Die beste Nachricht für Nancy Faeser hatte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im Gepäck: Einmalig sei im Oktober 2022 eine Abfrage beim BfV erfolgt. Über Arne Schönbohm habe damals nichts vorgelegen, das habe das Amt auch so zurückgespiegelt. Und nein, danach, also auch im März 2023, habe es keine weitere Abfrage seitens des BMI zu Schönbohm gegeben, von keiner Ebene. Genau das hatte die Opposition aufgrund eines schriftlichen Vermerks aus dem BMI von Anfang März klären wollen: Gab es eine weitere Abfrage? Hat die Innenministerin das Amt für einen persönlichen Feldzug missbraucht? Hat sie laut Verfassungsschutzpräsident nicht.
Haldenwang stellte heute vor den Mikrofonen im Paul-Löbe-Haus klar: Hätte es eine solche Anfrage gegeben, wäre sie rechtswidrig gewesen und das BfV hätte diese nicht verfolgt. Als unverschämt bezeichnete die Innenministerin heute die Vermutung, sie hätte so agieren können – dabei hätte sie selbst bereits zweimal die Gelegenheit gehabt, diese einfache Frage aufgrund des Aktenvermerks im Innenausschuss auszuräumen. Doch sie kam nicht, was sie inzwischen selbst als Fehler sieht. Es war nicht der einzige.
Auch wenn diese eine Frage damit wohl ausgeräumt ist: Faeser hat sich heute erneut Fehler erlaubt. So gab sie an: Die Gründe für die Demission Schönbohms reichten bereits in die Zeiten von Unions-Innenministern zurück. Außerdem habe es bei der Bewertung von Cyberangriffen im Zuge der russischen Aggression Differenzen gegeben. „Die Vorwürfe im Oktober 22 fielen also in die Zeit, in der es um mein Vertrauen in die Eignung von Schönbohm bereits nicht gut bestellt war. Die Sendung von Herrn Böhmermann hat das mediale Echo nur verstärkt, war aber alles andere als der einzige Faktor.“ Allein: Das Schreiben, mit dem das Ministerium Schönbohm die Führung der Dienstgeschäfte untersagte, liest sich anders. Dort wird das mediale Echo auf die Böhmermann-Sendung als Hauptgrund angeführt.
Faeser argumentierte heute, entscheidend sei, dass das BSI das uneingeschränkte Vertrauen hierzulande und auch bei den internationalen Partnern genießen müsse. Hauptziel sei es deshalb gewesen, Schaden vom BSI abzuwenden. Diese wichtige Behörde müsse in der Öffentlichkeit als integer und absolut vertrauenswürdig gelten. Das klingt logisch. Der Haken: Schönbohms Demission wurde als erstes von seinem damaligen französischen Pendant bedauert, öffentlich einsehbar auf LinkedIn. Nach fehlendem Vertrauen bei den Partnern klingt das jedenfalls nicht.
Wer sich die Genese des Falls, die Unterlagen und Abläufe anschaut, stellt fest: Hätte die Innenministerin tatsächlich so viel Wert auf die Integrität des BSI gelegt, hätte sie von vornherein ganz anders agieren müssen. Die Behörde stand seit Amtsantritt eher hinten auf ihrer Prioritätenliste. Dass Schönbohm Differenzen in fachlicher Hinsicht mit Unionsministern hatte, ist ein alter Hut. Etwa wenn es um die Frage ging, ob die Sicherheitsbehörden Zugriff auf alle Kommunikation haben sollten (BMI) oder ob Wirtschaft und Gesellschaft mit anerkannt sicheren Verschlüsselungsmechanismen mehr gewinnen (BSI).
Dass Nancy Faeser und das geerbte BMI hier im Sinne der Amtsvorgänger und entgegen dem Koalitionsvertrag argumentierten, ist in Fachkreisen im Sommer 2022 scharf kritisiert worden: Die Ministerin wolle die Cybersicherheit mit Ansage schwächen – kritisierte etwa der IT-Verband Bitkom. Gegen den Wunsch von IT-Experten und auf den Spuren der Unions-Innenminister argumentierte Faeser auch bei anderen IT-Sicherheitsthemen – etwa wenn es um die Suche nach Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs geht.
Die Ministerin hat bis heute bei der Cybersicherheit fast nichts vorzuweisen. Faeser hatte im Juli 2022 eine Cybersicherheitsstrategie vorgelegt, die aber nach Ansicht des Rechnungshofes bis heute nicht unterfüttert ist. Wesentliche Bestandteile des Koalitionsvertrages in Sachen Cybersicherheit ließ Faesers Haus bis tief ins Jahr 2023 liegen. Und auch die Suche nach einer Nachfolgerin wurde erst nach der Demission Schönbohms begonnen. Wie passt das zu der angeblichen Priorität des Themas aufgrund der Umstände? Faeser versucht offenkundig im Nachhinein ein Vorgehen als planvoll darzustellen, das eher nach Planlosigkeit und mäßigem fachlichen Interesse aussieht.
Dazu kommt: Nancy Faesers BMI war es, das Arne Schönbohm und dem BSI jede Form der öffentlichen Äußerung untersagte. Der Protestbrief des BSI-Vizepräsidenten Gerhard Schabhüser gegen den Umgang mit der Behörde und dem damaligen Präsidenten spricht hier eine unmissverständliche Sprache. Und Schabhüsers Integrität wollte heute auch Faeser auf Nachfrage nicht in Zweifel ziehen: Der genieße ihr volles Vertrauen.
Allerdings wollte das BMI auch heute im Ausschuss nichts Genaues zu den Vorwürfen gegen Schönbohm sagen, obwohl dessen Anwalt das im Namen Schönbohms schriftlich gestattet hatte. Trotzdem argumentierte das BMI, dass das Schreiben des Anwalts nur an den Ausschuss, nicht an das BMI gegangen sei. Deshalb dürfe man weiterhin nicht über Details sprechen.
Vertreter der Koalitionsparteien räumten hingegen ein, dass die Abläufe rund um die Demission Schönbohms nicht glücklich gelaufen seien. Und sie zogen eine feine Unterscheidung zwischen dem offenbar falschen Vorwurf beim Vorgang BfV und den Fragezeichen rund um Schönbohm. Ob Schönbohm mit seiner Klage gegen seinen Dienstherrn, das Bundesinnenministerium, Erfolg hat, ist offen. Unwahrscheinlich scheint derzeit ein Untersuchungsausschuss – die Opposition könnte ihn nur in politisch heiklen Bündnissen durchsetzen.
Was sich im Laufe der Affäre aber gezeigt hat: Im Krisenmodus agiert Nancy Faeser nervös und macht Fehler. Sie entscheidet schnell und muss hinterher viel Zeit und Energie aufwenden, Fehlverhalten wieder einzusammeln. Nichts an der BSI-Affäre wäre nötig gewesen. Und wenig wäre wohl passiert, wenn Faeser den Vorgang frühzeitig geklärt und vielleicht sogar einen Fehler eingestanden hätte. Möglicherweise hätte Faeser Schönbohm auch geräuschlos umsetzen können, wenn sie dafür einen echten Plan gehabt hätte.
Dass die Union kurz vor dem Wahltermin in Hessen jeden vermeintlichen und echten Fehltritt Faesers auskostet, muss sie sich selbst zuschreiben. Und dass sie jetzt versucht, die Affäre für beendet zu erklären, erinnert einige in Berlin noch an den damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Er war sich 2013 sehr sicher, dass an allen Vorwürfen gegen den Bundesnachrichtendienst in der NSA-Affäre nichts dran sei. Wie die Geschichte ausging, ist bekannt: Über Jahre zog sie sich hin. Das kann nun auch Faeser drohen. Dass sie tatsächlich in Hessen noch gewinnen könnte, glaubt kaum noch jemand in den Reihen der Sozialdemokraten. Also bleibt für sie nur der Verbleib in Berlin. Also dort, wo sie diesen Vorgang so schnell noch nicht loswird.