Analyse
Erscheinungsdatum: 13. Januar 2024

CDU-Vorstandsklausur in Heidelberg: Zwischen kleinem Glück und heikelsten Aufgaben

Im letzten Jahr musste die CDU-Führung mit vielen Zweifeln kämpfen. Bei den eigenen Leuten wie in der Öffentlichkeit. Anfang 2024 wirkt die Partei gefestigter – und weiß doch, dass schwierigste Zeiten bevorstehen. Größte Herausforderung: die AfD.

Von Peter Hintze, dem über viele Jahre wichtigsten informellen Berater von Angela Merkel, stammt die Erkenntnis, dass neu gewählte Kanzler in aller Regel eine zweite Chance bekommen. Dass er (oder sie) also selten bis nie schon nach einer Legislaturperiode abgewählt werden. Hintze, vor einigen Jahren gestorben, hat viele Kanzler kommen und gehen sehen. Und er hat sehr lange Recht behalten. Bei Willy Brandt lief es so, bei Helmut Schmidt ebenfalls, und auch bei Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. So gesehen kann sich auch Olaf Scholz, der zur Zeit so unbeliebte Kanzler, noch eine Restchance ausrechnen.

Und doch ist Hintzes Analyse für Friedrich Merz und seine Führungsmannschaft zum Jahresanfang 2024 eher ein Beleg dafür, dass sie ziemlich gute Arbeit geleistet haben. Gut zwei Jahre nach der letzten Wahl wirkt die CDU stabiler, als das viele noch vor einem Jahr für möglich gehalten hätten. Trotz eines holprigen 2023, in dem die Zweifel an Merz und der Bundes-CDU immer wieder aufbrachen, hat die Partei inzwischen zu einem geschlosseneren Ganzen gefunden. Nach dem jüngsten Politbarometer von diesem Freitag käme die Union aktuell auf genauso viele Stimmen wie alle Ampel-Parteien zusammen, nämlich auf 31 Prozent. Und die Debatten, ob Merz wirklich Kanzlerkandidat der Union werden könnte, sind deutlich leiser geworden. Schneller als von vielen erwartet kann die CDU von sich behaupten: Mit uns muss man wieder rechnen.

Zumal das neue Grundsatzprogramm, das Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßen und Armin Laschet nie wirklich fortgesetzt hat, inzwischen fertig ist. Es soll auf dem Parteitag im Mai endgültig beschlossen werden. Das bedeutet: Die Partei ist nach außen stabilisiert, siehe Umfragen. Und sie hat nach innen wieder eine Grundlage fürs eigene Selbstverständnis gefunden. Konservativer, mit einigen kantigen Botschaften, ohne damit eine echte Zerreißprobe heraufbeschworen zu haben.

Merz gab sich bei der CDU-Vorstandsklausur in Heidelberg betont zufrieden: „Das ist die Handschrift der CDU.“ Viele Mitglieder würden ihm spiegeln, dass sie „die CDU endlich wiedererkennen würden“. Das Programm trage „den Geist von Freiheit, Sicherheit, Aufbruch und Zusammenhalt“. Auch wenn einzelne Passagen bis zum finalen Beschluss auf dem Parteitag im Mai nochmal überdacht werden sollen, stimmte der Bundesvorstand am Schluss einstimmig zu.

Das ist noch kein politischer Triumph, als Zwischenetappe zu neuer Stärke aber deutlich mehr, als viele innerhalb und außerhalb der CDU ihr zugetraut hätten. Das Ziel der Parteispitze, sich in den ersten zwei Jahren als Opposition zu stabilisieren und inhaltlich neu aufzustellen, um danach wieder die Regierungsfähigkeit in den Blick zu nehmen, ist fürs Erste erreicht worden.

Und doch plagen die Parteiführung Schmerzen, weil sie weiß, dass die Union angesichts der miserablen Werte vor allem für Olaf Scholz, die SPD und die FDP noch viel besser dastehen könnte, ja müsste. Stattdessen jedoch muss sie mit Sorge zur Kenntnis nehmen, was das jüngste Politbarometer auch ausweist: dass es aktuell vier Parteien gibt, die an der Fünf-Prozent-Hürde kratzen.

Neben der FDP sind das die Linke, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die Freien Wähler von Hubert Aiwanger. Für die Liberalen ist das bitter, für die Linke auch, für die anderen beiden aber ist das der große Hoffnungsschimmer. Und wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann kann das die Parteienlandschaft nachhaltig verändern. Mit dem Vorteil, dass 30 Prozent für die Union dann vergleichsweise viel sind, und mit dem Nachteil, dass die Zersplitterung in noch mehr Parteien das Regieren viel komplizierter machen kann.

Die CDU-Spitze muss immer noch damit zurechtkommen, dass ihr die 16 Jahre Angela Merkel nachhängen. „Ihr seid doch auch 16 Jahre dabei gewesen“ – diesen Satz bekommen Christdemokraten nach wie vor oft zu hören. Und müssen schwer mit ihm kämpfen. Denn wie nichts anderes legt dieser Satz offen, dass sich ein Trend festsetzt, der für alle etablierten Parteien gefährlich geworden ist: der Trend zu einer heiklen Spaltung in Parteien, die seit Jahrzehnten in wechselnden Konstellationen regiert haben – und Parteien, die das Nicht-Regieren und die harte Abgrenzung zu allem in Berlin zu ihrem wichtigsten Programmpunkt gemacht haben.

Nicht wenige BuVo-Mitglieder, vor allem jene aus den ostdeutschen Ländern, spüren die Wucht dieser Abgrenzung schon lange. Und sie sprechen – wie Mike Mohring – deshalb auch nicht mehr von Protestwählern, die der AfD Aufwind geben, sondern von einem massiven Vertrauensverlust, der tiefer sitzt und schwerer rückgängig zu machen ist.

Am gefährlichsten dürfte diese Entwicklung in Thüringen werden. Für alle etablierten Parteien, aber auch für die CDU. Während mit Michael Kretschmer in Sachsen und Dietmar Woidke in Brandenburg zwei prominente Politiker der CDU und der SPD mit Amtsbonus antreten, fällt das in Thüringen der Linkspartei und Bodo Ramelow zu, mit dem die CDU bislang jede Kooperation ausschließt. Deshalb sind gerade dort die Sorgen am größten, dass die AfD vom Nicht-Miteinander der CDU und der Linkspartei profitieren könnte. Bislang gibt es in der CDU nur wenige Mahner, die das aufheben möchten. Die CDU-Spitze in Berlin jedenfalls will daran – noch – nicht rühren.

In Heidelberg beschloss die Parteispitze lediglich, dass sich alle Mitglieder des Bundesvorstands mit Verve in die Wahlkämpfe in Sachsen, Brandenburg und Thüringen stürzen sollen; Parteichef Merz betonte das auf der Abschlusspressekonferenz noch einmal ausdrücklich. Zugleich wiederholte er die Festlegung der CDU: es werde keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben. Einen von manchen Politikern geforderten Verbotsantrag sah er zugleich skeptisch. Ja, prinzipiell gebe es diesen Weg. Aber er halte sich – frei zitiert – eher an einen Satz des Bundesverfassungsgerichts, formuliert nach dem gescheiteren NPD-Verbotsantrag: Das Gericht könne den Parteien den Kampf gegen andere Parteien nicht abnehmen.

Seine Schlussfolgerung: alle demokratischen Parteien seien nun in der Pflicht, sich inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen. Die CDU will das vor allem bei den Themen Europa, Außenpolitik und Russland sowie Wirtschaftspolitik machen, auf alle drei Feldern hält sie die AfD bei genauer Betrachtung für verwundbar. Er wisse darum, dass auch viele Mittelständler anfällig seien für die schlechte Stimmung. Gerade ihnen aber wolle er zeigen, wie gefährlich die AfD für ihre Interessen sei. Seine Botschaft an Unternehmen: „Schaut bitte genau hin, wen Ihr da wählen wollt.“

Und doch: Am Ringen mit der AfD erklärt sich am besten, warum die Rolle der Union in der Opposition aktuell so kompliziert ist. Sie will und muss die Ampel-Koalition kritisieren und darf zugleich nicht denen zusätzliches Futter geben, die alles in Berlin am liebsten schlechtreden und wie die AfD die demokratischen Institutionen delegitimieren wollen.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann weiß um diesen heiklen Balanceakt. Meinungsforscher haben ihm deutlich gesagt, dass Kritik und Forderungen an die Ampel nur dann Sinn haben, wenn die Union auch erkennbar in der Lage ist, eigene Ziele durchzusetzen. Wie schwer das ist, kann die gesamte CDU beim Thema Migration studieren. Einerseits zeigen die von ihr lange Zeit geforderten Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien offenbar Wirkung. Knapp 900 Haftbefehle gegen Schlepper soll es bereits gegeben haben. Ein Pluspunkt also.

An anderer Stelle dagegen ist der Frust groß. Obwohl sich die Ministerpräsidenten um Hendrik Wüst und Michael Kretschmer beim Gipfel mit Olaf Scholz am 6. November um mehr Kooperation mit dem Kanzler bemühten, zeigt sich zwei Monate später, das daraus bislang nichts gefolgt ist. Keine einzige Regelung sei im Parlament schon beschlossen worden, heißt es bei der CDU. Das bedeutet: Kooperation versucht, aber Zwischenergebnis schlecht.

Soll die CDU das Thema Migration also weiter forcieren oder aus Vorsicht vor den Konsequenzen nur leise behandeln? Selbst in der CDU-Spitze gibt es dazu noch immer unterschiedliche Auffassungen. Linnemann und Fraktionsvize Jens Spahn plädieren für eine sehr offensive Linie. Andere, darunter Daniel Günther und Hendrik Wüst, warnen vor Zuspitzungen. Eine wirkliche Entscheidung über die richtige Tonlage hat es nicht gegeben.

Ähnlich offen blieb vieles beim Blick auf die drei Landtagswahlen im Osten. Alle haben sich der gegenseitigen Unterstützung versichert, und selbstverständlich hat die CDU-Spitze viele Wahlkampfauftritte versprochen. Allein: Ob das helfen wird, das größte Problem zu lösen? Das nämlich lautet: Haben wir noch genügend Präsenz auf Straßen und Plätzen?

Niemand hat es in Heidelberg offiziell angesprochen, aber mehrere Spitzenvertreter haben am Rande der Klausur darüber geredet, wie groß das Mobilisierungsproblem im Osten noch werden könnte. Auch die CDU bekommt dort zu spüren, wie die Bindekräfte bröckeln. Längst muss sie im Westen, aber eben noch viel mehr im Osten engagierte Leute mit der Lupe suchen.

Das hängt mit der eigenen schwindenden Anziehungskraft zusammen. Und es wird ergänzt durch eine AfD-Rhetorik der Spaltung. Sie verfängt auch deshalb immer mehr, weil die etablierten Parteien und auch die CDU immer weniger Politikerinnen und Politiker vor Ort haben, die wie einst üblich jedes Wochenende die klassischen kommunalen Treffpunkte wie Marktplätze, Sportvereine, Feuerwehrfeste besuchen. Mit jeder Woche, jedem Monat, in dem sich das fortsetzt, wird es schwerer, das wieder rückgängig zu machen.

So schwer das auf der Zukunft lastet – in der Gegenwart von Heidelberg konnte die Parteiführung an anderer Stelle ein kleines bisschen aufatmen. Das mögliche Duell zwischen Merz und dem NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst wurde hier allenfalls mit dem Florett und ziemlich leise ausgetragen.

Wüst war es, der einen Satz zum Islam kritisierte. Im Grundsatzprogramm heißt es: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland.“ Wüst erklärte, das Wort „gehören“ könne missverständlich ausgelegt und deshalb problematisch werden.Am Ende verständigten sich alle darauf, den Satz erstmal stehen zu lassen, aber bis Mai noch nach einer besseren Formulierung zu suchen.

Auch bei anderen, ehemals kontroversen Themen fand die Führung fürs erste zusammen, darunter bei der Teil-Rückkehr zur Atomkraft, der Rückkehr zur Sozialhilfe, der Ablehnung des Heizungsgesetzes und der Fokussierung auf den CO2-Preis mit sozialem Ausgleich beim Klimaschutz. Allerdings scheuten sich alle, bei diesem Thema tiefer ins Detail zu gehen. Ein genauer Preis? Ein detaillierter sozialer Ausgleich? Das könnte und würde sofort wieder heikel werden. Also hat man es gelassen.

Und so konnte sich Merz am Ende gar nicht mal zu Unrecht über eine „neue Geschlossenheit“ und eine „große Kollegialität“ freuen. Wie lange die hält, kann in diesen Zeiten freilich niemand sicher sagen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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