Ludwig Hartmann presst die Lippen aufeinander, seine Augen visieren den Rivalen an. Nicht unfreundlich, eher bestimmt und konzentriert. Eine typische Haltung für den Bayern, wenn er in seinem Kopf zusammensucht, was er gleich braucht. Argumente. Fakten. Widersprüche. Bei der dieswöchigen Wahlarena debattierte Bayerns grüner Co-Chef gegen Markus Söder an. Der wirft den Grünen vor, in Berlin keinen Nachweis für Regierungsfähigkeit erbracht zu haben, außerdem fehle ihnen das Bayern-Gen, sie wollten nur Verbote übers Land gießen: „Wir wollen kein Schwarz-Grün, und zwar definitiv nicht.“
Ludwig Hartmann redet nicht dazwischen, sondern wartet ab, bis der Moderator fertig gefragt hat. Dann setzt er an – zum Rundumschlag. Vom Plädoyer fürs gemeinsame Anpacken von Feuerwehr bis Energiegenossenschaft über Kritik an Söders Verständnis eines Bayern-Gens bis zur Bilanz der Ampel in Berlin holt Hartmann aus – inklusive Erläuterung darüber, wo Bayern von Berliner Maßnahmen profitiere. Söder muss einräumen, dass er Hartmann den Stolz auf seine Partei ja gönne. Und er räumt ein, als es um Gespräche nach der letzten Landtagswahl ging: „Herr Hartmann war – gebe ich zu – der freundlichste Teil bei den Grünen.“
Vieles an dieser Szene ist typisch für den gelernten Kommunikationsdesigner, der weniger bekannt ist als Co-Grünen-Chefin Katharina Schulze. „Das stört mich gar nicht, denn ich mache Politik nicht für Bekanntheitswerte“, sagt Hartmann. Während Schulze mit Charme und Emotion überzeugt, liegt Hartmanns Stärke im faktenreichen Argumentieren. Worte fließen aus ihm nicht unbedingt heraus, sie bröckeln manchmal eher, und liefern doch recht viel Gehalt. „Ich bin eher der ruhigere, der nachdenkliche Part. Ich gehe nicht ins Bierzelt und bringe es in fünf Minuten zum Toben“, sagt Hartmann.
Er sei dafür eher der Mann für die Wahlarena. „Meine gewaltige Stärke liegt im Bündnisse schmieden, Ideen finden, Menschen zusammenbringen.“ Hartmann zählt das Wassersicherungsprojekt auf, das Bienenprojekt. Über den Klee hätten die Leute ihn gelobt. Verstecken, sagt Hartmann, müsse er sich inhaltlich keinesfalls. „Ich sehe mich nicht als Nummer zwei. Ich sehe uns als Team mit verschiedenen Stärken und Schwächen. Wir ergänzen uns wahnsinnig gut.“
Der 45-Jährige und seine sieben Jahre jüngere Kollegin kennen sich aus der Grünen Jugend. Hartmann weiß ganz konkret, was ihn politisiert hat. Als er 15 ist, soll eine kurdische Familie abgeschoben werden. Hartmann demonstriert vor dem Innenministerium. Es folgt ein Strafverfahren, weil Hartmann keine Demonstration angemeldet hat. 16 Sozialstunden beim Roten Kreuz und der Gedanke „Ich mache jetzt Politik“ sind die Folgen.
Als prägend hat Hartmann auch Tschernobyl empfunden. Vorher gibt es Milch direkt vom Bauern und die Kinder legen ihre Hosen und Pullis nach dem Spielen zur Seite, um sie am nächsten Tag wieder zu tragen. Künftig kommt ein Sack Milchpulver auf den Tisch und alles, was draußen in der verstrahlten Luft war, wandert sofort in die Wäsche. Hartmanns Weg führt über die Grüne Jugend, den Landsberger Stadtrat und eine OB-Kandidatur in den bayerischen Landtag, wo er seit 2008 auf der Oppositionsbank sitzt.
Nach 15 Jahren ist die recht platt gesessen. Den Grünen reicht es dort, sie wollen mitregieren. Das machte Katharina Schulze im Interview mit Table.Media ebenso deutlich wie es von Hartmann zu hören ist. Auf die Frage nach einer schwarz-grünen Koalition antwortet Hartmann gern mit dem Bienen-Bürgerentscheid, der ihn mit vielen CSUlern nahe genug zusammengebracht habe, um bis heute gemeinsame Pressekonferenzen abzuhalten.
Söder stecke in der Zwangsjacke von Hubert Aiwanger, weil er sich so früh auf eine weitere Koalition mit dessen Freien Wählern festgelegt habe. „Aiwanger wird Söder die nächste Politik diktieren“, sagt Hartmann. Dass Aiwanger mit dem Landwirtschaftsministerium liebäugelt, sei nur folgerichtig. „Ein schwarz-grünes Angebot könnte für die Söder die Rettung sein.“
Mit den Freien Wählern liegen die Grünen derzeit gleichauf bei 15 Prozent – trotz Aiwangers Flugblatt-Affäre. Bei der Landtagswahl 2018 lagen die Grünen noch sechs Punkte vor den Freien Wählern. Vorwürfe gegen CSU und Freie Wähler, sie würden das Land spalten, haben die Grünen in Bayern konsequent zu einer ihrer Wahlkampfsäulen gemacht. „Wenn man sein Land liebt, dann spaltet man es doch nicht.“
Hartmanns Erzählung lautet so: Was ein München mit einem fränkischen Dorf wie Buch am Wald eine, sei die Angewiesenheit aufeinander. „Seid froh darüber, dass die Wertschöpfung bei euch im ländlichen Raum ist. Seid froh, wenn bei München ein neues E-Auto entwickelt wird, ihr könnt mit euren Anlagen auf dem Dach wahrscheinlich günstiger tanken.“ Die Pioniere grüner Politik, die Fotovoltaik- oder Windanlagen erfunden haben, sie säßen im ländlichen Raum. Heute begegneten ihm auf dem Land Leute, die Grüne nie wählen würden und doch Solarzellen auf dem Dach hätten. Eine Beobachtung, die ihn erfreue, sagt Hartmann. „Um grün zu leben, müssen die Leute uns Grüne nicht lieben.“
Manchmal kippt die Abneigung in Hass, den Hartmann als äußerste Folge der Spaltung ansieht. Mitte September, ein Wahlkampftermin mit Schulze, Hartmann und einem seiner Kinder in der ersten Reihe. „Ich habe gerade geredet und habe dann den Stein vor mir einschlagen gemerkt.“ Sie hätten darüber geredet, dass sie sich nicht einschüchtern lassen wollen. Und doch: Einem solchen Schockmoment folgt eine Nacht mit wenig Schlaf.
Ludwig Hartmann ist ähnlich wie Katharina Schulze die Sorte grüner Politiker, der nahe am Erdboden gebaut ist. Er gendert selbst, aber erwartet es von anderen nicht. Er isst gern Fleisch, vor allem Wild, das er selbst auf dem Küchentisch zerlegt hat, nachdem der Jäger es mit abgezogener Haut gebracht hat. Seine Freizeit verbringt er gern mit seiner Patchworkfamilie samt vier Kindern auf dem eigenen Hektar Streuobstwiese. Äpfel und Birnen fallen dort aufs Gras. Und Kornelkirschen. Oder sie baden im Wöhrlsee bei München, wandern durch die Berge, fahren nach Unterfranken. „Ich liebe Bayern“, sagt Hartmann immer wieder. Nur eben mehr die Wiese als das Festzelt.
Am Ende der Wahlarena soll Hartmann in die Kamera gucken. Frontal zum Zuschauer, der potenziellen Wählerin. Ein wenig verhaspelt er sich, etwas mehr Schweiß rinnt über seine Wangen als über die von Söder. Aber es bleibt ihm auch nur eine Minute für seine Botschaft. Zu wenig Zeit für tiefgründige Argumente.