Obwohl derartige Koalitionen vor wenigen Wochen undenkbar gewesen wären, nehmen in Erfurt, Potsdam und Dresden Bündnisse mit dem BSW Gestalt an. Allen Bauchschmerzen zum Trotz haben CDU, BSW und SPD in Dresden weitere Gespräche angekündigt – und sind in Thüringen schon einen Schritt weitergegangen. Dort haben sie sich auch von angedrohten Brüchen nicht beirren lassen und am Montag die wohl wichtigste Hürde auf dem Weg zu einer Koalition genommen: Sie haben die vom BSW geforderte Präambel für einen Koalitionsvertrag präsentiert. Darin geht es um das Bemühen der künftigen Landesregierung, die Angst der Menschen vor Krieg zu benennen und sich für Frieden einzusetzen, ohne die Verortung des Landes in Europa und in der Nato in Frage zu stellen.
Vielleicht noch nie in der Geschichte einer Landesregierung ist ein semantisch derart heikler Versuch unternommen worden. Alle drei Parteien bemühen sich um ein Bekenntnis zum Frieden, ohne die Kompetenzgrenzen des Landes zu missachten und die inneren Überzeugungen der CDU preiszugeben. In der Präambel heißt es, „der Wille zum Frieden in Europa“ eine die künftige Regierung. Sie nähme die Ängste der Bürger ernst, „dass Krieg in Europa ist und Deutschland mit hineingezogen werden könnte“. Man wende sich gegen jegliche Bestrebung, mit kriegerischen Mitteln Grenzen zu verschieben. Und dann heißt es: „Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung unterstützen wir alle diplomatischen Initiativen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden.“
Dabei werden auch Unterschiede kenntlich gemacht. Während sich CDU und SPD in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik sähen, stehe das BSW für „einen kompromisslosen Friedenskurs“, heißt es. Außerdem bleibe die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine umstritten. Trotzdem stünden alle drei Partner hinter dem Ziel, eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas voranzutreiben. Und obwohl alle drei der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands große Bedeutung beimessen würden, erkennen sie auch an, „dass viele Menschen in Thüringen die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen kritisch sehen bzw. ablehnen“. Deshalb werde die künftige Regierung „dieser Haltung im Sinne eines nachhaltigen Einsatzes für Frieden eine öffentliche Stimme“ verleihen.
Die Christdemokraten wissen, dass das für die gesamte CDU, vor allem auch die im Bund, keine einfache Kost ist. Zugleich hoffen sie in Erfurt, dass die Parteispitze um Friedrich Merz das trotz des auch im Bund aufziehenden Wahlkampfs mittragen kann. Zumal sie in Erfurt wie in Berlin wissen, dass die AfD nur darauf wartet, ein Scheitern der Gespräche für weitere Provokationen zu nutzen. Wie es heißt, wurde Merz vorab informiert. Sollte das BSW dem Präambel-Entwurf am Abend zustimmen, werden schon am Dienstag die Vorbereitungen für die offiziellen Koalitionsverhandlungen beginnen. Dann sollen die Vorsitze für die Arbeitsgruppen festgelegt werden. Eines freilich ist bei der CDU in Erfurt auch zu hören: Dass man auf keinen Fall so weit gegangen wäre wie die SPD in Potsdam.
Die Einigung in Brandenburg geht in der Tat weiter. Auf dem Weg zu einem Bündnis hat Landeschef Dietmar Woidke mehr geschluckt als die Christdemokraten. Manche Formulierungen in dem am Montag veröffentlichten Sondierungspapier von SPD und BSW erinnern an klassische Wagenknecht-Sätze. So heißt es unter anderem: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können“. Deshalb müsse eine diplomatische Lösung des Ukrainekonfliktes vorangetrieben werden. Und: „Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch.“
Die SPD wird vor allem auf ein Bekenntnis zur Verteidigungsfähigkeit verweisen. Und darauf, dass beide Partner die „Zuständigkeit des Bundes für die Außen- und Verteidigungspolitik“ anerkennen. Am späten Montagnachmittag trat der Brandenburger BSW-Vorstand zusammen, auch Sahra Wagenknecht nahm an dem Treffen teil. Wenige Stunden später war klar: Die Formulierungen zu Frieden und Diplomatie sind für das BSW weitgehend genug. Das Papier wurde einstimmig gebilligt. Wie der BSW-Europaabgeordnete Thomas Geisel die Verhandlungen beurteilt, hören Sie im Podcast Table.Today. Das Gespräch gibt es ab 6 Uhr hier.