Analyse
Erscheinungsdatum: 04. Februar 2025

Briefverkehr und Schuldzuweisungen: Parteien ringen um Deutungshoheit in Migrationspolitik

Union, SPD, Grüne und FDP finden in der Migrationspolitik weiter nicht zueinander. Das zeigt ein Briefwechsel zwischen Christian Dürr und Rolf Mützenich.

Der Briefwechsel offenbart erneut die schwierige Kompromissfindung, zumal in Wahlkampfzeiten. Während der FDP-Fraktionschef noch Teile des Zustrombegrenzungsgesetzes retten will, fällt Mützenichs Reaktion doch eher unterkühlt aus. Der Schriftverkehr legt auch offen, dass das Ringen um die Deutungshoheit des vergangenen Freitags noch längst nicht abgeschlossen ist.

Dürr hatte in seinem Schreiben an Mützenich zunächst beteuert, dass die FDP sich als „Brückenbauer“ verstehe, „damit in der Migrationspolitik endlich etwas gelingt“. Deshalb erneuerte der FDP-Fraktionschef seinen Vorschlag, den er in nahezu identischer Form bereits während der turbulenten Bundestagssitzung am Freitag unterbreitet hatte: Die Inhalte des Zustrombegrenzungsgesetzes der Union sollen in das von SPD und Grünen vorgelegte GEAS-Gesetz überführt werden.

Die SPD reagierte prompt, unterstellte der FDP aber ein Wahlkampfmanöver. In seiner Antwort an Dürr bedankte sich Mützenich für das Schreiben, dessen Inhalt er zuerst der Presse entnommen habe. „Ob ein derartiges Verfahren der Suche nach einem gemeinsamen Konsens dienlich ist, sei dahingestellt.“ Der Gesetzentwurf der Union sei rechtlich problematisch und stellenweise praxisuntauglich. Er lade die FDP aber ein, gemeinsam das GEAS-Gesetz, die Reform des Bundespolizeigesetzes und die erweiterten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden zu verabschieden.

Auch die Grünen lehnen den FDP-Vorstoß ab. Sie könne in Dürrs Schreiben „kein ernsthaftes Gesprächsangebot erkennen“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic Table.Briefings. Die FDP scheine mit dem Manöver das „Desaster von Freitag“ überdecken zu wollen, bei dem 23 Abgeordnete dem Zustrombegrenzungsgesetz nicht zugestimmt hatten. „Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein politisches Spiel gespielt werden soll“, sagte Mihalic. Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages seien „aber kein Spiel“.

Nach außen vermittelbar ist die Debatte kaum noch. Auch die CDU musste sich erst einmal sortieren. Während Generalsekretär Carsten Linnemann zunächst von „Wahlkampftaktik“ Dürrs sprach, korrigierte PGF Thorsten Frei kurz darauf, die Union werde sich „keinen Gesprächen versperren, die zur zügigen Lösung der Migrationskrise beitragen“. „Von der SPD erwarte ich“, sagte Dürr Table.Briefings, „dass sie sich jetzt glasklar positioniert und Widersprüche ausräumt“. Es gehe nun darum, die Maßnahmen zu verabschieden, auf die sich auch die Ministerpräsidentenkonferenz bereits im Oktober verständigt habe”.

Unterdessen kritisieren mehrere Dutzend Strafrechtler die aufgeheizte Debatte über Migration und Kriminalität. In einem Papier weisen sie darauf hin, dass polizeiliche Kontrollmechanismen und veränderte Anzeigebereitschaft die Zahlen oft stärker beeinflussten „als eine reale Zunahme der Kriminalität oder eine subjektive Wahrnehmung von Kriminalität“. Kriminalität sei keine Folge der Staatsangehörigkeit, so die Wissenschaftler.

Die österreichische Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sprach im Zusammenhang mit dem Zustrombegrenzungsgesetz von Symbolpolitik. Es handle sich um „kalkulierten Rechtsbruch“, wenn „Binnengrenzkontrollen im Schengenraum, die eigentlich nur temporär begrenzt möglich sind“, immer wieder mit derselben Begründung verlängert würden, sagte die Wissenschaftlerin Table.Briefings: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auch vor einem Höchstgericht landet.“ Abgesehen davon sei es unmöglich, die gesamte grüne Grenze in Deutschland durchgängig zu kontrollieren.

Kohlenberger warnte die Union davor, einen ähnlichen Fehler zu begehen wie die bürgerliche ÖVP in Österreich. Diese habe darauf gesetzt, „der FPÖ das Thema Migration abzunehmen und zu versuchen, die FPÖ rechts zu überholen, indem man immer schärfere und härtere Asylregeln forderte und auch in der Rhetorik entsprechend aufmunitionierte“. Die Ergebnisse der letzten Nationalratswahl zeigten, dass das nicht funktioniert habe. Die ÖVP habe ihr Wahlversprechen gebrochen, nicht mit der FPÖ zu koalieren und damit zugleich Hilfestellung für eine rechtspopulistische Partei geleistet.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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