Hermann Färber hat so ziemlich alles von dem, was man sich unter einem Agrarpolitiker der Union vorstellt: Er ist Landwirt, katholisch, hat fünf Kinder mit derselben Frau, gehört dem Deutschen Bauernverband an und gewinnt seit zehn Jahre das Direktmandat für den baden-württembergischen Wahlkreis Göppingen. Sein Äußeres passt zum Steckbrief: Breites Kreuz, kräftige Augenbrauen und sogar im Bundestag ist er im beigen Lodenjanker unterwegs.
Und doch beschreibt das den 60-Jährigen höchstens zu einem Teil. Diesen Politiker, der von sich sagt, er hinterfrage immer wieder, ob er noch flexibel genug sei im Kopf für seinen Job. Der in kleinen Runden viel zuhört und eher leise seine Meinung äußert. Und der auch mal einem jüngeren Kollegen von den Grünen zustimmt oder Überzeugungen der eigenen Partei in Frage stellt.
An diesem Morgen im Juli 2023 treibt den Vorsitzenden des Agrarausschusses allerdings nichts Fachliches um. Er ist in Sorge um die Demokratie, um die Brandmauer nach rechts. Die sieht er bei sich im Wahlkreis bröckeln, angefangen bei den Medien.
Daheim in Böhmenkirch, so erzählt er, hat sich gerade Folgendes zugetragen: Der Gemeinderat musste über eine neue Flüchtlingsunterkunft entscheiden. Die Verwaltung hatte einen Bauplatz am Rande des Gewerbegebiets vorgeschlagen. In der Sitzung des Gemeinderats hatte ein Mitglied dann für einen zentraleren Standort plädiert, um einer „Ghettoisierung“ vorzubeugen. Der Bürgermeister machte jedoch geltend, dass die vorwiegend jungen Männer „etwas lauter“ sein könnten. Die Abstimmung fiel dann – bei einer Enthaltung –einstimmig aus: für den Standort am Ortsrand.
All das passierte an einem Mittwoch. Am Montag darauf, am 3. Juli, machte die Lokalzeitung dazu auf mit „Neubau für knapp 1,6 Millionen Euro“. Darunter: ein Foto von einem möglichen Bauplatz im Zentrum, in der Holzstraße, in der auch Hermann Färber wohnt. Bildunterschrift: „Die Anwohner sind nicht begeistert, wie die Zeitung gestern beim Fototermin erfuhr.“
Färber ist fassungslos ob des Berichts. Angefangen mit der Überschrift. 1,6 Millionen Euro für eine Unterkunft für 40 Personen, das halte er für keinen Skandal, sondern die ermittelte Bausumme. Dann das große Foto vom Bauplatz im Zentrum, die Gespräche mit den Nachbarn dort: All dies hatten die Journalisten ganz offensichtlich unternommen, nachdem der Gemeinderat sich längst einvernehmlich gegen diesen Standort entschieden hatte. „Dass das Flüchtlingsheim hier gar nicht hinkommen würde, wurde erst im letzten Absatz des Artikels berichtet! Da haben die meisten doch schon längst aufgehört zu lesen – und sich fürchterlich aufgeregt.“
Färber weiß, dass sich viele Menschen seit der Pandemie auf dubiose Quellen verlassen würden, etwa auf Telegram-Kanäle. „Ich erlebe bei so vielen eine große allgemeine Unzufriedenheit“, sagt der Abgeordnete. „Allein schon, dass man heutzutage kein Haus mehr bauen könne, regt viele auf.“ Diese Unzufriedenheit freilich würde massiv geschürt durch Berichte wie jenen über das vermeintlich teure Flüchtlingsheim im Zentrum. Diese Stimmungsmache treibe die Menschen den Rechten in die Arme. Die AfD vor Ort reagierte denn auch sofort mit einem Infostand zum „Asylantenheim“ und der Versicherung auf Facebook: „Wir stehen euch zur Seite.“
Hermann Färbers Vater war in Stalingrad, mit 19 Jahren kam er in russische Kriegsgefangenschaft. Erst mit 26 wurde er entlassen. „Die Nazis und ihr Krieg haben meinem Vater die schönsten Jahre gestohlen“, sagt sein Sohn. Färber erzählt das enttäuschten Wählern, wenn sie ihm sagen, dass sie jetzt lieber die AfD wählen. Ob sie sich nicht daran erinnerten, wozu der Rechtsextremismus in Deutschland schon geführt habe. Manche sagten dann, sie glaubten ja auch nicht an die Versprechen der AfD oder deren Ideologie. „Sie sagen mir, sie wollen uns bloß motivieren, bessere Politik zu machen.“ Konsequent lehnt Färber jedwede von CDU-Chef Friedrich Merz zwischenzeitlich angedeutete Zusammenarbeit mit der AfD ab: „Ein ‚bisschen schwanger‘ geht eben nicht. Eine Kooperation oder gar Koalition mit einer Partei, die sich nicht klar von Rechtsextremismus und Antisemitismus abgrenzt und nicht klar zu unserem Grundgesetz und zu unseren demokratischen Grundsätzen steht, ist für mich nicht kompatibel.“
Für die bessere Politik setzt Hermann Färber seinen Verstand und seine politische Vernunft ein. Er gibt sich nicht zufrieden mit einfachen Gewissheiten, sondern hört zu und lernt gerne dazu. Seine Partei zum Beispiel setzt sich für eine Deregulierung von grüner Gentechnik wie Crispr/Cas ein, also von neuen Methoden zur Veränderung der DNA von Pflanzen. Auch Färber sieht darin Chancen, etwa wenn man Resistenzen gegen bestimmte Pilze oder Trockenheitsresilienzen züchten könnte. Eins sei aber klar, sagt er warnend: „Wenn hinterher Patente herauskommen, die Abhängigkeit schaffen, haben wir es falsch gemacht.“
Im Agrarbereich geht es viel um solche Abwägungen. Die Landwirtschaft, sagt der Landwirtschaftsmeister selbstkritisch, habe in manchen Bereichen den Bogen überspannt. Etwa, was den Einsatz von Pestiziden angeht. Aber auch die Verteidiger des Naturschutzes seien dabei, zu überziehen. Neulich habe er eine Karte gesehen mit Pufferzonen um Naturschutzgebiete. In diesen Zonen sollen Imker ihre Bienen nicht mehr fliegen lassen, um die Konkurrenz zu Wildbienen zu vermeiden. Färber: „ Wenn Nordrhein-Westfalen solche Pufferzonen errichtete, wie sie in zwei Gebieten in Baden-Württemberg schon existieren, dann ist NRW zu 90 Prozent beim Honig raus.“
Oder Agroforste, eigentlich ja eine gute Idee: Hecken und Bäume, die die Felder beschatten, die Wasser im Boden halten und Spatzen oder Zaunkönigen Unterschlupf bieten. Dem gegenüber stehe aber die Naturschutz-Richtlinie FFH (Flora-Fauna-Habitat). Die schieße über ihr Ziel hinaus: „Wenn ein Landwirt in seinem Agroforst oder in seiner Magerwiese dann nämlich eine geschützte Art hat, wird die Glasglocke drüber gestülpt und dann können weder er noch seine Kinder dieses Land je wieder bestellen.“
Vor Kurzem sei so etwas einer Bekannten passiert. Sie hatte das Gelände eines aufgegebenen Industriebetriebs gekauft und auch schon eine Förderung erhalten, um da ihren Handwerksbetrieb zu erweitern. „Hermann, ich krieg’ einen Vogel“, habe sie gesagt, „wir sollen jetzt ein Gutachten erstellen, ob da nicht Eidechsen drauf sind, bevor wir bauen.“ Da wolle sie lieber das Gelände eigenhändig umgraben.
Der CDU-Politiker Färber schätzt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir persönlich durchaus. Allerdings ist der Grünen-Politiker aus der Sicht Färbers eingeklemmt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kraftfeldern in der Koalition. Einerseits Naturschützer, die alles dem Naturschutz unterordnen wollten, während Özdemir auch die Aufgabe habe, die Ernährung zu sichern. Und andererseits eine FDP, die alles dem freien Markt überlassen möchte. Das macht Özdemirs Arbeit aus Färbers Sicht schwierig.
Die Liberalen hätten selbst schon dreimal abgelehnt, das Bundeslandwirtschaftsministerium zu leiten, sagt Färber. Nun würden sie – aus anderen Gründen als die Umweltschützer – alle Brückenschläge zwischen Natur und Landwirtschaft ablehnen. Färber erinnert da vor allem an das Konsenspapier der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ aus dem Jahr 2021 – ein Papier, in dem so unterschiedliche Akteure wie der Deutsche Bauernverband und der Verband der Bio-Bauern, Tierschützer, Ernährungsindustrievertreter, Verbraucherschützer und Wissenschaftler sich auf einen gemeinsamen Weg zur Transformation der Landwirtschaft verständigt haben: „Dieses Potenzial liegt brach.“
Zurück zur Zukunft: Als Färber ein Junge war, verschwanden die Hecken und mit ihnen die Rebhühner, die schon sein Vater so geliebt habe. Man nannte das Flurbereinigung. „ Aber das war der Fortschritt damals, dass man mit den großen Maschen alles bearbeiten konnte.“
Und heute? Heute sehe man das alles anders. Was Färber vermisst, ist eine Zielvorstellung. „Wohin soll die Landwirtschaft?“ Ohne diese Zielvorstellung, ohne Planungssicherheit bleibe das Geschäft der Bauern zu unsicher, würden noch mehr Kollegen aufgeben.
In Kenia, erzählt er, habe er gesehen, was passiert, wenn die Landwirtschaft sich nicht entwickelt. „Die haben Wissen verloren. Die müssen sogar wieder lernen, wie man kompostiert.“ So krass, glaubt Färber, könne es auch hier kommen, wenn Deutschland und die EU sich nicht auf klare Ziele verständigen sollten.