Analyse
Erscheinungsdatum: 18. Mai 2023

Das Aus von Patrick Graichen: Eine große Lücke und ein kleiner Kreis möglicher Nachfolger

Patrick Graichen - Staatssekretär im Wirtschaftsministerium

Er hatte einen Plan, er war wichtig, und jetzt ist er weg: Patrick Graichens Abgang ist gemessen an seiner Expertise ein großer Verlust für den Bundeswirtschaftsminister. Umso schwerer wird es für Robert Habeck, einen Nachfolger zu finden. Ein paar Namen sind dennoch im Gespräch. Viel Zeit bleibt auch nicht angesichts der großen Aufgaben.

Nun ist er gegangen. Und die FDP will mit ihm gleich auch sein Heizungsgesetz kippen. Dabei ist die Bilanz von Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen durchaus beachtlich. Und zwar nicht nur, wenn man sie mit der vergangenen Legislaturperiode vergleicht. Damals verging fast ein ganzes Jahr, bis CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit Andreas Feicht einen Staatssekretär für den Energiebereich gefunden hatte – und der brauchte dann noch einmal viele Monate, bis er die ersten Gesetzesvorlagen auf den Weg brachte. Graichen dagegen zog direkt mit Habeck ins Ministerium ein, und auch die ersten Gesetze ließen nicht lange auf sich warten. Denn Graichen war so gut vorbereitet wie kaum ein Staatssekretär vor ihm.

Wie die Ministerialbürokratie funktioniert, wusste Graichen, der einst über „Kommunale Energiepolitik und die Umweltbewegung" promoviert hat, aus elf Jahren Arbeit im Umweltministerium. Von 2001 bis 2012 arbeitete er dort unter Jürgen Trittin, Sigmar Gabriel und Norbert Röttgen erst als Referent und später als Referatsleiter unter anderem an der Umsetzung des Kyoto-Protokolls und diversen Klimapaketen mit. Und was passieren müsste, um das deutsche Klimaziel zu erreichen, arbeitete er anschließend zehn Jahre lang beim Thinktank Agora Energiewende bis ins Detail aus.

Neben diesen geplanten Vorhaben kamen die vielen ungeplanten, die infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine erforderlich wurden. In seiner Ein-Jahres-Bilanz präsentierte das Wirtschaftsministerium die vermutlich ziemlich einzigartige Zahl von 22 Gesetzen und 19 Verordnungen, die im ersten Regierungsjahr allein im Energiebereich verabschiedet worden sind.

Doch abgearbeitet ist das Programm damit noch lange nicht. Zentrale Projekte stehen noch an – etwa das heftig umstrittene Gebäudeenergiegesetz oder umfangreiche Gesetzespakete zur Beschleunigung des Solarausbaus, mit weniger Hürden für Solarparks und Dachanlagen, aber auch einer Ausweitung der nutzbaren Flächen. Ein vergünstigter Industriestrompreis ist ebenso geplant wie die Ausschreibung neuer Gaskraftwerke und der Bau weiterer LNG-Terminals. Dass Habeck so lange an Graichen festgehalten hat, lag auch daran, dass der Staatssekretär bei der Umsetzung dieser Vorhaben als schwer ersetzbar galt.

Nun muss Habeck einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finden – und zwar so schnell wie möglich. Ganz einfach ist die Aufgabe nicht. Denn um sich nicht gleich neuer Kritik auszusetzen, kommen Personen aus dem Umfeld von Agora Energiewende oder auch dem Öko-Institut so gut wie nicht infrage – obwohl es dort kompetente Kandidatinnen und Kandidaten gäbe.

Qualifiziert wären auch die ehemaligen Grünen-Politikerinnen Kerstin Andreae und Simone Peter. Doch beide sind derzeit als Lobbyistinnen im Energiebereich tätig – Andreae beim Energieversorger-Dachverband BDEW, Peter beim Erneuerbaren-Verband BEE – und könnten kaum direkt in ein Regierungsamt wechseln. Als mögliche Kandidatin gilt in Grünen-Kreisen auch die Bundestagsabgeordnete und Klimaökonomin Ingrid Nestle, die Habeck schon als Energie-Staatssekretärin diente, als er Umweltminister in Schleswig-Holstein war.

Die größten Chancen werden jedoch Klaus Müller eingeräumt. Als amtierender Präsident der Bundesnetzagentur ist er mit den zentralen Themenfeldern Netze und Speicher ebenso vertraut wie mit der Leitung einer großen Behörde; daneben bringt er Erfahrung als langjähriger Chef der Verbraucherzentralen und als schleswig-holsteinischer Umweltminister mit. Allerdings hat der 52-jährige Grüne bei der Bundesnetzagentur auch jetzt schon einen einflussreichen und gut dotierten Job. Und dieser ist deutlich sicherer als der eines Staatssekretärs, der nicht nur bei Compliance-Verstößen in den Ruhestand versetzt werden kann – sondern auch beim nächsten Regierungswechsel.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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