70 Prozent klagen über bürokratische Hürden, 65 Prozent über die Trägheit politischer Entscheidungsträger und 48 Prozent über fehlende Kenntnisse der politischen Akteure.

Doch dabei bleibt der Bericht nicht stehen. Er blickt zum einen in benachbarte Länder, die Niederlande, Schweden oder Großbritannien und stellt fest: Abstrakte Ziele würden „stets in ein aktives Management überführt – mit konkreten Zielen, Agenden, Maßnahmen und einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung“. Hilfreich seien dabei Innovationsagenturen, die allerdings „in ihrem Mandat eine größtmögliche Unabhängigkeit vom politischen Tagesgeschäft“ bekommen und ihre Arbeit ressortübergreifend verrichten sollten.

Auf dieser Grundlage wagt die Studie den Blick nach vorne und fordert die Regierung auf, das Thema Innovation zu ihrer „Supra-Mission“ zu machen, gemeinsam, ressortübergreifend und öffentlichkeitswirksam. Was bisher zum Thema Innovation vorliege, sei „zu zaghaft, zu wenig konsequent und noch nicht mit einem klaren Fahrplan hinterlegt“.

Konkret schlägt der Bericht vor, sich im Besonderen dem Thema ‚Circular Economy‘ (CE) zu widmen und zu einer „Mission“ auszubauen. Dabei gehe es um viel mehr als schlichte Kreislaufwirtschaft. CE habe das Potenzial, „die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft fundamental zu verändern“.

Schließlich könne die Bestellung eines Sonderbeauftragten mit Sitz im Bundeskanzleramt – und möglichst auch im Ministerrang – dem Thema zusätzliche Dynamik verschaffen. Erfahren sollte er oder sie sein und sich gegen spezifische Ressortinteressen durchsetzen können. Er oder sie, so die Idealvorstellung, „informiert in regelmäßigen Abständen das Bundeskabinett und tauscht sich mit anderen wesentlichen Reformvorhaben der Bundesregierung aus“.

Die Studie enthält viele Impulse – aber die Erfahrung lehrt, dass sich eine Bundesregierung, auch wenn sie sich „Fortschrittskoalition“ nennt, nur widerwillig und bedingt auf solche Anstöße von außen einlässt.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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